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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

ganz bedeutenden Ort mit allem Comfort eines Bades ausgerüstet zu finden. Das Städtchen liegt auf der Straße von Hagenau nach Bitsch ungefähr in der Mitte, einige zwanzig Kilometer von jedem entfernt. Durch die Eisenbahn steht es in Verbindung mit Weißenburg, Straßburg, Nancy, Paris, Saargemünd, Thionville, Metz etc., Verbindungen, von denen ich gegenwärtig in nur äußerst beschränktem Maße Gebrauch machen konnte. Niederbronn hat dreitausendvierhundert Einwohner und wird jährlich von zwei- bis dreitausend Badegästen besucht. Die Umgegend ist zauberhaft schön, wie fast bei keinem anderen Bade, welches ich kenne, und ich bin versichert, daß es im nächsten Jahr außerordentlich viel von Fremden besucht werden wird, welche die Schlachtfelder von Wörth und Weißenburg und Bitsch sehen wollen.

Jetzt waren freilich keine Gäste da. Im Curgarten hielt eine Colonne eines Feldlazareths und die hervorstechendsten Figuren im Orte waren bairische Soldaten, Doctoren und Leute vom Sanitätscorps.

Bei Tisch im Hôtel fand ich den neuangestellten Unterpräfecten, der in Weißenburg seinen Sitz hat, und bei ihm war der ebenfalls neuangestellte Polizei-Commissar, beide Badenser. Maire des Ortes ist der reichste und angesehenste Bürger des Ortes, Herr von Dietrich, der dort einen wunderschönen Garten hat, welcher mit den seltensten Pflanzen geschmückt ist.

Die Festung Bitsch im Elsaß.
Nach der Natur aufgenommen.

Ich machte ebenfalls die Bekanntschaft einiger Doctoren, von denen einer sehr humoristische Schilderungen aus dem in Niederbronn befindlichen Lazareth gab, in welchem auch eine Anzahl Franzosen lagen. Diese sind immer unzufrieden, unverschämt und erschrecklich empfindlich gegen Schmerz. Ein durch einen Kugelschuß im Bein verwundeter Turco machte dem Doctor, schien es, viel Spaß. Wenn er beim Verband Schmerz empfand, schrie der Kerl aus Leibeskräften „Jaudeldieh!“ und der Doctor gestand, daß er ihn, um das zu hören, manchmal ein wenig mehr als nöthig drückte. Da die Wunde im Bein ihn am Schlafen verhinderte, so machte der Doctor hin und wieder Einspritzungen von Morphium in den Arm, worüber der Sohn der Wildniß sich stets äußerst empört zeigte, denn er sah keinen Zusammenhang zwischen Bein und Arm, und glaubte, der Doctor quäle ihn nur zu seinem Vergnügen. Die Art, wie die altbairischen Krankenwärter sich mit den Franzosen verständigten, gewährte den Doctoren ebenfalls viel Stoff zum Lachen.

Der Etappencommandant von Niederbronn war ein nicht mehr junger bairischer Artilleriehauptmann, dessen Namensunterschrift ich leider nicht entziffern kann, aus dessen gutem freundlichem Gesicht sich der herzliche Charakter des Mannes jedoch leicht herauslesen ließ. Er war sehr krank gewesen und aus Gesundheitsrücksichten hatte man ihm diesen „ruhigen“ Posten gegeben, der indessen nichts weniger als eine Sinecure war. Kaum hörte der Hauptmann von meinem Wunsch, Bitsch zu besuchen, als er sogleich auf Mittel dachte, denselben zu befriedigen. Er hatte am andern Morgen zwei Krankenwärter nach Lemberg zu senden, welche von dort einige Verwundete abholen sollten, und bot mir mit höflichen, aber unnöthigen Entschuldigungen einen Platz auf einem Leiterwagen an, den annehmen zu können, ich ganz glücklich war.

Der nächste Morgen war sehr kalt, aber herrlich und die Fahrt nach Lemberg eine der schönsten, die ich in meinem Leben gemacht habe, und das will allerdings etwas sagen denn ich bin ziemlich weit in der Welt herumgekommen, wenn auch nicht so weit wie Freund Sindbad-Gerstäcker. – Wald und Wiesen begleiten zu beiden Seiten den Weg. Dahinter dehnen sich rechts und links hohe, bewaldete, schön geformte Berge mit höchst wunderlich gestalteten Felsen, die hin und wieder von sehr alten Ruinen gekrönt sind, an welchen manche Legende haftet.

Was mich in Erstaunen setzte, war die überall herrschende Ruhe und Sicherheit. Die Leute waren auf den Wiesen beim Heumachen beschäftigt und nichts erinnerte uns daran, daß wir uns in Feindesland befanden. Die uns auf der Straße begegnenden Leute grüßten alle freundlich in deutscher Sprache und nur die in Gruppen zusammenstehenden Arbeiter der mit schwachen Zügen athmenden Fabriken sahen uns stumm und mürrisch von der Seite an.

In Lemberg stiegen die Krankenwärter ab, ich aber fuhr weiter nach Reyerswiller, wo ich Mittags ankam. Vor mir rechts lag ein hoher Berg, und man sagte mir, daß ich vom Gipfel desselben Bitsch ganz bequem sehen könne. Eine bairische Feldwache, die mich anhielt, veranlaßte mich zunächst den im Dorfe befehligenden Major aufzusuchen. Auf meine Frage nach seiner Wohnung wies mich eine Frau in eine Mühle. Ich trat ein und fand einen Oberlieutenant von der Artillerie in einem wunderhübschen lauschigen Zimmer bei einem sehr appetitlich aussehenden Mittagsessen. Trotz all’ meiner ernstlichen Protestationen bestand Oberlieutenant Herrmann darauf, sein Diner zu unterbrechen und mich zu dem Major zu begleiten. Wir fanden Major Pfeiffer vom achten bairischen Infanterieregiment in einem ebenfalls reizend behaglichen Zimmer mit drei seiner Officiere beim Mittagsessen. Der Major und alle die Herren beschämten mich förmlich durch ihre Artigkeit, aber was mir daran wohl that, war die ehrlich gemeinte Herzlichkeit, die ihnen dabei aus den offenen Gesichtern leuchtete. Hätte ich Zeit gehabt, so hätte ich gern die Einladung zum Mittagsessen angenommen, so aber begnügte ich mich, auf die Gesundheit der freundlichen Officiere und auf deren guten Erfolg ein Glas zu leeren.

Ein Unterofficier erhielt die Weisung, mich zu dem beiden Batterien befehligenden Hauptmann zu führen und diesen von Seiten des Majors zu ersuchen, mir Alles zu zeigen, was ich zu sehen wünsche.

Der Weg den Berg hinauf war ziemlich steil; und es muß sehr beschwerlich gewesen sein, die Belagerungsgeschütze dort hinaufzubringen. Wir fanden nahe dem Kamme des Berges, rechts vom Wege, im Walde, ein Bivouac und dabei Hauptmann Sartor, den wir suchten. Er war sogleich bereit, mit mir zu gehen, und der Unterofficier kehrte in das Thal zurück.

Der Hauptmann und ich stiegen den Berg vollends hinauf, und als wir aus dem Walde hervor auf den kahlen Abhang

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_684.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)