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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Blätter und Blüthen.


 Straßburgs Fall und Heimkehr.[1]

Straßburg ist unser! – jubelt’s durch die Lande.
Heil diesem Tag! Noch gestern sah zum Hohn
Der Thurm Erwin’s auf uns vom andern Strande,
Und heut’ ist er des deutschen Banners Thron!
Zweihundertjähr’ge Schmach, du bist gerochen!
Deutsch bist du wieder, „wunderschöne Stadt!“
Und ganz wie einst: bezwungen und gebrochen,
So, wie die Mutter dich verloren hat. –
Das ist zur Lust, Germania, dein Schmerz:
Dort steht ein fremdgewordnes Kindesherz!

Dein war die Schuld, daß fremd es dir geworden.
Ja, treuer war kein Arm, der dich umschlang;
Du überließest den Verrätherhorden
Das treu’ste Kind – und ach, nur allzulang’!
Verbittert wandte sich seit jenen Stunden
Sein Herz dem wälschen Ruhmesleuchten zu,
Dort hat es Größe, Glück und Glanz gefunden, –
Und – eine Fremde warst ihm endlich du!
Und öffnest du die Arme jetzt zum Gruße –
Dein Kind – es tritt nach dir mit trotz’gem Fuße!

Dein ist die Schuld! Nun gilt es, zu versöhnen!
Nun gilt’s, in Lieb’ ertränken all den Haß!
Du hast so viel des Guten, Großen, Schönen –
So reiche dar ein vollgerüttelt Maß!
Doch merke, was die höchste deiner Sorgen
Für all die Wiederheimgekehrten sei:
Sie fühlen heimathfroh sich nur geborgen
In einem Vaterlande groß und frei!
Und nie und nimmer kann die Macht allein
Der Siegeslohn des deutschen Volkes sein!

Die Freiheit nur ist solchen Kampfes werth!
Ein Heimathland der Menschenrechte werde,
Was deutscher Muth errungen mit dem Schwert!
Der Erde Ehre sei die deutsche Erde!
Dann wird das eigne Blut dir, Straßburg, sagen,
Daß deutsch du bist, daheim und überall!
Deutsch werden deine Herzen wieder schlagen
Und als Erhebung preisen deinen Fall!
Ja, uns auch, Alle wird dein Fall erheben
Und so Glückauf zum neuen deutschen Leben!

 Friedrich Hofmann.



  1. Als Siegesprolog am 28. September zu Leipzig im alten Theater vom Oberregisseur Grans, im neuen Theater vom Regisseur Mittell gesprochen.




Ueber die Erstürmung der Speicherer Höhen haben wir bereits in Nr. 34 und 36 der Gartenlaube eingehende Berichte aus der Feder unserer Specialberichterstatter vom Kriegsschauplatze gebracht. Beide haben das Terrain der überaus blutigen und erbitterten Schlacht, sowie deren fortschreitenden Gang mit so klaren und sicheren Strichen gezeichnet, daß wir unserer heutigen Illustration nur wenige Worte beizugeben brauchen.

Es ist bekannt, daß die Franzosen ihre Position für geradezu uneinnehmbar hielten, wie es schien mit Recht, denn die Höhen, welche sie besetzt hatten, bildeten schon durch Gestalt und Form eine natürliche Festung, deren Unbezwingbarkeit durch vier kluftartige Einschnitte und durch die Steilheit des Abfalls wirklich verbürgt erscheinen mußte. Zu allem Ueberfluß hatte die weit übermächtige französische Besatzung – es standen zehntausend Deutsche gegen dreißigtausend Franzosen – die Höhen durch künstliche Ringverschanzungen noch befestigt, Laufgräbengürtel zogen sich rings um den Berg und lange Reihen eherner Geschütze, auf den Abhängen neben und über einander aufgestellt, spieen Tod und Verderben auf die anstürmenden Preußen. Und dennoch erklommen diese mit einer Todesverachtung, welche unsere ganze Bewunderung verdient, die Höhen, stürmten sie viermal, um sie, viermal zurückgeworfen, das fünfte Mal siegreich zu behaupten, nahmen die Geschütze, erbeuteten das Zeltlager einer ganzen Division, machten nahezu ein Tausend unverwundete Franzosen zu Gefangenen und schlugen die Uebrigen in alle Winde.

Unsere Illustration, von der Meisterhand Chr. Sell’s, stellt den Augenblick der Schlacht dar, in welchem das dritte Bataillon des neununddreißigsten Regiments und Abtheilungen des vierundsiebenzigsten und siebenundsiebenzigsten Regiments zum Sturm gegen die Speicherer Höhen vorgehen, nachdem sie den Feind aus dem Stiringer Walde vertrieben. Nur die heldenmüthige Tapferkeit, die unerschrockene, durch Nichts zu erschütternde Ausdauer unserer Truppen kam dem Ernste der Lage gleich; denn wenn auch links der bewaldete Theil der Hügelkette bereits von zwei Bataillonen des neununddreißigsten Regiments und vom zwölften Regiment genommen waren, so befanden sich doch die eigentlichen Höhen noch im Besitze der Franzosen; von dem Kamme schleuderte die feindliche Artillerie unter brüllendem Donner in weiter Linie einen tödtlichen Hagel von Geschossen auf die Anstürmenden und dreimal, bis weit herunter an den Fuß der Höhen, waren Gräben mit Brustwehren rings herum aufgeworfen, aus deren geschützter Stellung die französischen Schützen ein unaufhörliches knatterndes, rasselndes Feuer unterhielten. Die äußerste Position der Franzosen bildete in dem Augenblicke, da die oben genannten Regimenter in den Kampf um die Speicherer Höhen eingriffen, die mit Pappelbäumen besetzte Chaussee, welche von Forbach nach Saarbrücken führt und an der das Zollhaus liegt, dessen Steuerbeamte bekanntlich gleich zu Anfange des Krieges von den tapferen Franzosen in dunkler Nacht aus den warmen Betten geholt und über die Grenze geschleppt wurden.

Der Verlust der deutschen Truppen an dieser Stelle war enorm. Das zweite Bataillon des siebenundsiebenzigsten Regiments – Hannoveraner – verlor allein in sechsstündigem Kampfe zwölf Officiere und zweihundertzwanzig Mann; das Regiment im Ganzen büßte fünfundzwanzig Officiere und sechshundertzwanzig Mann ein[WS 1].

Es ist begreiflich, daß das Ziel des Kampfes bei solchen Schwierigkeiten, wie wir sie eben schilderten, nur erreicht werden konnte, indem jeder Soldat vom jüngsten Tambour bis zum commandirenden General seine äußerste Pflicht that. Wie sehr das der Fall, beweist folgende Episode aus der Schlacht, welche wir der Mittheilung eines Augenzeugen vom neununddreißigsten Regimente verdanken.

Als der Brigade-Commandeur General von François sah, daß nur die höchste Entschlossenheit es möglich machen werde, einen vor ihm liegenden, von den Franzosen besetzten Terrainabschnitt zu nehmen, zog er den Degen und rief mit lauter Stimme: „Die Officiere der neunten Compagnie!“

Die Gerufenen traten vor, der General aber befahl einem Hornisten: „Zum Avanciren blasen!“

Der wackere Hornist hatte vor wenigen Minuten das Gewehr eines gefallenen Cameraden aufgelesen, sprang damit vier bis fünf Schritte aus seiner gedeckten Stellung vor, legte ruhig an, zielte, schoß und zog sich dann immer wieder in seine Stellung zurück.

Der Befehl des Generals traf ihn, als er eben mit dem fertigen Gewehr wieder vortreten wollte.

„Excellenz,“ entgegnete er trocken, „die Kugel muß erst noch aus dem Laufe sein.“

Sprach’s, machte noch ein paar Schritte nach vorwärts, hob das Gewehr an die Wange und gab seinen Schuß ab, der – im Pulverdampfe waren Einzelnheiten kaum zu erkennen – seinen Mann nicht gefehlt haben wird. Nachdem dies geschehen, trat er wieder zurück, griff zum Horn und gab das befohlene Signal zum Avanciren.

Der General fand Gefallen an dem Braven; später meinte man, er habe ihm wohl eine Auszeichnung zugedacht. Denn der General frug ihn nach seinem Namen.

„Hasselhorst, Excellenz.“

Dann schwang der General seinen Degen und ging, von dem Hornisten, der auch jetzt noch von seinem Gewehr nicht ließ, gefolgt, der hurrahrufenden Mannschaft voran, zum Sturme vor.

Er hatte kaum ein paar Schritte gethan, als er, von sechs Kugeln durchbohrt, niederstürzte. Wenige Schritte von ihm fiel fast gleichzeitig sein tapferer Hornist, von einer Kugel in den Kopf getroffen. Der General v. François aber hatte noch so viel Kraft, Orden und Degen abzugeben, dann schloß auch er die Augen für immer.


Aus der Schlacht bei Sedan. Der Maler des heutigen Bildes berichtet uns über den von ihm dargestellten Sturm der Sachsen auf das Dorf Daigny Folgendes: „Aus dem Briefe des Königs Wilhelm an die Königin Augusta sind Sie unterrichtet, daß das zwölfte (königlich sächsische) Armeecorps am 1. September früh seine Stellung den stattlichen Dörfern Daigny und Moncelle gegenüber genommen hatte, hinter denen die Hauptmacht Mac Mahon’s, welche die Festung Sedan im Rücken hatte, aufgestellt war. Wenn jener Brief ganz besonders hindeutet auf ‚die sehr tief eingeschnittenen Schluchten mit Wäldern, welche das Vordringen der Infanterie erschwerten und die Vertheidigung begünstigten‘, so bekam ich von dieser Terrain- und Vertheidigungsweise das überzeugendste Beispiel vor Augen.

Zur Erstürmung des Hohlwegs, hinter welchem wir Thurm und Häuser von Daigny hervorragen sehen, war das Regiment Nr. 105 befehligt, dessen fünfte Compagnie dabei besonders stark im Feuer war. In nächster Nähe desselben kämpften die Regimenter Nr. 103 und 104. Im Hintergrunde unseres Bildes zur Rechten sehen wir Mannschaft vom 13. Jägerbataillon über die Felder herbei eilen. Den Unseren gegenüber standen hauptsächlich Zuaven. Um sich gegen den unaufhörlichen Kugelregen derselben zu decken, suchten auch die Unsrigen Deckung, wo und wie sie dieselbe eben finden konnten, Baum, Fels, Graben, Wagen- und Geschütztrümmer, Alles mußte dazu herhalten. Den Jägern kam ein Winzerhäuschen am Berge zu statten. Hier und in der nächsten Nähe mußten sie, wie die Infanterie, in der Hohlgasse des Vordergrundes über zwei Stunden lang Stand halten, weil sie noch nicht stark genug waren, um einen Angriff auf das Dorf selbst wagen zu können.

An diesem Winzerhäuschen fiel der Hauptmann v. Welck vom 13. Jägerbataillon; und als der Premierlieutenant v. Schönberg die Meldung davon an den Major v. Golz bringen wollte, streckte auch ihn ein Schuß durch die Schläfe todt zu Boden. Beide liegen auf dem Kirchhofe zu Daigny begraben; von diesem Grabe sächsischer Helden in fremder Erde nahm ich eine Zeichnung auf.

Im Hohlweg stieß man auf einige von unsern Granaten in Brand geschossene Munitionswagen von der berühmten Kugelspritze; todte und verwundete Pferde lagen auf und neben verwundeten und todten Soldaten, und über all’ die Leichen und Trümmer drangen die Hundertfünfer hinüber zu immer neuen Angriffen auf den Feind. Nachdem sie ihn endlich aus dem Dorfe vertrieben hatten, nahm derselbe von Neuem feste Stellung auf den gegenüberliegenden Höhen ein; der Tapferkeit des Regiments Nr. 101 mußte er auch hier weichen. In diesem Gefecht fielen die Hauptleute v. Mengersen und v. Berlepsch, Secondelieutenant v. Altrock und Vicefeldwebel Battmann. Auch ihr gemeinsames Grab in Daigny nahm ich zum Andenken im Bilde mit.

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_687.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2021)