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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Gegen halb sechs kam auch ich in das eroberte Dorf, aber offenbar noch zu früh für einen friedlichen Künstler, denn plötzlich sausten unzählige Flintenkugeln mir über dem Kopfe weg; doch dauerte diese Ueberraschung nicht lange, auch die Nachzügler räumten den Ort und uns war endlich verstattet, des gewissen Sieges uns zu freuen. Die dreizehner Jäger hatten außer vielem Kriegsmaterial und Munition auch eine Mitrailleuse erbeutet, die nun einmal noch immer zu den geschätztesten Beutestücken dieses Kriegs gehören. Groß war der Sieg, aber der Verlust an deutschen Menschenleben ist nicht kleiner und dämpft die Freude, so oft man daran denkt. Nächstens mehr.“[1]


Ein Standhafter. Es war am Tage der Schlacht von Mars la Tour und Vionville. Leider hatte meine Abtheilung statt in den Kampf eintreten zu dürfen, den Auftrag erhalten, die Wagencolonne von Pont à Mousson nach Thiaucourt zu begleiten. Als wir das kleine Städtchen im Thale mit seiner schmalen, abschüssigen Bergstraße erreicht hatten, langten bereits die ersten Wagen mit Verwundeten an. Wir fragten nicht erst nach dem Ausgange der Schlacht, nach unseren Verlusten, sondern griffen wacker zu, trugen die Verwundeten behutsam von den Wagen in das Lazareth und theilten ihnen aus Brodbeutel und Tornister unaufgefordert alle unsere Schätze mit. Nicht lange, so waren die Schule neben der Kirche und der Saal in der Mairie, der als Bureau für das Hauptquartier bestimmt war, mit Verwundeten überfüllt, und die Aerzte konnten ihre Operationen beginnen.

Ganz zuletzt, weit nach Mitternacht, bot Dr. Ritterfeld aus Berlin, Arzt bei der freiwilligen Krankenpflegercompagnie der Johanniter, seine geschickte Hand in der Kirche von Thiaucourt einem originellen, braven Verwundeten, dem Gefreiten Stert der 5. Compagnie des 20. Regiments. Dieser hatte einen Schuß durch den linken Nasenflügel und den Oberkiefer derselben Seite, von dort in den rechten Oberkiefer und dann in den rechten Unterkiefer erhalten. Die benannten Knochenpartien waren sämmtlich zerschmettert und die in dem Unterkiefer festsitzende Chassepotkugel wurde von Dr. Ritterfeld herausgeholt. Bei der Untersuchung fand der Arzt, daß die vorderen Seiten der Oberkiefer und die Gaumenknochen, sowie sämmtliche obere Zähne fehlten. Er konnte mit dem Finger bis an die untere Augenfläche reichen; die Zähne des linken Unterkiefers schlotterten im Munde umher. Auf die Frage des Arztes, wo denn die fehlenden Knochen geblieben seien, griff Stert in einer Anwandlung von Humor in die Rocktaschen und holte die vermißten hervor. „Sie baumelten,“ sagte er, „mir gar so widerwärtig im Munde herum, und da habe ich sie mir mit dem Taschenmesser ganz abgeschnitten.“ Stert, der den dargereichten Wein nur mit größter Mühe durch die Halsmuskeln in seinen Magen brachte, sprach natürlich höchst unverständlich. Er erzählte:

„Ich bin von Vionville bis hierher ganz allein gegangen. Wenn ich umfallen wollte, dann sagte ich im Stillen zu mir: Hundsfott, willst du weiter! So bin ich denn bis in diese Kirche gekommen. Ach, was wird nun meine Braut sagen! Ob ich sie wohl wieder ordentlich küssen kann? Aber die Franzosen soll das Donnerwetter holen! Herr Doctor, kann ich denn wohl in vierzehn Tagen wieder mit?“

Der Arzt war über diese Standhaftigkeit und diesen Muth so gerührt, daß er erwiderte: „Komm’, Stert, Du sollst einen Kuß haben!“ Dann legten sie sich auf’s Stroh und schliefen Beide auf den Stufen des geweihten Altars.

Als ich am Morgen des Siebenzehnten ganz früh die kleine Kirche betrat, schliefen die Verwundeten alle so fest und sanft, daß ich leise zurücktrat und den jungen Geistlichen fast mit Gewalt hinausführte, der über die Entweihung seines Gotteshauses ein sehr entrüstetes Gesicht zeigte. W. P.


„Und gebe Dir seinen Frieden!“ Das sind die letzten Worte des Segens, die wir aus dem Munde des Geistlichen auf unserem Bilde aus dem Kriege vernehmen. So wirft die eiserne Faust des „Schlachtengottes“, den der gefährlichste Wahn anbetet, Freund und Feind auf einen Karren, einen Strohhaufen zusammen; die sich gehaßt und gewürgt, da kauern und liegen sie, alle still und fromm geworden.

„Diesen Leiterwagen,“ schreibt Freund Paul Thumann, dem wir die schöne Illustration verdanken, „sah ich während der Schlacht bei Wörth aus der Gefechtslinie rückwärts in Sicherheit bringen. Baiern und Preußen lagen, alle drei betend, um einen Cameraden, dem soeben der Tod das Auge brach. Selbst der abseits sitzende Turco faltete wenigstens die Hände. Das letzte Stündlein war ihm rasch gekommen. Der Wagen hielt plötzlich, eiliger Hülfe gewärtig; aber kein Arzt, sondern der Feldpater bestieg ihn zu einem raschen Gottesdienste, wie’s der Krieg befiehlt. Ein kurzes Gebet und den Segen – nun stirb, Soldat, und laß dich ruhig betten! – Die treuen wunden Cameraden hören seinen Athem und drücken dem Todten die Augen zu. Gott tröste die Seinen!“


Für die Verwundeten und die Frauen und Kinder unserer unbemittelten Wehrleute

gingen wieder ein: Montagsgesellschaft in Mutzschen 10 Thlr.; A. in X. 8 Thlr.; Albert Schulz in Leipzig, zweiter Beitrag 10 Thlr.; zweiter Beitrag der Deutschen in Venedig, durch Fischer u. Rechsteiner 73 Thlr. 5 Ngr.; Schule in Kützkow 1 Thlr.; Erlös für Arbeiten von den Zöglingen des Kindergartens in Aschersleben 12 Thlr. 10 Ngr.; B. S. in Dresden 3 Thlr.; drei Deutsche aus Schlüchtern 3 Thlr.; collectirt in St. Petersburg an einem Geburtstage 21 Thlr. 20 Ngr.; aus Apolda von Gretchen und Helene für verkaufte Champignons 1 Thlr.; Sammlung bei den Arbeitern, Schachtmeistern und Beamten auf meiner Entreprise der Elm-Gmündner Bahn, der Bauunternehmer Rehorst 40 Thlr.; mit dem Motto:

Du wohnst so ruhig, Bürger, Tag und Nacht,
Gedenk’ des Kriegers auch in ferner Schlacht.

1 Thlr.; drei Prediger in Hermannstadt 2 Thlr.; Gesangverein Liederkranz in Falkenstein i. V. durch J. Gessinger 20 Thlr.; Ertrag einer Lotterie von den Schülerinnen von O. u. J. Hahmann 10 Thlr.; Comtoirist Peters in Rendsburg 10 Ngr.; aus Zürich, mit dem Motto: Sieg des Rechtes und der Wahrheit über Anmaßung und Trug 50 Thlr.; ein deutsches Mädchen in Brüssel 1 Thlr.; Capellmeister M. Riccius in Beschetzk (Gouvernement Twer) 5 Thlr.; von den Deutschen einer russischen Stadt zusammen 64 Thlr., und zwar: von E. Th. L. 3, N. N. 10, E. A. 3, J. E. 4, H. S. 5, Egs. 8, J. L. 2, L. F. 3, Joh. F. H. 5, F. St. 2, G. E. 5, A. u. M. 2, W. W. u. F. K. 6, F. A. E. 5, P. A. 3, C. A. 10, M. A. 3 Rubel; R. S. in Sebnitz 3 Thlr.; Jeanette Gottschall 3 Thlr.; B. Schiffner in Stettin 2 Thlr.; achter und neunter Wochenbeitrag des Personals von Schelter u. Giesecke 51 Thlr. 22 Ngr.; C. Bocke in St. Petersburg 25 Thlr.; sechste u. siebente Wochensammlung der Klinckhardt’schen Buchdruckerei 12 Thlr. 2 Ngr.; siebente und achte Wochensammlung der Drugulin’schen Buchdruckerei 4 Thlr. 26½ Ngr.; von einem Artillerieofficier, der die Schlachten von Forbach, Pange und Gravelotte mitgekämpft 2 Thlr.; von einem deutschen Holländer in Haag 10 fl. holl.; zweiter Beitrag von F. Nitsche in Moskau 10 Rubel; Inspector Andersen in Moskau 5 Rubel und von dessen Kindern Toni u. Otto 3 Rubel; die in Kutais (im Kaukasus) ansässigen Deutschen 100 Rubel; aus Zürich, mit dem Motto: So lang’ es Tag ist, wirk’! 1[?]0 Francs; B. B. in Moskau 25 Rubel; aus der Sparbüchse der Kinder des Doctor Röber in Strehla 1 Kr.-Thlr.; ein Deutscher in Bradford 8 Thlr. 11 Ngr.; einige Deutsche in Wilna, durch F. Kl. 31 Rubel; Verein junger Kaufleute in Buchholz 10 Thlr.; von drei Soldaten in Sangerhausen, Wehner, Braun und Tettenborn, denen es nicht vergönnt ist mitzufechten, 3 Thlr., mit den Worten:

„Zwar wenig ist’s, doch wird’s mit Liebe
Aus treuem Herzen dargebracht.
Wenn Rothschild unser Vetter wäre,
Dann hätten wir’s vertausendfacht.“


Aus Oesterreich an weiteren reichen Gaben: Zweiter Beitrag von Dr. Goebbel in Kronstadt 10 fl.; Wiener Tischgesellschaft die „Höhle“ 50 Frcs. Pap.; aus Schäßburg, durch die Herren J. Mütz, Franz Wultschner und Karl Gleim laut Liste 234 fl.; nur Deutsch, aus Wien 3 fl. und 1 Thlr.; Fräulein L. H. aus Hermannstadt, „den Hütern des Rheins“ 10 fl.; ein guter Deutscher O. Hr. aus Roßbach 2 fl.; im Auftrage einiger Landleute aus Weißkirch und Dürrbach (Siebenbürgen) 9 fl.; Sammlung aus Hohenelbe (Böhmen) 43 fl. 40 kr. und der Leseverein in Hohenelbe nachträglich 3 fl. 90 kr.; S. in Rchbg. 2 fl.; vom Asch-Neuhausner Bier-Club 44 fl. 80 kr. und 15 fl. 22½ kr. rhein.; vom Männergesangverein in Asch, nachträglich 2 fl.; von drei Schwestern in Siebenbürgen 3 fl.; von P. P. Pf. B. K. R. S. Ti. in Wien 10 fl.; Sammlung in Rudnik, bei Nisko in Galizien, durch den k. k. Oberlieutenant Graf Kielmannsegge 235 fl.; kleine Tischgesellschaft in Falkenau, durch Dr. Friedl 4 fl.; eine Liebesgabe der deutschen Oesterreicher in Horn (Niederösterreich) 51 fl.; aus Wien von Frau R. Schiske 20 Frcs., W. Heckel 20 Frcs., H. Prager 20 Frcs., Ferd. Schmertosch 20 Frcs.; Fr. Kollmann in Temeswar 5 fl.; H. Schneider in Wien 5 fl.; Turnverein in Bregenz 16 fl.; erster Krankenunterstützungsverein in Roßbach 16 fl.; die deutsch-technische Burschenschaft Teutonia in Brünn 20 fl.; Deutsche aus Rebs in Siebenbürgen, durch Apotheker J. Melas 115 fl. 30 kr.; Reinertrag einer Männergesangsproduction in Hermannstadt 160 fl.; eine deutsche Tischgesellschaft in Breßler’s Gasthaus in Hermannstadt, mit dem Motto: „Deines Geistes habe ich einen Hauch verspürt“ 240 fl.; von den deutschen Bewohnern in Broos (Siebenbürgen), durch A. Amlacher 336 fl. 40 kr., 3 Thlr., und 10 Frcs.

Gott lohne den braven Siebenbürgern ihre Anhänglichkeit an Deutschland und ihre treue Opferwilligkeit für ihre kämpfenden Brüder. Deutschland wird den fernen Landsleuten das niemals vergessen!

Nachträgliches Ergebniß einer Privatsammlung in Salzburg 301 fl. 30 kr., 2 fl. rhein. und 1 Thlr. mit dem Bemerken:

„Wollen Sie hierin zugleich den vollgültigen Beweis sehen, daß im Kronlande Salzburg das Herz noch warm für die deutsche Sache schlägt und daß nur Böswilligkeit und Gehässigkeit eine solche Lüge (nämlich Illumination in Folge eines vermeintlichen französischen Sieges), wie sie in Nr. 35 Ihres Blattes zu lesen war, verbreiten konnte.[2] Um einem derartigen Gebahren nun entschieden zu begegnen, knüpfen die Unterzeichneten, als Comitémitglieder und als Bürgen für die wahrhaft deutsche Gesinnung des Kerns der Bevölkerung, an die Abgabe obigen Betrages die Bedingung, daß Sie diese Zuschrift wörtlich verlautbaren.

Salzburg, den 16. September 1870.

Ascan Conrad. Aug. Hartmann. Theodor Klein. Bruno Wahl. August Höcker.“

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
  1. Unser Künstler, Herr F. W. Heine aus Leipzig, hat, durch besondere Verhältnisse dazu bewogen, fast allen Schlachten und Gefechten des königl. sächsischen (zwölften) Armeecorps beigewohnt und war deshalb in der Lage uns mit eigenen Augen Gesehenes bildlich mitzutheilen. Das vorliegende Bild zeigt auch dem Laien, daß er hier keine zu Hause gemachte Waare, sondern die Wahrheit des Erlebten vor sich hat.
  2. Der Wochen-Chronist hat eben nur berichtet, was in allen deutschen Zeitungen zu lesen war. Die Redaction.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_688.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)