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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Koltoff sah in sich ein Spielzeug, das die schöne Lubina zu ihrem Zeitvertreibe benutzt und dann weggeworfen hatte. Alles, was die Natur des Mannes ausmacht, empörte sich in ihm bei diesem Gedanken, und es ist natürlich, daß er im ersten Augenblicke, wo er das schöne hochgewachsene Mädchen mit den wunderbaren blauen Augen sah, es liebte und beinahe in dem nächsten schon es demselben gestand. Der Eindruck, den der junge Capitain auf Sophia machte, war auch kaum weniger günstig. Das cameradschaftliche Verhältniß erleichterte die Annäherung, und so waren Koltoff und Fräulein von Narischkin bald unzertrennlich, und sie fanden es beide so natürlich, sich zu lieben, daß sie vollkommen darauf vergaßen, es sich zu sagen und sich über ihre Absichten für die Zukunft zu verständigen.

Um so mehr beschäftigte sich die Welt mit derselben, und man nannte Fräulein von Narischkin längst die Braut des Capitains Koltoff, ja man bezeichnete schon den Hochzeitstag, ehe die Liebenden über den ersten Kuß hinaus waren.

Das Gerücht drang natürlich auch zu der Fürstin Mentschikoff, und die schöne Frau entdeckte plötzlich, daß sie den Mann, den sie so raffinirt auf die Probe gestellt, den sie selbst von sich gestoßen, mit der heftigsten Leidenschaft liebte; sie verzehrte sich vor Eifersucht und war sofort entschlossen, Alles aufzubieten, um ihn wieder zu ihren Füßen zurückzuführen. Er liebe sie noch immer, sagte sich ihre Eitelkeit, nur weil sie ihn so schlecht behandelt, habe er sich aus Verzweiflung in die Arme einer Anderen geworfen. Welche Reize konnte das simple Landmädchen für ihn haben! Ein Wink von ihr, dem schönen, eleganten, geistvollen Weibe, und er war ihr Sclave wie zuvor.

Sie schrieb an ihn, indeß noch immer hochmüthig, wenige Zeilen nur, sie erlaube ihm zu kommen. Aber Koltoff war unartig genug, von der Erlaubniß keinen Gebrauch zu machen. Sie schrieb ein zweites Mal, es klang schon wie Entschuldigung, und als Koltoff dennoch nicht kam, bat sie ihn um Vergebung und bat ihn zu kommen. Koltoff gab noch immer kein Lebenszeichen. Da war der Stolz der schönen Coquette gebrochen; sie hatte den Mann, den sie liebte, dessen Besitz ihr zu ihrem Glücke unentbehrlich schien, für sich verloren, und noch dazu verloren an eine Andere, die ihn liebte und die er wieder liebte. Sie schrieb noch einmal. Sie gestand ihre Liebe, sie verrieth ihre Leidenschaft, ihre Eifersucht und sie flehte um eine Unterredung.

Koltoff erwiderte in ebenso höflicher wie entschiedener Weise, er habe der Fürstin nichts zu sagen, und nichts, was es auch sei, was sie ihm etwa mitzutheilen hätte, könne jetzt noch die Situation ändern. Wie sie über ihr Ideal längst enttäuscht sei, so sei er fern von seinen früheren Illusionen, fern davon, sie noch anzubeten. Er bitte sie also, auf die gewünschte Unterredung zu verzichten.

Eine Laune des Zufalls wollte es indeß, daß Koltoff zwei Tage, nachdem die Fürstin seine Antwort empfangen hatte, ihrer Carosse in einer engen Gasse begegnen mußte, wo ein Ausweichen unmöglich war.

Die Fürstin ließ halten und wartete nicht ab, bis der Lakai herabsprang; sie beeilte sich, den Schlag selbst zu öffnen und Koltoff beide Hände entgegenzustrecken.

Der Capitain nahm sie jedoch nicht, sondern verneigte sich mit kalter Artigkeit, und nachdem er sich über das Befinden der Fürstin beruhigt hatte, entfernte er sich rasch mit einem ebenso ceremoniellen Gruße.

Die Fürstin aber warf sich in eine Ecke des goldverzierten Wagens und weinte.




Dem kurzen russischen Herbst war ein strenger Winter gefolgt; die nordische Capitale hatte sich in ihren weißen Schneepelz gehüllt; die armen Leibeigenen, die Kleinbürger, rückten in ihren Isbi und in den Branntweinschenken zusammen, die Reichen und Großen an den Kaminen ihrer Paläste; Concerte wechselten mit Theatervorstellungen, Gesellschaften mit Bällen ab. Die Fürstin Lubina Mentschikoff schien ihren flüchtigen Anbeter vergessen zu haben, und Koltoff und Fräulein von Narischkin waren noch immer kein Brautpaar. Der Verfasser des Buches „Der Mensch und die Natur“ hatte indeß ein neues Buch „Betrachtungen über die Fortschritte des menschlichen Geistes“ mit Hülfe des französischen Tanzmeisters Monsieur Perdrix vom Stapel gelassen und damit die Aufmerksamkeit der Petersburger Bureaux d’esprit und der Kaiserin Katharina der Zweiten in noch höherem Maße auf sich gezogen.

Auf dem ersten Hofballe dieses Winters erschien er denn auch mit einem ganz neuen Bewußtsein, mit dem, für einen kenntnißreichen und geistvollen Mann zu gelten, von der Gunst der Czarin wie von einer Glorie umgeben. Er verlor sich auch diesmal nicht wie sonst im glänzenden Schwarme der Cameraden, mit ihnen die Damen betrachtend, ihre Toiletten bewitzelnd und ihre Chronik recapitulirend, sondern gesellte sich zu einigen gewiegten Diplomaten und gefeierten Gelehrten der Petersburger Akademie der Wissenschaften.

Die Stirn in tiefe Falten gelegt, hatte er sogar für Sophia von Narischkin, welche bald nach ihm eintrat, nur einen höflich kühlen Gruß und schien die Fürstin Mentschikoff, welche stolz an ihm vorüberrauschte nicht einmal zu bemerken.

Im Gedränge fügte es sich, daß sich die beiden Nebenbuhlerinnen das erste Mal gegenüberstanden und feindselige Blicke wechselten. So prächtig, ja berauschend die Erscheinung der Fürstin in ihrer schweren weißen mit Rosenbouqueten in farbiger Stickerei bedeckten Robe, ihrem blitzenden Diamantenschmuck war, so konnte Sophia doch den stechenden drohenden Blick ihrer schwarzen Augen ruhig aushalten und spöttisch lächeln, denn sie war ja die Siegerin, und die Besiegte gestand es sich zu, daß dieses schlanke Mädchen mit den großen treuen naiv fragenden Augen bezaubernd war.

Das kurze Tête à Tête der Damen wurde durch den Eintritt der Czarin unterbrochen. Alle Blicke wandten sich der schönen genialen Monarchin zu, welche in natürlicher ungezwungener Majestät durch den Saal schritt.

Katharina die Zweite war noch immer schön und sie verstand es wie keine andere Frau sich immer so zu kleiden, daß ihre Schönheit zur siegreichsten Geltung kam.

Sie trug ein veilchenblaues Sammtkleid, dessen viereckiger, mit Hermelin besetzter Ausschnitt ihre herrliche Büste blendend hob. Streifen von Hermelin, durch Cocarden desselben Pelzwerkes unterbrochen, liefen bis zu dem Saum des Gewandes, der breit mit Hermelin ausgeschlagen in reicher Schleppe zurückfloß. Das hochaufgekämmte, schneeweiß gepuderte Haar trug eine kleine Nadel von Diamanten mit dem griechischen Kreuz, zwischen den Löckchen, welche auf der Stirne niederfielen, zitterten einzelne Diamanten gleich Thränen.

Die Kaiserin schien heute Abend in besonders guter Laune, sie erwiderte die ehrfurchtsvollen, beinahe demüthigen Grüße ihres Hofes mit huldreicher Herablassung, richtete, ein reizendes Lächeln um den kleinen Mund mit den vollen Lippen, an verschiedene Personen das Wort und begann endlich in liebenswürdig scherzendem Tone ein längeres Gespräch mit dem Zoologen Lagetschnikoff, welcher zu gleicher Zeit eines der bekanntesten Mitglieder der Petersburger Akademie der Wissenschaften und der schönste Mann Rußlands war.

Das Orchester eröffnete den Ball, wie es damals im slavischen Osten Sitte war, mit einer Polonaise. Die Kaiserin nahm den Arm des Grafen Panin und schritt mit ihm an der Spitze der Colonne. Der zweite Tanz war die Menuette.

Die Fürstin Lubina Mentschikoff, durch den Anblick ihrer Nebenbuhlerin und die Gleichgültigkeit Koltoff’s, welcher sie, die gefeierte Schöne, die stolze Herrin von viertausend Seelen, zu übersehen wagte, auf das Aeußerste aufgebracht und gereizt, griff jetzt zu dem letzten tyrannischen Mittel, um sich dem Manne zu nähern, der noch vor Kurzem ihr unterwürfiger Sclave gewesen war, sie machte von ihrem Rechte als Hofdame und Fürstin Gebrauch und befahl den Capitain zum Tanze.

Koltoff aber beging das Unerhörte, nie Dagewesene, diesem Befehl nicht Folge zu leisten, er entschuldigte sich bei dem Kammerherrn, welcher ihm denselben überbrachte, und – tanzte mit Sophia Narischkin, welche an diesem Abende alle Damen des Hofes in Schatten stellte und der Gegenstand allgemeiner Bewunderung war. Dies war zu viel.

Das Orchester hatte nur wenige Tacte der Menuette gespielt, als die Fürstin Mentschikoff, ihrer selbst nicht mehr mächtig, die Reihen der Tanzenden durchbrach, um Fräulein von Narischkin zu insultiren.

„Ich habe Sie zum Tanze befohlen, Capitain,“ sprach die zuerst zu Koltoff gewendet, „und Sie wagen es –“ weiter kam sie nicht, die Wuth erstickte ihre Stimme.

„Ich gehorche einem frühern Befehl des Fräuleins von Narischkin,“ erwiderte Koltoff kalt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_691.jpg&oldid=- (Version vom 10.6.2019)