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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Blätter und Blüthen.


Von einem „Steinmetzen“. (Mit Abbildung.) Auch heute ist es ein alter Bekannter, welchen wir, wiederum von der Meisterhand Camphausen’s gezeichnet, unseren Lesern im Bilde vorführen. Schon im Jahre Sechsundsechszig war es der General Karl Friedrich von Steinmetz, dessen Name vor allen anderen Armeecorpsführern zuerst mit lautem Jubel gefeiert wurde, weil an ihn sich die erste Siegesnachricht aus Böhmen knüpfte. Die blutigen siegreichen Gefechte bei Nachod, Skalitz und Trautenau sind unter seiner Führung geschlagen worden und schon sie bewiesen, daß er, der alte Kämpfer aus der Zeit der Befreiungskriege (Steinmetz ist schon im Jahre 1796 zu Eisenach geboren) nach Recht und Verdienst mit dem eisernen Kreuz geschmückt war. Damals ging ein wahrer Steinmetz-Enthusiasmus durch die Armee, und das Bild vom „Steinmetzen“, der mit seinen vielen Gesellen so wacker drein gehämmert hat, kehrte in allen Liedern und Weisen wieder, welche, rasch wie die Siege selbst, diesen auf dem Fuße folgten.

Nach dem Kriege von Sechsundsechszig, welcher dem General von Steinmetz den Adlerorden und eine bedeutende Dotation einbrachte, sandte ihn das öffentliche Vertrauen in den norddeutschen Reichstag, wo er, natürlich nur im strengconservativen Sinne, sprach und stimmte.

Der ausbrechende Krieg dieses Jahres, der unsere braven Truppen nunmehr schon bis unter die Mauern von Paris geführt hat, verschaffte dem alten, aber jugendlich rüstigen Herrn den Oberbefehl über die deutsche Nordarmee, deren Spitze zunächst bei Saarbrücken mit dem Feinde Fühlung nahm. Nicht lange aber vermochte der feurige Führer, zu dessen Heldenmuth und eiserner Tapferkeit die Soldaten unbedingtes Vertrauen hatten, stille zu halten. Er brach los und erstürmte mit dem achten Armeecorps, dessen General, von Goeben (auf unserer Illustration dem General von Steinmetz zur Linken, während v. Zastrow, der Commandant des siebenten Armeecorps, auf dessen rechter Seite sichtbar ist) auch hier seine schon 1866 erprobte Tüchtigkeit glänzend bewährte, die Speicherer Höhen – eine heroische That, die mit der völligen Auflösung des Frossard’schen Corps endigte und heute noch in Aller Erinnerung ist. Nicht minder bekannt aber ist auch das Aufsehen, welches die plötzliche, Mitte September erfolgte Enthebung des Generals v. Steinmetz von seinem Posten als Befehlshaber der ersten Armee und seine Ernennung zum Generalgouverneur von Posen gemacht hat.

Wir übergehen die mancherlei Vermuthungen, welche zur Deutung dieses unerwarteten Vorgangs aufgestellt wurden, und begnügen uns von der Versicherung eines der Regierung nahestehenden Blattes Act zu nehmen, welches „die einfache Erklärung darin findet, daß bei der Metz cernirenden Armee ein einziges Obercommando nicht allein als ausreichend erachtet werden mußte, daß vielmehr die Zwischen-Instanz eines zweiten Armee-Obercommandos in mehrfacher Hinsicht nur verzögernd wirken konnte.“ Man hat, fügt das Blatt bei, an maßgehender Stelle dem ehrwürdigen General, dessen Ruhm und Verdienst für die Größe seines Vaterlandes wohl für alle Zeiten gesichert ist, eine wohlverdiente, ruhigere Thätigkeit zuweisen wollen, indem man ihn an seinen heimatlichen Herd zurückkehren ließ. Diese Versicherung des officiösen Blattes in Ehren, erwähnen wir nur noch, daß in der allerjüngsten Zeit noch eine andere Wendung aufgetaucht ist, nach welcher die Regierung den General von Steinmetz lediglich deshalb in die Ostprovinzen geschickt habe, um für gewisse politische Möglichkeiten einen berufenen, sichern und befähigten General an der Grenze zu wissen. In diesem Falle könnten wir der Regierung zu ihrer Wahl nur Glück wünschen.




Am Abend des 31. August in Beaumont. (Mit Abbildung.) Von unserem Künstler, Herrn Fr. Wilh. Heine, erhielten wir aus Rethel einen Brief, welchen wir zu nachstehender Mittheilung benützen:

„Die Zeichnung, welche ich Ihnen heute in der Beilage schicke, führt Ihre Leser zwar zu den letzten Tagen des August zurück, anstatt ihre Sehnsucht nach Pariser und Straßburger Bildern zu erfüllen; der Erfolg weist jedoch jenen Gefechten in der Geschichte dieses Krieges eine so ausgezeichnete Stelle an, daß wir das Terrain schon genauer ansehen dürfen, das für uns zu Siegesfeldern wurde.

Ihre Leser müssen sich im Geist in die Zeit zurückversetzen, wo Frankreichs Hoffnung nur noch auf Mac Mahon und den im Lager von Chalons neuzubildenden Armeen beruhte, nachdem Bazaine mit seiner Armee in Metz eingeschlossen war. Als damals die Kunde kam, daß Chalons plötzlich von Mac Mahon und Napoleon verlassen sei und daß die nördliche Schwenkung derselben den Plan verrathe, zwischen der neuen „vierten Armee“ des Kronprinzen von Sachsen und der belgischen Grenze hin Metz zu erreichen und durch Entsetzung Bazaine’s eine Vereinigung der französischen Heereskraft zu bewirken, galt es den französischen Marschall, falls er wirklich den verwegenen Zug ausführte, so von drei Seiten zu umklammern, daß er eine Schlacht auf dem ihm ungünstigsten Terrain und gegen bedeutende Uebermacht annehmen mußte.

Und so geschah es. Am 29. August standen die Corps der französischen Armee auf beiden Seiten der Straße von Le Chêne nach Stenay – und ihnen gegenüber breiteten die deutschen Truppen sich von Grand-Pré bis Stenay aus, wo die Avantgarden dem Feinde gegenüberstanden. Das erste Gefecht lieferten ihm die Sachsen bei Nouart, um ihm den Vormarsch gen Osten hin zu verriegeln. Mac Mahon war dadurch „gestellt“, er hatte nur noch zu wählen, ob er sich dies- oder jenseits der Maas schlagen wolle. Während er aber, letzteres vorziehend, über die Maas setzte, packte der Kronprinz von Sachsen ihn noch beim linken Flügel. unweit Beaumont. Hier begann die Reihe von Gefechten, welche von da sich nach Mouzon hinzogen, um bei Sedan zu enden.

Dem Kampfe bei Beaumont wohnte König Wilhelm auf einem Hügel über dem Dorfe Sommauthe bei, wo sich ein großer Theil des Schlachtfeldes übersehen ließ. Ihm gegenüber befand sich Napoleon mit seinem Sohn. Trotz aller bisherigen Erfahrungen herrschte bei den französischen Vorposten noch der alte Leichtsinn, sonst würde es unserer Artillerie unmöglich gewesen sein, drei Lager derselben zu überfallen und mit Granaten zu beschießen, während die Officiere sich in der Stadt Beaumont gemüthlich beim Essen amüsirten und die Soldaten mit Abkochen beschäftigt waren.

Ich kam am Tage nach der Schlacht von einem Besuch des Schlachtfeldes gegen Abend nach Beaumont. Welch’ ein Anblick! Welches Durcheinander! Auf allen Gassen durchmarschirende deutsche Truppen und Verwundetentransporte, Flüchtlinge mit ihrem geretteten Hab’ und Gut, bald auf Karren, bald auf Mauleseln, bald auf dem Rücken, dazwischen Reitertrupps und Wagenzüge, überall hastige Bewegung, beleuchtet von mehreren helllodernden Häusern, die von den Franzosen in Brand geschossen worden waren.

Todtmüde kam ich endlich zu dem Platz vor der Kirche, wohin besonders der Strom der Verwundeten sich lenkte. Und da lagen sie, Freund und Feind im Schatten des Gotteshauses, das, wie sie, die Spuren der Kugeln und Granaten trug. Das ist der Anblick, den Ihnen mein Bild bietet und der wohl Tausenden unsrer Krieger, wenn ihnen dieses Blatt später, im Schooß des Friedens, einmal in die Hand kommt, eine dann nach überstandener Gefahr gewiß wohlthuende Erinnerung erwecken wird. Die Kirche ist ein Bau von reicher Architektur, im Style gothisch mit romanischen Anhängseln. Jetzt strich der Wind durch ihre Hallen, die Fenster waren zerschmettert, und was ringsum zu den Ohren drang, waren nicht die frommen Laute des Betens und Singens, sondern die Wehschreie der Verwundeten, das Weinen und Wimmern von Frauen und Kindern, das Commando der Führung und der Fluch der Verzweiflung. Meine Zeichnung kann Ihnen nur einen Augenblick andeuten, gleichsam die plötzlich erstarrte Bewegung; denken Sie sich in jedem Augenblick das Bild verändert und nur den Hintergrund, bei der Kirchmauer, mit den Statisten des Elends besetzt, so bekommen Sie vielleicht eine schwache Vorstellung von dem, was ich dort vor Augen hatte. Das volle Bild dieses aufreibenden Krieges giebt Ihnen weder Stift noch Griffel. Die Wirklichkeit ist so großartig gräßlich und mannigfaltig, daß die erregteste Phantasie hinter ihr zurückbleibt. Nur wer es sah, kennt es, sonst Niemand!“




Ein zerstörter Sommeraufenthalt der Pariser. (Mit Abbildung.) Aus Lagny erhalten wir zugleich mit unserer heutigen Illustration folgende Zeilen: „Wie würde der gute Pariser staunen, wenn er heute sein liebes Lagny sehen könnte, das gleich Champigny, Montmorency, Enghien und anderen im Umkreise der französischen Hauptstadt gelegenen reizenden Orten ihm alljährlich zum heitern Aufenthalt während der schwülen Sommermonate dient. Er würde diesen allerliebsten Ort kaum mehr erkennen. Denn wenn auch die weißen Häuser und Villen überall noch aus den grünen Gärten und den buschigen Parkanlagen verlockend herausschauen, so ist doch die kleine, sonst so anmuthig belebte Stadt, die gegenwärtig einen Theil des Hauptquartiers des Königs von Preußen beherbergt, von den Bewohnern so gut wie verlassen, und abgesehen von den Soldaten, die sich überall wohnlich eingerichtet haben und aus den Fenstern und Thüren der Häuser wie aus ihrem Privateigenthum heraussehen, ist kaum eine menschliche, französisch getaufte Seele männlichen oder weiblichen Geschlechtes zu entdecken.

Zu allem Ueberfluß bieten die Ufer der das Städtchen durchströmenden Marne das Bild der wildesten Zerstörung. Zwei Brücken, die hier über den Fluß führten, sind von dem französischen Geniecorps gesprengt worden, in reinem Unverstand und ohne allen Nutzen. Die eine dieser Brücken, die aus eisernem Fachwerk construirt und deren einer Tragpfeiler auf solche Weise zerstört worden war, hatte sich in Folge dieses Vernichtungswerkes so gesenkt, daß sie einer Rutschbahn nicht unähnlich sah und am andern Ufer erst im Wasser verlief. Hier allerdings waren Pionniere bemüht gewesen, mit Brettern und ähnlichen einfachen Hülfsmitteln die Passage wenigstens trocken zu halten, und so sah sich denn selbst der König am Abend des 19. September genöthigt, die Brücke in dieser Weise mit allen seinen Wagen zu passiren. Letztere mußten von den Soldaten getragen, die Pferde aber, ausgespannt, sorgfältig über die Brücke geführt werden. An den Ufern standen Fackelträger, und deren glührotes Licht beleuchtete durch die dunkle Nacht in höchst effectvoller Weise den Uebergang und die umherliegenden Häuser und die still dahinrauschenden Wellen der Marne.

Von einer zweiten Brücke, die weiter oben gestanden war, erblickt man nur noch links und rechts massive Steinklumpen; die Pfeiler selbst sind gleichfalls in die Luft gesprengt worden, nicht ohne in weitem Umkreis die Wände der Häuser zu beschädigen, die Dächer einzuschlagen und die Fenster zu zertrümmern. Sieht man durch letztere in das Innere eines Wohnzimmers, so bietet sich kaum ein geringeres Bild der Verwüstung – zerbrochene Möbel, zerstreute Wäsche und alle jene abscheulichen Spuren, welche eine wilde, besinnungslose Flucht der Einwohner zu begleiten pflegen.

Ich selbst hatte am Ufer der Marne von einem Hause, das noch am einladendsten aussah, am Morgen meiner Ankunft Besitz genommen. Wie man das im Kriege macht? Man überzeugt sich erst von der Wohnlichkeit des Hauses, schreibt dann Namen und Stand mit Kreide an die Thüre, schließt das völlig verlassene, unbewohnte Haus auf beste Weise und steckt den Schlüssel, sofern ein solcher da ist, zu sich. Das hindert freilich nicht, daß man in der Nacht hundertmal von pochenden und lärmenden Soldaten geweckt wird, die in’s Haus zu dringen suchen, die über irgend Etwas Auskunft verlangen, die in dem bescheidenen Gelaß durchaus ein Wirthshaus oder eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_706.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)