Verschiedene: Die Gartenlaube (1870) | |
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seltene Ausnahmen. Bei Weitem den Meisten von den Tausenden,
die das Lager füllen, schien alles Bewußtsein ihrer Situation zu
fehlen; leichtherzig und leichtblütig amüsirten sie sich, wie sie eben
konnten, und lauerten vor Allem auf die Spenden von Seiten des
außerhalb des Cordons aneinandergepferchten Publicums. Solche
Spenden blieben auch nicht aus. Ganze Körbe voll Weißbrod,
Metzen von Birnen und Pflaumen, Hunderte von Cigarren wurden
ihnen über die Schnur herübergeworfen. Und da rauften nun die
Blau- und Rothhosen darum, da reckten sie die Hälse und zappelten und capriolten, da fletschten sie lüstern die Zähne, da hielten sie
die Hände in die Luft ganz wie die Bewohner der Affenhäuser
in unseren zoologischen Gärten. Das Schauspiel hatte für mich
etwas unbeschreiblich Abstoßendes, und Geber und besonders
Geberinnen, die sich über diese Meerkatzensprünge schier todtlachen
wollten, schienen mir von den beiden Theilen der abstoßendere zu
sein. Viel besser gefielen mir die Spiele, welche an verschiedenen
Stellen in’s Werk gesetzt wurden. Unser Dreimannhoch, Blindekuh, Haschen, das Alles sah ich sich entwickeln und mit unvergleichlicher Gewandtheit und endloser Lust von Statten gehen.
Die armen Leute! Aller ernsten Beschäftigung entbehrend, mögen sie die Zeit grauenhaft lang finden, und Mehrere klagten mir gerade in dieser Beziehung ihre Noth. „Wenn wir nur in der Stadt Arbeit suchen dürften, welcher Art sie auch sei,“ sagten mir die Männer, „damit wir uns ein paar Centimes verdienen könnten, denn von Frankreich bekommen wir jetzt doch nichts mehr geschickt!“ Seitdem hat das preußische Kriegsministerium bekannt gemacht, daß die Gefangenen, natürlich unter gehöriger Bedeckung, auch außerhalb des Lagers Arbeit übernehmen dürfen, falls sie dies freiwillig thun, und es wäre wirklich eine That der Menschenliebe, wenn recht zahlreiche Arbeitgeber dieses Anerbieten benützten. Allerdings sah ich ungefähr hundert Gefangene bei dem Auswerfen eines breiten Grabens an der Ostseite des Lagers handtirend, doch stellte dies wohl nur eine Arbeit à la Tretmühle vor, die blos in Angriff genommen war, um die Leute nicht völlig müßig umherlungern zu iassen. Kein Mensch nämlich konnte mich über den Zweck dieses ganz überflüssig erscheinenden Grabens aufklären.
„Aber die Turcos, die Zuaven, die Zephirs, wo bleiben diese?“ fragt der Leser. Zu meinem Bedauern muß ich gestehen, daß ich
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_720.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)