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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

werden wieder, sobald er vollendet ist, unter Deckung darin aufgestellt und man ist dem Feinde so viel näher gerückt.

Die zweite Parallele ist natürlich entsprechend kürzer als die erste, die dritte wird noch kürzer. Vor Straßburg waren drei Parallelen und eine halbe Parallele eingegraben, wodurch man sich unmittelbar und mit im Verhältniß nur geringen Verlusten vor den eigentlichen Festungswerken und zwar den vorgeschobenen, in spitzen Winkeln auslaufenden Lünetten 52 und 53 gegenüber befand. Diese waren durch einen breiten Wassergraben geschützt, aber das half ihnen nichts. Der Tapferkeit unserer Truppen, wie unseren ausgezeichneten Ingenieuren gelang es, auch diese Schwierigkeit zu überwinden. Unsere vortreffliche Artillerie räumte die Lünetten, eine Tonnenbrücke wurde mit steter Lebensgefahr der Betheiligten übergeschoben, und jetzt hatten sich die deutschen Truppen in die Festung selber eingebohrt.

Doch alle diese Arbeiten und Kämpfe sind schon, besonders in der „Kölnischen Zeitung“, so ausführlich und von so kundiger Hand beschrieben, daß ich selber nicht wagen möchte, daran zu gehen. Es lag das auch von vornherein nicht in meiner Absicht, und nur den letzten Abend vor der Uebergabe von Straßburg möchte ich den Lesern schildern, den ich selber in den Parallelen verbrachte.

Schon am Nachmittag verließ ich das dicht bei diesen liegende Schiltigheim in Begleitung eines höheren Officiers, der so freundlich war, mich herumzuführen; aber es bedurfte dazu auch noch der ausdrücklichen und schriftlichen Erlaubniß des Obercommandos, die ich mir aber schon an dem Morgen in Mundolsheim selber eingeholt hatte.

Unmittelbar an der von Schiltigheim nach Straßburg und an dem Kirchhof St. Helena vorüberführenden Chaussee begann die erste Parallele; man trat wenigstens hier in dieselbe ein; aber schon lange vorher waren hinter Erdwällen die schweren Belagerungsgeschütze aufgestellt, die wenigstens von Zeit zu Zeit Tag und Nacht hindurch ihre tödtlichen und schmetternden Geschosse gegen die Steinwälle der armen Stadt warfen und die Belagerten dadurch keine Stunde zu Ruhe kommen ließen.

Anfangs, wenn man die Parallele betritt, findet man sich dem Anschein nach allerdings nur in einem ziemlich schmalen Graben, der aus der bedrohten Seite den hohen Wall zeigt, während er fast wie zwecklos von Militär besetzt gehalten wird; aber bald öffnet sich dem Fremden ein ganzes Labyrinth von kleinen hier und dort hin führenden, aber stets gegen das feindliche Feuer so viel wie möglich geschützten Gängen, in denen man sich ohne Führer gar nicht oder doch nur sehr schwer zurechtfinden würde. Man hat dabei auch gar keine Ahnung, wie ausgedehnt diese merkwürdigen Arbeiten den Boden durchziehen, denn sie sollen, wenn die einzelnen Kreuz- und Quergräben gestreckt auslägen, eine Strecke von über sechs deutschen Meilen einnehmen.

Zwischen der ersten und zweiten Parallele liegt die sogenannte Kirchhofscommunication, die sich schräg in die zweite Parallele einzieht, und als ersten Gruß donnerte, anscheinend dicht über uns, ein schweres Geschütz und sandte seinen Granatenwurf der Stadt hinüber. Und wie das knallte, Schlag auf Schlag jetzt, als vor uns die Wallbüchsen, von tüchtigen Schützen bedient, sich auf eine Privatconversation mit den einzelnen Gegnern einließen! Aber vor der Hand nahm dieser Graben vor allen anderen meine Aufmerksamkeit in Anspruch, denn gerade er bot einen gar eigenthümlichen wilden Anblick. Er durchschneidet nämlich vorn den in einem spitzen Dreieck angelegten und eigentlich dicht bei Straßburg angelegten Kirchhof St. Helena, und sonderbar unheimlich sieht es aus, daß sich die Lebenden hier mitten zwischen die Todten hineingewühlt haben, um sich gerade gegen den Tod zu schützen.

Der spitze Winkel des Kirchhofs zeigt nach Straßburg zu und ist durch den quer hindurchführenden Laufgraben durchschnitten. Die Kreuze und steinernen Denkmäler, die im Wege standen, mußten natürlich beseitigt werden; auch einzelne Särge fand man, die aber weiter zurück wieder eingegraben wurden. Doch auch den Belagerten konnten diese Arbeiten nicht entgehen; ihr Feuer richtete sich eine Zeitlang besonders gegen diese offenliegende Höhe – und nicht ganz ohne Erfolg. Eine Menge der noch stehenden Kreuze und Denkmäler zeigen die Spuren dawidergeschlagener Kugeln deutlich genug; einzelne sind zerbrochen oder zerstört, andere total niedergeworfen. Aber was thut das? Mitten hinein in die heilige Stätte der Todten hat sich das rüstige Menschenvolk gebohrt, mitten hindurch, nur um neues Futter für den alten Platz zu bekommen.

Die Aussicht von dem ziemlich hoch liegenden Kirchhof nach Straßburg zu war wunderschön, aber nur ein klein wenig gefährlich, denn man stand dort vollkommen offen und nahe genug zu den feindlichen Wällen, um sich noch im vollen Bereiche ihrer Chassepots zu befinden, mit deren Kugeln sie, wie bekannt, keineswegs haushälterisch umgehen. Es ist aber eine wunderliche Thatsache, daß man sich sehr rasch an deren Pfeifen gewöhnt und bald genug wenig mehr darauf achtet. Scharfschützen haben die Franzosen da drüben nicht, und der, auf den sie wirklich zielen, ist bei dem Schuß viel sicherer als die Nachbarschaft. Ich nahm mir denn auch völlig Zeit, die vor mir liegende Stadt in aller Ruhe mit meinem Doppelglas abzuäugen, und verfolgte dann meinen Weg im Zickzack den Parallelen nachgehend, bis wir uns den letztgenommenen Lünetten 52 und 53 näherten.

Ueberall verdeckt, standen hier Geschütze, die schon ihre Schuldigkeit gethan, aber immer noch beschäftigt waren, die mächtigen Festungsmauern vor uns in Bresche zu legen. Strenge Befehle waren dabei gegeben, nicht mehr muthwillig auf die Stadt oder auf den überdies schon etwas beschädigten Münster zu feuern; aber es ist das mit den Artilleristen eine eigene Sache, und sie sind noch dazu nur äußerst schwer – ja oft gar nicht – zu controliren.

Als wir Toul, das auch eine sehr hübsche Kathedrale besitzt, gleich nach der Uebergabe betraten, begegneten wir einem jungen Unterofficier der Artillerie, dessen Gesicht vor Freude und Stolz glühte, denn seine Kanone hatte ebenfalls mit dazu beigetragen, die Stadt zu so rascher Uebergabe zu zwingen. Mein Begleiter damals – ein Artilleriehauptmann – unterhielt sich eine kleine Weile mit ihm und lobte ihr Schießen, denn die Festungswerke in Toul hatten wir schon umgangen und dort die Genauigkeit bewundert, mit welcher die Truppen ihre Kartätschen auf die einzelnen Geschütze des Feindes dirigirt hatten.

„Ihr habt vortrefflich geschossen, Leute!“

„Ja,“ sagte der Unterofficier und seine Augen leuchteten, „aber wir haben auch gute Geschütze – die Kathedrale habe ich auf den Punkt getroffen, wohin ich zielte.“

„So? Aber soviel ich weiß, ist Euch doch verboten gewesen, gerade auf die Kathedrale zu schießen.“

„Hm – ja,“ sagte der junge Mann und wurde, halb verlegen, doch ein wenig roth; „aber man will doch auch manchmal sehen, wohin man trifft und ob man seiner Kugel sicher ist.“

Es ist eben nicht anders. Die Artilleristen betrachten derartige hervorragende und leicht erkennbare Punkte als Probescheiben nach denen sie, ohne sich etwas Uebles dabei zu denken, dann und wann eine Kugel absenden, und man darf da nicht gleich von Vandalismus reden. Nach dem Münster in Straßburg mußte übrigens schon deshalb einige Male gefeuert werden, weil sich der Feind da oben ein ganz bequemes Observatorium eingerichtet hatte, von dem er die angelegten Laufgräben wie die Arbeiten darin beobachte, also auch schwer gefährden konnte, und Menschenleben hat dieser traurige Krieg schon leider zu viel gekostet.

Der Münster ist allerdings in etwas beschädigt worden, aber nicht so viel, als daß es jetzt nicht mit leichter Mühe und deutschen Kräften wieder hergestellt werden könnte, und wo es galt, die viel werthvolleren Menschenleben zu schützen, konnten ein paar Verzierungen an einem noch so alten, ehrwürdigen Bauwerk wahrlich nicht in Betracht kommen.

Jetzt erreichten wir den Graben vor Zweiundfünfzig und Dreiundfünfzig, der damals mit so ausgezeichneter Bravour, alle Schwierigkeiten und Gefahren überwindend, genommen war, und hier einen insofern etwas gefährdeten Punkt, als die weite offene und nicht ganz verdeckte Fläche dem Feinde einen trefflichen Zielpunkt geboten hätte. Die Gefahr war allerdings dadurch etwas gemindert, daß unsere Truppen eine rohe Schutzwand von einfachen Brettern errichtet hatten. Diese hielten nun allerdings die Chassepotkugeln nicht ab, durchzudringen und Schaden genug dahinter anzurichten, aber sie verdeckten doch wenigstens die sich dort hin und her bewegenden Gruppen und Gestalten, und nur die Warnung: „Wir müssen hier ein wenig schneller gehen“ machte mich auf den exponirten Platz aufmerksam.

Und hier, nachdem wir die Stelle überschritten, begann das eigentliche Leben der Laufgräben in aller seiner Romantik und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_734.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)