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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Parks, Villen und Wäldern der nahen, landschaftlich so reizvollen Umgebung von Paris, und die von den feindlichen Forts her einseitig fallenden Kanonenschüsse sorgten dafür, daß die Aehnlichkeit keine vollkommene wurde.

Es war seit den Kämpfen von Sedan her – von kleinen Scharmützeln einzelner Truppentheile während des Marsches abgesehen – das erste ernstliche Gefecht in größerem Maßstabe, dessen Ausgang dem fünften Armeecorps auch widerstandlos den Eintritt in Versailles eröffnete. Eine Meile etwa von da waren französische Linientruppen mit der preußischen neunten und zehnten Division (fünften Armeecorps) und bairischer Infanterie und Jägern bei Petits-Bicêtres am 19. September Morgens zusammengetroffen, und nach ziemlich lebhaftem und blutigem Gefecht, bei welchem zum ersten Male in diesem Kriege die französische Artillerie vorzüglich schoß, vollständig geworfen worden. Einmal geschlagen, wurde ihr Rückzug so sehr zur Flucht, daß ein seit Wochen schon von ihnen begonnenes ungemein festes und ausgedehntes Erdwerk auf den dominirenden Höhen über Chatillon nebst einem dazu gehörigen, von Vorräthen strotzenden Magazin und sieben schweren Geschützen unvertheidigt in den Händen der verfolgenden bairischen Jäger blieb.

Um dieselbe Zeit bot Versailles dem commandirenden preußischen General seine Capitulation an. Seine Behörden hatten aber dabei die Naivetät, das Zugeständniß zu verlangen, daß ihre dreihundert Mann starke bewaffnete Nationalgarde die Waffen auch fernerhin behalten dürfe, um über die Kunstschätze und die Ordnung in der Stadt zu wachen.

Natürlich ließ sich General v. Kirchbach auf gar keine weiteren Verhandlungen darüber ein, sondern rückte einfach noch an demselben Abend in die offene vertheidigungsunfähige Stadt, deren dreihundert Nationalgarden denn auch klug genug waren, keinen Widerstand gegen das Unvermeidliche zu versuchen.

Jedem von den unzähligen Deutschen, welche während unserer glücklichen Friedensjahre Paris besucht haben, ist das französische Potsdam wohlbekannt. Der Name ist ziemlich zutreffend. Dieses wie jenes begründet und zum Lieblingssitz erwählt von Herrschern, deren Namen zwei an geistigem und kriegerischem Ruhm glänzendste Epochen der Geschichte beider Nationen bezeichnen; beide in hohem Grade durch landschaftliche Schönheit begünstigt, deren natürliche Reize durch eine auf’s Höchste gesteigerte Gartenbaukunst eine Ausbildung erlangt haben, welche immer bewundernswerth erscheint, auch wo man sie nicht eigentlich als die Wünschenswertheste begrüßen kann; beide nicht gewordene, sondern gemachte Städte mit aller geradlinigen Langweiligkeit solcher; beide durch prachtvolle Schloßanlagen ebenso, als durch ihre grandiosen Parks und Gärten den eigenthümlichen Glanz, das Pracht- und Kunstbedürfniß und die charakteristische Geschmacksrichtung der Herrscher und der Epochen verkündend, durch welche und in welchen sie in’s Leben gerufen wurden.

Freilich, Potsdam ist immer noch und seit Friedrich dem Großen eigentlich ohne Unterbrechung, der beliebteste Herrschersitz der preußischen Monarchen und damit in lebendiger Fortentwickelung geblieben. Versailles dagegen, seines ursprünglichen Wesens und Inhalts völlig entleert, wurde zu einer todten Schaale, einem starren Grabmal der Vergangenheit. Die furchtbaren Rachegeister der Revolution, welche in diesen endlosen prachtstrahlenden Gallerien und Sälen ihrer Zeit gerast und gewüthet, und diesen Marmor mit dem Blute ihrer Opfer überströmt haben, schienen seitdem für immer die Lust fürstlicher Hofhaltung daraus zu bannen. Bekanntlich aber füllte Louis Philipp, immer beeifert dem Selbstbespiegelungstriebe, der Ruhmsucht und besonders der militärischen Eitelkeit seiner Franzosen zu schmeicheln, das leere Schloß des großen Monarchen in all’ seinen Theilen mit einer ganz ungeheuren Gallerie von Gemälden, Statuen und Büsten, die, zum Theil sehr fabrikmäßig hergestellt, sämmtlich nur dem einen Zweck dienen, aus dem einen Gedanken hervorgegangen sind, Frankreichs, besonders kriegerische, Größe künstlerisch zu veranschaulichen und zu verherrlichen. Wie sehr das Kaiserreich nach dieser Richtung in die Fußstapfen der Juliregierung trat, ist bekannt.

Das Schloß Ludwig’s des Vierzehnten liegt nicht, wie Sanssouci oder das neue Palais in Potsdam, inmitten eines es rings umgebenden Gartenbezirks. Am Westende einer Lindenallee von kolossaler Breite, welche in ihrer östlichen Fortsetzung nach Sèvres führt, der (übrigens hinter den Baumgängen von Straßenfronten eingefaßten) Avenue de Paris, erhebt es sich auf dem Plateau eines kahlen mit Kies bestreuten, ziemlich hohen breiten Hügels, durch ein Eisengitter mit prächtigem Thor von der davor gelegenen, von Casernen eingefaßten Place d’Armes an seinem Fuß getrennt. Von hier aus betrachtet verliert der riesige Bau durch seine Lage nach rückwärts viel von seiner Größenwirkung, indem der Hügel seine ganze Unterhälfte verbirgt. Oben freilich erscheint derselbe um so imposanter. Am Mittelbau springen zwei Flügel an jeder Seite vor, an den nördlichen lehnt sich die Schloßcapelle, ein Bau von sehr überladenen ausgeschweiften Formen und Linien, während sich sowohl jener mittlere Schloßtheil als seine beiden langgestreckten Seitengallerien in schönen maßvollen und ziemlich einfachen Architecturformen bewegen.

Die eigentliche Façade, in welcher der kolossale Gebäudecomplex sich als harmonische Einheit präsentirt, kehrt er nach Westen gegen die weite Terrasse des Gartens. Aus tausend Bildern und Photographien ist diese Ansicht so bekannt: diese kiesbestreute Fläche mit den großen Wasserbassins zwischen Blumenbeeten zu beiden Seiten mit den vortrefflichen bronzenen Nymphen- und Amorettengruppen auf den marmornen Einfassungen; mit dem herrlichen Blick über die tiefere Terrasse und ihr Fontaineubassin, auf den berühmten „grünen Teppich“ zwischen den hohen geschorenen, oben aber von den freien laubigen Wipfeln überschatteten, Lindenhecken, und die letzte Seefläche dahinter fern in der Tiefe. Zu beiden Seiten dieser eigentlichen Hauptscenerie dehnt sich der Park in’s Endlose und birgt in seinem grünen, von tausend Wegen durchzogenen Dickicht eine Welt von Marmorstatuen, Bronzegruppen, Bassins, Grotten, Laubenhallen, Fontainen. Alle Wasserkünste desselben aber gipfeln in denen des großen Reservoirs mit der Neptun- und Amphitritengruppe, mit all’ den Nymphen, Tritonen, Seerossen, Amoretten, Ungeheuern, welche aus seiner Mitte wie an seinem Rande aufragen.

Welch’ Fest boten sonst für die Pariser jene Frühlingssonntage, welche ihnen ankündigten, daß in Versailles „les grandes eaux“ springen würden! Die Extrazüge der Eisenbahn beförderten an solchen Tagen gut hunderttausend Menschen von dort herüber. Das Springen der großen Wasser selbst war nur der letzte und freilich höchste Genuß des vergnüglichen Tages, der im Umherschweifen im schattigen Park und durch die langen Gallerien, wo man sich einmal wieder im Anschauen der kriegerischen Herrlichkeit der großen Nation berauschen konnte, auf’s Angenehmste verbracht war. Die großen Wasser begannen um halbfünf Uhr zu springen und eine halbe Stunde später waren sie versiecht. Wie dicht geschaart aber lagerte schon eine Stunde zuvor die sommerlich bunte Menge auf dem, das ganze rosige Halbrund umgebenden Rasenabhang, lärmend, lachend, sich harmlos vergnügend in der Erwartung des großen Moments. Hart am Rande des Bassins aber hatten in gewissen Abständen einzeln jene gefürchteten Gardezuaven Wacht, die Büchse mit dem Haubajonnet im Arm. Wie prangten die bunten Farben ihrer Tracht in der Frühlingssonne, wie verwegen, wie unbesiegbar sahen die wilden, malerischen Gestalten aus! Ganz Versailles lag voll von ihnen. Ihnen war das Ehrenamt der Schloßwache vorbehalten, und ihnen die große Schloßcaserne, die andere der Gardeartillerie. – Wo sind sie heute?! Vernichtet, verschollen, in Deutschlands Festungen gefangen, in französischer Schlachtfeldererde gebettet. Leben, Ruhm – Alles dahin. Auch die großen Wasser springen heute nicht, und keine bunte, muntere, schaulustige Menge lagert auf dem noch immer frischen Rasen, auf welchen dennoch die nahen Gipfel schon reichlich ihr herbstlich goldiges Laub hinstreuen. Die Wacht am Schlosse, die Wohnungen in den stattlichen Casernen übernahmen die deutschen Besieger; deren derbe Gestalten, in ihrer dunkeln schlichten Tracht zu malerischen Effecten wenig geeignet, stehen dort Posten, hausen in diesen Gebäuden, reiten oder marschiren mit klingendem Spiel zu vaterländischen wohlbekannten Weisen durch diese regelrecht gezirkelten Alleen, zwischen den Taxus- und Lindenhecken des Parks aber springen und schlendern behaglich unsere Soldaten statt der bunten lustigen Menge von Paris.

Es war ein unvergeßlicher Augenblick, als der Kronprinz, der die deutschen Waffen auf ihrem Siegeszuge hierher geführt hatte, zum ersten Mal zu dem Platz vor dem Schloß hinauftrat, in dessen Mitte jenes großen Feindes und Schädigers Deutschlands, Ludwig des Vierzehnten eherne Reiterstatue auf ihrem Postamente thront, umgeben von den kolossalen Marmorstatuen der berühmtesten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_748.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)