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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

„Verzeihung, gnädigste Gräfin! Es ist das erste Mal, daß Sie es für nöthig finden, an die Kluft zwischen uns zu erinnern, und ich gebe Ihnen mein Wort, es wird auch das letzte Mal sein.“

Er verneigte sich und schritt nach der Thür, Antonie sah ihm ungewiß nach. Sie fühlte, daß sie zu weit gegangen war, daß sie mindestens so nicht hätte sprechen dürfen. und rasch in der Reue wie im Zorn, rief sie ihn zurück.

„Reinert!“

Er wandte sich halb um. „Sie befehlen, gnädigste Gräfin?“

Jetzt war es aber vorbei mit dem Stolz und der Selbstbeherrschung der leidenschaftlichen Frau, die von beiden ohnehin nur ein sehr kleines Theil besaß. Gewohnt jedem Gefühlsausbruch nachzugeben, sank sie auf das Sopha nieder und brach in ein heftiges Weinen aus.

Eugen hörte dies Weinen und blieb stehen; er sah zurück, sah das schöne von Thränen überströmte Antlitz nach ihm gewendet, und im nächsten Augenblick war er wieder an ihrer Seite.

„Sie weinen, Gräfin? – Darf ich zu Ihnen sprechen? – Antonie, wollen Sie mich ungehört verdammen?“

Diesmal erfolgte keine so herbe Abweisung des vertraulichen Tons. Sie blickte zu ihm empor, noch kämpfend zwischen Zorn und Liebe, aber Eugen sah es, daß er sich rechtfertigen durfte, und er zögerte nicht es zu thun.

„Ich bin gebunden, ja! Und diese unseligen Bande sind der Fluch meines Lebens geworden. Als ich im vergangenen Jahre meine Vaterstadt besuchte, sah ich dort eine Jugendgespielin wieder. Sie war eine Waise, kaum der Kindheit entwachsen, ich glaubte sie zu lieben, der Vormund drang auf Erklärung – so ward sie meine Braut. Es war eine Uebereilung, aber ich trug die Fessel und hätte sie geduldig weiter getragen. Da kam ich hierher, da sah ich Dich, Antonie, und von dem Augenblicke an begann der lange furchtbare Kampf zwischen Pflicht und Leidenschaft. Ich muß mich losreißen von Dir, von jeder Erinnerung an Dich, wenn ich ihm nicht erliegen will. Mag mein Talent, meine ganze Zukunft zu Grunde gehen in jenem eng begrenzten Kreise, mag ich selbst verzweifeln in einer öden freudlosen Ehe – was gilt mir die Kunst, was das ganze Leben noch, wenn ich Dir entsagen muß!“

Er hatte mit immer steigender Leidenschaft gesprochen, und Antonie hatte zu weinen aufgehört, der Zorn wich dem Mitleiden, und als er endigte, da war jeder Vorwurf untergegangen in der Angst, den Geliebten zu verlieren. Gräfin Arnau war nicht die Frau, fremde Ansprüche anzuerkennen, wo sie allein besitzen wollte.

„Entsagen?“ fragte sie leise mit gesenkten Augen, aber es lag eine unendliche Verheißung in diesem Tone, „und weshalb denn?“

„Du fragst noch? Darf ich es denn wagen, um Dich zu werben? Ich bin arm, Du weißt es, ich habe nichts als meine Kunst, Du stehst so hoch, so glänzend im Leben da –“

Sein Blick, der brennend heiß auf der schönen Frau lag, strafte die entsagenden Worte Lügen. Sie sah zu ihm auf und lächelte.

„Und ich bin frei, Eugen, ganz frei! Das hattest Du wohl vergessen?“

„Antonie!“ Er stürzte in ausbrechender Leidenschaft zu ihren Füßen. „Gieb mir diese Hoffnung, gieb mir die Gewißheit, daß ich Dich einst besitzen werde, und ich breche meine Ketten, koste es, was es wolle. Sage mir, daß Du die Meine werden willst, trotz Deines Namens, Deiner Familie, und ich werfe alle Schranken nieder und erobere mir mein Glück, wenn es sein muß, mit Gewalt!“

Antonie beugte sich zu dem Knieenden nieder, der volle heiße Blick der Liebe brach aus ihren Augen, sie war hinreißend schön in diesem Augenblicke. „Ich fürchte keine Schranken. Ich habe es ja erfahren müssen in einer gezwungenen Ehe, wie leer und öde Glanz und Reichthum das Leben lassen, ab will nur Liebe, mein Eugen. Mache Dich frei, folge Deinem Genius, und dann, wenn Dein erstes Werk Dir einen Künstlernamen errungen hat – dann komm’ und hole Dir den Siegespreis!“




Die Frische des Morgens war vorüber, ein heißer Junimittag brütete über dem Dorfe, das ungefähr eine halbe Stunde von dem Schlosse entfernt lag, auf dem sich Graf Arnau und Eugen Reinert gegenwärtig als Gäste befanden. Die Post, die vor einer Stunde durch’s Dorf gekommen war, hatte hier Reisende abgesetzt, einen alten Herrn und ein junges Mädchen. Beiden schien die enge, dumpfe Gaststube gleich unerträglich zu sein; der alte Mann saß im kleinen Hintergärtchen, während seine Begleiterin vor die Thür des Hauses getreten war und nachdenklich die Umgebung musterte.

Das Dorf lag still, wie ausgestorben, die Leute waren meist auf dem Felde beschäftigt, nur eine Schaar Kinder spielte, unbekümmert um die Sonnengluth, inmitten der breiten Dorfgasse. Da klang von fern her das Rollen eines Wagens, und gleich darauf kam ein elegantes Jagdfuhrwerk hinter der Waldecke zum Vorschein. Der Kutscher saß auf dem hintern Sitz, während der Herr selbst die muthigen Rappen lenkte; er sah jedenfalls die spielenden Kinder, schien aber der Meinung zu sein, daß auch sie ihn sehen und ihm zu rechter Zeit ausweichen würden, denn er fuhr im schärfsten Trabe mitten durch’s Dorf, obwohl ein Ausweichen auf dem breiten Wege nicht schwer gewesen wäre. In der That stob die kleine Schaar beim Herannahen eiligst nach rechts und links auseinander; nur Einer, ein kleiner Bube von vielleicht zwei Jahren, blieb in vollständiger Unkenntniß der Gefahr ruhig sitzen, und als der erschreckte Zuruf der anderen Kinder ihn aufscheuchte, war der Wagen bereits ganz nahe. Jetzt endlich machte er den Versuch aufzustehen, aber bestürzt und des Laufens noch ungewohnt, strauchelte er schon beim ersten Schritt und fiel dicht vor den Pferden nieder. Der Führer des Wagens, der in diesem Augenblicke erst das Kind bemerkte, zog zwar sofort und mit aller Kraft die Zügel an sich, aber die feurigen, im vollsten Laufe begriffenen Thiere standen nicht sogleich, sie drängten noch einige Schritte vorwärts, und der Knabe schien verloren. Da plötzlich flog das junge Mädchen herbei, riß mit einer einzigen blitzschnellen Bewegung das Kind, fast unter den Hufen der Pferde weg, in ihre Arme und sprang mit ihm seitwärts. Es war die höchste Zeit gewesen! Einen Moment später standen die Thiere, aber ihre Hufe stampften den Ort, wo der Kleine gelegen, der während der Gefahr selbst vor Schrecken und Betäubung ganz still geschwiegen hatte, jetzt aber, wo er sich gerettet sah, in ein lautes klägliches Geschrei ausbrach.

Graf Arnau gab die Zügel in die Hand seines Kutschers, sprang vom Wagen und näherte sich den Beiden. „Hat Jemand Schaden genommen?“ fragte er hastig.

„Ich nicht, aber das Kind –“

Ohne ein Wort weiter zu verlieren, nahm Hermann den Kleinen aus ihren Armen, besah und befühlte ihn, nicht sehr sanft, aber sehr gründlich von allen Seiten, und überzeugte sich bald, daß er nicht die geringste Verletzung davongetragen hatte.

„Es ist Nichts,“ sagte er ruhig. „Er war nur erschreckt; gieb Dich zufrieden, Schreihals, Du bist noch glücklich genug davongekommen!“

Achtlos setzte er das Kind, das, eingeschüchtert durch den herben Ton, stillschwieg und ihn ängstlich mit den großen thränenvollen Augen ansah, auf den Boden nieder und wendete sich dann artig, aber gleichgültig zu seiner Retterin.

„Sie haben sehr viel Muth bewiesen, mein Fräulein. Ich war unvermögend, die Pferde so schnell zum Stehen zu bringen, ohne Sie war der kleine Bursche dort verloren.“

Sein Blick überflog während dieser Anrede rasch und scharf das junge Mädchen. Es war ein noch sehr jugendliches Wesen, das da vor ihm stand, sechszehn, höchstens siebenzehn Jahre alt, schlank, zart und sehr einfach gekleidet. Bei der heftigen Bewegung, mit der sie das Kind emporgehoben, war der runde Strohhut von ihrem Kopfe geglitten, er hing jetzt lose im Nacken, und der volle heiße Mittagssonnenschein überfluthete das Antlitz und das goldig schimmernde Haar, das vorn einfach gescheitelt, am Hinterkopf in reichen Flechten übereinander gelegt war. Vielleicht gab die blendende Beleuchtung ihr in diesem Augenblicke einen besonderen Reiz, denn schön war das Gesicht eigentlich nicht, wenigstens noch nicht, obgleich die Linien künftiger Schönheit sich bereits in seinen Zügen verriethen. Jetzt waren sie noch weich, unentwickelt und ganz und gar kindlich; das Einzige, was dem Gesicht einen eigenthümlichen Reiz lieh, waren ein Paar große tiefblaue Augen von ungewöhnlichem, fast räthselhaftem Ausdruck. Es lag ein Ernst darin, der weit über diese sechszehn Jahre hinausging, mehr noch, ein Schatten wie ihn sonst erst ein ganzes Leben voll Sorge, Leiden und schwerem unentfliehbarem Druck auf ein Menschenantlitz zeichnet. Das Antlitz des jungen Wesens freilich war noch unberührt davon geblieben,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_758.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)