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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

ungemein sauber gearbeitete, an dürren, biegsamen Zweigen aufgehangene, im Winde schaukelnde Geflechte. Sie, die letzteren, fesselten mich ganz besonders; sie mußten die Nester der Webervögel sein, von denen ich bereits so viel gehört und gelesen. Schade nur, daß deren Erbauer und ihre Kinder sie schon längst verlassen hatten!

Der heiße, trockene Herbst und der noch heißere, trockenere Winter vergingen, das Land allmählich in eine Wüstenei verwandelnd, unter Qualen und Sorgen. Endlich, endlich brachte der erste Regen unter Donner und Blitz, herangetrieben von einer rasenden Windsbraut, neuen Frühling über das verdorrte, schier vernichtete Land. Und am anderen Morgen waren sie da, die goldgelben Vögel, auf den altgewohnten Nistbäumen, flogen sie auf und nieder, hingen sie sich flatternd kopfabwärts an die vorjährigen Schößlinge, als wollten sie deren Tragkraft prüfen, und zerfaserten sie Nester, welche bisher allen Stürmen getrotzt, scheinbar um in der alten Kunst neu sich zu üben. Noch vierzehn Tage lang trieben sie es in der alten Weise; denn so lange mußten sie sich gedulden, weil noch keine neue Halme gewachsen waren. Doch die Regenzeit setzte tüchtig ein; kaum ein Tag verging diesmal ohne Gewitter und Niederschläge, und in den vierzehn Tagen hatte die Treibhaushitze schon brauchbares Gras in Hülle und Fülle erzeugt.

Und nunmehr begann ein Leben und Treiben, ein Arbeiten und Schaffen am Wipfel meines Beobachtungsbaumes, daß es eine Lust und Freude war zuzuschauen. Zu den wenigen Pärchen, welche ich anfänglich gesehen, hatten sich andere gefunden; aus dem Trupp war ein Schwarm, aus den Einsiedlern waren Ansiedler geworden. Alle die goldgelben Männchen baueten, als gälte es, in einem Tage fertig zu werden, und alle die grünen Weibchen sahen aufmerksam zu, steckten ihre klugen Köpfchen mit den hellleuchtenden rothen Augen in die Nester und untersuchten und prüften, ob nicht auch bald ihre Zeit gekommen, das heißt ob die von den Männchen erbaueten Nester, so weit vollendet seien, daß sie, wie es bei ihnen üblich, die letzte Hand, ich wollte sagen den letzten Schnabel, anlegen könnten. Auch diese Zeit kam heran; sie vollendeten den Bau, legten die grünlichen, braun und roth getüpfelten Eier in’s Nest und begannen zu brüten, während die Männchen noch immer am Neste zu thun hatten oder aus übergroßem Eifer bereits an einem zweiten arbeiteten. Es ging zu wie in einem Bienenstocke. Diese kamen, jene gingen; alle waren eilig, alle eifrig. Selbst das Singen geschah mit einer gewissen Hast; kein einziges Männchen schien Zeit zu haben, sein Lied zu beenden, aber jedes sang; und so klang es doch noch einigermaßen erträglich, wennschon mehr wie in einer dichtgefüllten Spinnstube. Denn geschnarrt wurde mehr als gesungen in solcher Siedelung und gezwitschert mehr als gepfiffen. Bald darauf gab’s noch mehr zu thun. Die ausgeschlüpften Jungen schrieen nach Nahrung, und die armen Mütter quälten sich ab, die Schreihälse zu befriedigen, während die Väter verzweiflungsvoll sangen, an der Ernährung der Jungen aber sich, so viel ich wahrnehmen konnte, nicht betheiligten. Und dann war auch dieses mühevolle Geschäft zu Ende gebracht worden; die Jungen der ersten, die der zweiten Brut schwärmten, mit den Alten zu unzählbaren Flügen geschaart, im Lande umher, fielen plündernd in die Felder ein, wurden ihrerseits von den Falken, welche ihre Masten herbeigelockt hatten, verfolgt und verspeist, von den gutmüthigen Menschen wenigstens nach Kräften verscheucht, bis der Winter wieder herankam und sie vor ihm in bessere Gefilde flüchten mußten.

Solche Erinnerungen waren es, welche mich veranlaßten, bei Auswahl der für das große Fluggebauer des Berliner Aquariums bestimmten Vögel meine alten Bekannten oder doch deren westafrikanische Verwandte ganz besonders zu berücksichtigen. Ich hatte sie hier und da in den Thiergärten gefunden, einzeln, wenig angesehen, den farbenschimmernden Prachtfinken gegenüber zurückgesetzt, kurz vollständig unterschätzt, und ich beschloß, ihnen gerecht zu werden in meinen Augen und ihnen zu dem gebührenden Ansehen zu verhelfen in den Augen der Menge. Zu diesem Zwecke kaufte ich sie einzeln auf, wo ich sie fand, bei deutschen, holländischen, französischen, englischen Händlern, verkommen, wie sie waren, beschmutzt von der Reise, wie sie ankamen, zahlte auch gern die mäßigen, für so unscheinbare Stücke jedoch immerhin hohen Preise. Die meisten, welche ich erhielt, waren junge Vögel, deren Geschlecht man noch nicht bestimmen konnte; einige alte gab es freilich auch darunter, jedoch fast nur Männchen. Sie wurden nach Gebühr empfangen, gebadet, ihre zu lang gewachsenen Nägel und Schnäbel so weit wie nöthig gestutzt und, nachdem sie sich genügend erholt durch die auf gewaltsamem Wege eingeleitete Mauser neu gekleidet. Nunmehr konnte ich Heerschau halten. Es war eine stattliche Gesellschaft, welche ich erworben; leider aber befand sich das schwächere Geschlecht dem stärkeren und hier auch schöneren gegenüber in beklagenswerther Minderheit, und es ergingen deshalb nochmals Briefe an die verschiedenen Händler, um diesem Mangel wo möglich abzuhelfen.

Inzwischen wurden die vorhandenen Webervögel, Angehörige von vier verschiedenen Arten (Gold-, Fuchs-, Cap- und Kapuzenweber), etwa dreißig an der Zahl, in einen eigens für sie hergerichteten Raum gebracht, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft Blutschnabelweber, andere, kleinere und minder anziehende Arten der Familie, hausen sollten. In dem Käfig waren lange biegsame Ranken einer abgestorbenen Schlingpflanze, dünne Schößlinge von Weiden und ähnliche schwankende Zweige zur Befestigung der Hängenester angebracht und so einladend als möglich angeordnet worden; ein kleiner Drahtkäfig enthielt auch die erforderliches Baustoffe, namentlich Cocosbast und ausgesuchte, schmeidige Heuhalme.

Die Männchen gingen bald an das Werk, obschon nicht mit ihrer gewöhnlichen Eilfertigkeit; sie hatten hierzu freilich auch keine Veranlassung. Die wenigen Weibchen störten mehr, als sie förderten; denn sie waren die Ursache zu unablässigen Kämpfen. Doch wurde allmählich ein und das andere Nest fertig.

Endlich traf der langersehnte Versandbauer mit so vielen weiblichen Webervögeln ein, als man für mich hatte zusammenkaufen können. Die Thierchen wurden untersucht und die tauglichen einstweilen in einem Käfig untergebracht, von welchem an sie in das Fluggebauer übergeführt werden sollten.

Zunächst damit beschäftigt, verschiedene Abtheilungen des Fluggebauers mit einigen anderen, frischangekommenen Vögeln zu besetzen, stellte der Futtermeister diesen Käfig, um ihn einstweilen los zu werden, vor dem Flugraume der Webervögel auf den Boden nieder. Dies gab Veranlassung zu einem ebenso anziehenden als erheiternden Auftritte. Kaum nämlich hatten die Männchen, die eingebauerten Weibchen erblickt, als sie auch sofort begriffen, daß nunmehr für ihre Ansiedlung die erhabene Stunde geschlagen. Eiligst verließen sie die beliebte Höhe, hernieder flogen sie, an das Gitter, in unmittelbare Nähe des außen stehenden Gebauers hingen sie sich, und alle verfügbaren Mittel boten sie auf, um sich den außen weilenden bemerkbar zu machen. Sie lockten, sangen ihr einfaches Lied mit allen Abänderungen, bewegten zitternd die Flügel, flogen auf einige Augenblicke zu den von ihnen gebauten Nestern auf, hingen sich, mit den Rücken nach unten gewendet, an denselben an, sangen, den Blick unverwandt nach den Weibchen gekehrt, auch dort oben verließen die Höhe, hingen sich wieder unten an das Gitter, sangen, lockten, kehrten abermals zum Neste zurück, kurz, bekundeten auf alle erdenkliche Weise ihre außerordentliche Aufregung. Es war unverkennbar: sie wollten den betreffenden Weibchen nicht nur sich und alle ihre Vorzüge in das hellste Licht stellen, sondern auch jenen bekunden, daß das Nest schon zum Empfange bereit sei. Wir beeilten uns, ihr Verlangen zu stillen, und ernteten im reichsten Maße den Lohn, eine gute That ausgeübt zu haben. Am Abend des ereignißvollen Tages gab es acht glückliche Pärchen mehr im Fluggebauer, – und ich hatte auch einmal unter den Vögeln kalifornische oder australische Zustände kennen gelernt.

Von jetzt ab gestaltete sich im Fluggebauer genau dasselbe Getriebe, welches ich in den afrikanischen Wäldern kennen gelernt hatte, und bot sich vollste Gelegenheit, die Webervögel bei ihren Arbeiten mit der behaglichsten Muße zu beobachten.

Bei sämmtlichen Arten, deren Leben und Treiben ich kennen gelernt habe, bauen nur die Männchen, nicht, wie bei fast allen übrigen Vögeln, die Weibchen. Diese übernehmen auch nicht, die jenen sonst zustehende Rolle der Handlanger und Helfer, sondern bekümmern sich anfänglich nur insofern um den Bau, als sie ihn manchmal von allen Seiten betrachten. Sie fliegen mit den Männchen zuweilen auf und nieder, sitzen auch während des Schlafes dicht neben diesen, lassen sich jedoch anscheinend nur wenig von diesen beeinflussen. Erst wenn der Bau beinah vollendet ist, kriechen sie im Neste aus und ein, verweilen oft längere Zeit in ihm, helfen nach, was fehlt, und ordnen die Unterlage für Eier und Junge. Um so eifriger sind die Männchen, so lange die Brutzeit währt. Sie scheinen ebenso unermüdlich als von der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_762.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)