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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen“ sich so allmählich bewahrheiten sehend wie bei den Webern. Es ist ganz unverkennbar, daß sie lernen, sich üben, durch eigene Anstrengung zu dem sich bilden, was sie später sein werden. „Von oben herab“ fliegt auch ihnen nichts zu; was sie können, haben sie sich durch eigene Kraft errungen. Wo bleibt da der „Instinct“, die vielgerühmte, gläubig angestaunte, nie verstandene und doch gepredigte „höhere Kraft“, welche das Thier lenkt und leitet? Ich habe den einen wie die andere niemals wahrnehmen können und denke deshalb genau so wie ein alter, würdiger Volkslehrer meiner heimathlichen Gegend, welcher seinen Schulkindern gegenüber das Vorhandensein aller namhaften und namenlosen Engel und Dämonen aus dem Grunde in Abrede stellte, weil weder er, noch die gewissenhaft deshalb befragten Kinder derartige Wesen gesehen.

Die Webervögel sind höchst empfehlenswerthe Zimmergenossen. Ihre Anspruchslosigkeit und Hartleibigkeit erleichtert ihre Pflege, ihre unermüdliche Geschäftigkeit erfreut, ihr ernstes Bestreben, zu singen, obgleich sie doch nur zwitschern und schnarren können, erheitert und belustigt. Sie verlangen einen möglichst großen Bauer mit schwankenden Sitzzweigen, die nöthige Menge von Baustoffen, etwas Canariensamen und Hirse zu ihrer eigenen, Nachtigallenfutter zu ihrer Jungen Nahrung, füglich einige Mehlwürmer; Stubenwärme und Gesellschaft – nichts weiter, um alsbald ihre Kunstfertigkeit zu üben und alle Regsamkeit ihres Wesens zu bethätigen. Wer ihnen buntfarbige Wolle zum Arbeiten reicht, dem weben sie die schönsten Muster in das Drahtwerk des Käfigs; wer sie gut behandelt, dem bekunden sie bald das größte Vertrauen; wer es ihnen an nichts fehlen läßt, den erfreuen sie früher oder später durch ihre Nachkommenschaft. Ihr Preis ist keineswegs unerschwinglich (sechs bis sieben Thaler für das Pärchen), erscheint sogar sehr niedrig, wenn man ihre Dauerhaftigkeit in Anschlag bringt und bedenkt, daß ihr Werth mit den Jahren sich eher erhöht als vermindert. Ich will sie nicht als Ersatz für unsere Sänger anpreisen, sondern nur als Käfigvögel bezeichnen, welche sehr viele gute Eigenschaften in sich vereinigen und Jedermann Freude bereiten. Letzteres beweisen wenigstens die Webervögel des Berliner Aquarium; denn sie bilden in den Augen der Mehrzahl der Besucher unbedingt einen Glanzpunkt der Anstalt.




Kampf und Kampfpreis.
1.

Einst waren wir Spielball der Diplomatie und standen im Rathe der Völker beiseit! –
Wir gruben die Brunnen der Philosphie, wir woben der Dichtung hellschimmerndes Kleid,
Den Samen des Geistes, wir säten ihn aus, im Kampf um die Freiheit, da standen wir vorn,
Doch Andre, die wanden die Blumen zum Strauß, die brachen die Trauben und schnitten das Korn!

Die Ritter des Wollsacks jenseits des Canals, die Söhne des Cancans jenseit von dem Rhein,
Sie hielten uns nicht für die „Helden des Stahls“ und nur für die „Helden der Feder“ allein!
Da kamen die Wetter des Krieges gebraust, da klang’s: „Zu den Waffen“ mit donnerndem Laut,
Und ehern erwies sich Germaniens Faust in Schlachten, wie selten die Welt sie geschaut!

Der Nord und der Süden, sie kamen herbei. Wer ist’s, der zum Höchsten, die Bahn uns versperrt?
Es hilft nichts, ihr Neider! Wir sind an der Reih’! Wir führen den Tactstock im Völkerconcert!
Nun wollen wir bau’n unser stattliches Haus; wir heimsen die Garben, die goldenen, ein;
Wir winden die Blumen des Glückes zum Strauß, wir keltern der Freiheit hochherrlichen Wein!

„Die Helden der Feder!“ so höhnten sie dreist. Ihr Klugen, es sei euch dies Spotten verzieh’n!
Die Feder, sie hat dem germanischen Geist zum Flug der Begeistrung den Fittich gelieh’n,
Dem Aar, der, beschäftigt den Horst sich zu bau’n, durch Hohn und die Hoffahrt zum Kampfe gehetzt,
Die Feinde verjagt, der die mächtigen Klau’n am Felsen von Zollern geschärft und gewetzt!

Ihr Fänge des Adlers, du Schnabel, so stark, du Heerbann von Deutschland, du stolze Armee,
Ihr Tapfern vom Süd und von nordischer Mark, hell klingt euer Lob über Länder und See!
Ihr Kriegsherr’n von Preußen, wie lenkt ihr im Feld die Heere so sicher in blutiger Schlacht,
Daß Thaten gescheh’n vor der staunenden Welt, wie nimmer sie Griechen und Römer vollbracht!

Noch funkeln die Säbel, noch kracht das Gewehr, noch tummelt sein Roß vor Paris der Ulan,
Noch streut die Kanone Kartätschen umher – wir folgen von ferne der glorreichen Bahn!
Beschirme, o Ew’ger, die Brüder im Streit und führ’ sie zurück mit dem Lorbeer zum Rhein!
Wir jauchzen: „O große, o herrliche Zeit! Glückselig, glückselig, ein Deutscher zu sein!“

2.

Wir sind zum Kampfe ausgezogen
Mit frischem Muthe Mann für Mann,
Ein Volk zu strafen, das, betrogen
Vom Hochmuth, auf Erobern sann,
Ein Volk, das, trunken von Genüssen,
Die Freiheit giebt, die heil’ge, Preis
Und lernt des Herrschers Fuß zu küssen,
Wenn man ihm nur zu schmeicheln weiß.

Ist dies das Volk, das die Standarte
Des Lichts voran den Kämpfern trug?
Ach nein, die Saat der Bonaparte
Ist’s, die so tiefe Wurzeln schlug!
Das sind die Ritter von der Phrase,
Das sind des Dirnenthums Lakai’n,
Und ihr „Elan“, des Schaumes Blase
ist’s nur auf dem Champagnerwein! –

O deutsches Volk im Kranz der Ehren,
Noch heut’ in Zucht und Sitte groß,
Es predigt gar gewalt’ge Lehren
Des Frankenlandes traurig’ Loos!
Laß warnen, Volk, dich und erinnern:
Dein schönster Sieg, er gält’ gering,
Wenn dir dein Heiligthum im Innern,
Des Herzens Kern verloren ging.

Sieh das Geschlecht der Corsenbuben!
Dich lehrt’s der Neffe und der Ohm! –
O Volk, die deutschen Schwerter gruben
Das Fundament zum deutschen Dom!
Zum Bau herbei, ihr Stämme alle!
Zum Bogen füget Stein an Stein!
Es soll der Freiheit Tempelhalle
Und nicht die Reichscaserne sein!

Nur Hand in Hand, nur fest zusammen!
O Volk, der Stunde Stimme spricht:
„Laß hell ob dem Altäre flammen
Dein heilig’ Recht als ew’ges Licht!
Berausch’ dich nicht im Weihrauchqualme
Und steh’ nicht vor der Macht gebückt!
Dir bring’ die Frucht des Friedens Palme,
Wenn dir die Stirn der Lorbeer schmückt. –

Unsäglich ist des Krieges Wehe;
Daß nicht umsonst dein Ringen sei,
O, kämpfe, schaffe, daß erstehe
Das ein’ge Deutschland, groß und frei!
Das sei der Preis vom Waffenspiele!
Erring’ ihn, Volk, mit Muth und Kraft,
Und dann gestrebt zum höchsten Ziele:
Der freien Völker Brüderschaft!


St. Marie aus Chênes bei Metz, 18. September 1870.

Emil Rittershaus.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_764.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)