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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


„Mein Freund, Majestät, war einer der Tausende, die vielleicht gerettet werden konnten, wäre die genügende Hülfe zur Stelle gewesen!“

„Nun, und warum war sie es nicht?“ fragte der König.

„Das eben ist es: sie war nicht vorhanden. Wir haben zu wenig Hülfspersonal, unsere Sanitätscorps reichen, den Wirkungen unserer vervollkommneten Waffen gegenüber, nicht aus, und die freiwillige Pflege ist allein in den Händen der Johanniter. Auch hier selbst, wo es sich um die Pflichten der Humanität und Christlichkeit handelt, begegne ich wieder einem Standesvorurtheil. Die vornehmen Johanniter sind die einzigen Nichtsoldaten, denen höchsten Orts das Recht zuerkannt ist, sich am Sanitätsdienst im Kriege zu betheiligen! Ich bin weit entfernt, die Verdienste dieser aufopfernden Männer schmälern zu wollen. Allein was bedeutet eine Schaar von Helfern, die nach Hunderten zählt, während die Hülfsbedürftigen nach Tausenden zählen? Ich selbst verdankte nur dem Umstande, daß ich von Adel bin, die Erlaubniß, eine kleine Truppe von Trägern zu organisiren und mich den Johannitern anzuschließen, und auch dies war natürlich nur ein Tropfen im Meer. Warum – Eure Majestät werden mir diese Frage gestatten – warum besitzt der Adel das Monopol einer Aufgabe der Barmherzigkeit, die er nicht allein vollbringen kann, da dieselbe zehnmal mehr Hände fordert, als ihm zu Gebot stehen?“

„Aha, ich begreife!“ sagte der König, dessen freundliche Stirn sich verdüsterte. „Sie wollen der allgemeinen Freiwilligenhülfe im Sanitätsdienst das Wort reden, Sie sind ein Anhänger jenes Genfers Dunant, von dem in neuester Zeit so viel gesprochen wird?“

„Ja, Majestät, das bin ich, und den Ideen jenes genialen und echten Menschenfreundes darf – kann sich das Ohr eines Monarchen nicht verschließen in dessen Hand das Wohl von Millionen gelegt ist.“

Der König machte eine ungeduldige Bewegung. „O, es wäre schlimm, wenn es eines Herrn Dunant bedürfte, um uns zu lehren, was Noth thut!“ fuhr der König auf. „Auch ich sehe ein, daß das Sanitätswesen eine Reform erfahren muß, aber dies kann nur auf militärischem Wege geschehen!“

„Nicht vollkommen, Majestät, sicher nicht vollkommen. Der Staat könnte ohne unverhältnißmäßige Opfer keine Sanitätsmannschaft errichten, die den Anforderungen eines modernen Krieges gewachsen wäre. Dunant weist dies mit Zahlen nach. Die Privathülfe würde dem Staate alle diese Opfer abnehmen, sie würde –“

„Die Privathülfe!“ unterbrach ihn der König. „Ich bitte Sie, das sind ja lauter gut gemeinte, aber von Grund aus unpraktische Sachen. In die eiserne Maschinerie unserer heutigen Kriegsführung gehören keine nichtmilitärischen Elemente, sie würden von dem fest ineinander greifenden Räderwerk zermalmt werden oder Unordnung und Störungen herbeiführen“

Alfred sah den Köuig an, ernst, ehrlich, unerschrocken. „Die Johanniter sind auch keine Soldaten, Majestät, und dennoch durften sie hiervon eine Ausnahme machen.“

„Doch, doch,“ sagte der König rasch, „die Johanniter sind halbe Soldaten. Ihr Stand bringt es mit sich, daß sie sich früh in allen ritterlichen Künsten übten, das militärische Wesen steckt ihnen, wie jedem Adeligen, so zu sagen im Blute!“

„In diesem Sinne, Majestät, ist jeder Ihrer Unterthanen Soldat, denn Jeder diente ja sein Jahr ab und lernte sich in die Anforderungen der Disciplin und militärischen Ordnung schicken.“

„Zugegeben“ sagte der König, „aber wo bleibt bei solchen Massen aus dem Volke die Controle? Können sie mir die Garantie bieten, welche mir die bewährte Gesinnung der Johanniter bietet? Kann nicht mit dem gepriesenen Freiwilligencorps meinem Heer eine Schaar von Spionen oder verderblichen Einflüssen aller Art einverleibt werden – wer sondert unter solchen Massen und im Drange eines Krieges die Spreu vom Weizen?“

„O Majestät, ich kenne das Volk und stehe ein für seine Treue und Ehrenhaftigkeit, es wird keine Elemente unter sich dulden, die der Sache schaden könnten, für die seine Söhne und Brüder kämpfen; jeder Tropfen Blutes, den diese verlieren, ist ihm kostbar, es will ihn nicht vergebens fließen sehen, und würde auch nichts dadurch gewonnen, als die Ehre des Siegs. O nein, Majestät, von dem Volke ist kein Verrath zu fürchten, und bei unserem Reichthum an organisatorischen Talenten wäre es wohl ein Leichtes, eine Verwaltung zu schaffen, welche gegen das Einschleichen von Spionen schützte. Eine Controle, welche die strengste Ordnung in einem Heerkörper von einer halben Million Seelen aufrecht erhält, sollte doch wohl auch ausreichen, um einige Tausend braver Bürger zu überwachen!“

„Sie wären ein guter Advocat geworden,“ sagte der König.

„Majestät, was Henri Dunant fordert – Sie können es geben: Neutralität des Sanitätspersonals und Zulassung der freiwilligen Hülfe im Kriege. Das ist so wenig und so viel: so wenig für Eure Majestät und so viel für Ihr Volk! Ihre Unterthanen dürfen ihre Vertreter selbst wählen, dürfen als Deputirte die Angelegenheiten des Staates selbst ordnen, als Geschworene ihre Verbrecher selbst richten. – Warum zögern Eure Majestät, ihm das natürlichste Recht zu gewähren, das, seinen Brüdern, Vätern, Söhnen in Gefahr und Noth selbst beizustehen oder wenigstens seine Todten selbst zu begraben, um sicher zu sein, daß beim Aufräumen des Schlachtfeldes nicht der Eine oder Andere mit dem großen Leichenhaufen aus Versehen noch lebend in die Kalkgrube geworfen wird?“

Der König wandte sich ab.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Wer hat die Correspondenzkarten erfunden? Mehrere Fachzeitschriften, unter anderen die in Wien erscheinende „Post“, stellten schon zu wiederholten Malen die Frage: „Welcher Postbeamte mag wohl die Correspondenzkarten erfunden haben?“

In jüngster Zeit brachte eine Originalcorrespondenz der „Neuen freien Presse“ (Nr. 2187 vom 29. September 1870 Seite 9) aus Kassel über die Anwendung der Correspondenzkarten folgende Zeilen:

„Die Zahl der seit der Mobilmachung an die Truppen und deren Angehörige in der Heimath ausgegebenen Feldpost-Correspondenzkarten beläuft sich allein auf mehr als fünfzehn Millionen, nachdem schon am 22. August, laut eines diesfalls veröffentlichten Erlasses des General-Postdirectors, Herrn Stefan, zehn Millionen davon zugestellt worden waren. – Die erst vor Kurzem von Wien ausgegangene Erfindung der Correspondenzkarte, einfach wie das Ei des Columbus, aber darum nicht weniger schätzbar und seit Jahrhunderten fast unbegreiflich auf sich warten lassend, ist gerade zur rechten Zeit gekommen. Nicht der zehnte Theil der zwischen den deutschen Truppen und ihren Lieben zu Hause seit Ausbruch der Feindseligkeiten gewechselten Mittheilungen wäre wahrscheinlich erfolgt, wenn diese unter allen Umständen bequeme Handhabe gefehlt hätte, seine Gedanken ohne Feder und Tinte, ohne Briefumnschlag und Siegellack, unter dem Zelte oder im offenen Bivouac, auf einem Baumstrunke oder an die Kanone gelehnt, augenblicklich zu Papier bringen zu können. Jetzt erst wird die ganze wohlthätige Bedeutung der neu aufgetauchten Maßregel klar. Man sollte Demjenigen, in dessen Kopfe diese glückliche Idee zuerst entsprang, in der That eine Nationalbelohnung votiren, wie dem Tonsetzer der ‚Wacht am Rhein‘.“

Der Erfinder der Correspondenzkarten ist kein Postbeamter. Er ist Nationalökonom und Professor dieses Faches an der kaiserlich österreichischen Militärakademie zu Wiener-Neustadt. Einige Jahre vor seiner Berufung nach Neustadt wirkte er als Privatdocent an der Universität und als Professor an der Handelsakademie zu Graz, und organisirte unter Anderem in dieser Stadt auf ganz originelle Weise die Versorgung der Bevölkerung mit Kohlen und Holz. Er heißt Dr. Emanuel Herrmann und ist gegenwärtig einunddreißig Jahre alt. Sein Geburtsort ist Klagenfurt in Kärnten, welche Stadt er auch als Abgeordneter im Kärntner Landtage vertritt.‚‘

Dr. Herrmann gelangte zu dieser Erfindung durch die consequente Verfolgung der Grundsätze der Wirthschaft, welche er gerade damals in neuer und origineller Art in dem 1870 in Graz erschienenen „Leitfaden der Wirthschaftslehre“ niederlegte. Er arbeitete eben an der Darstellung des Gesetzes der Specialisirung und forschte nach Belegen. Da fiel ihm auf, daß so viele Briefe geschrieben werden, welche ihrem Inhalte nach weder eines Siegels, noch eines Couverts, noch der vielen Titulaturen und anderer Förmlichkeiten bedürfen, und daß dennoch für diese Specialität von Briefen noch nicht die eigenthümliche einfachere bequemere Form gefunden sei. Wie ein Blitz durchfuhr ihn der Gedanke an Postkarten, welche schon mit der Marke versehen ausgegeben werden und nur mit Tinte oder Bleistift beschrieben zu werden brauchen. Er theilte diesen Gedanken seiner jungen Frau mit, und diese zeigte sich von der Idee und deren praktischer Tragweite lebhaft ergriffen. Nun verfaßte er einen Artikel für die „Neue freie Presse“ mit der Aufschrift: „Ueber eine neue Art der Correspondenz.“ Der Aufsatz erschien einige Tage nachher (am 27. Januar 1869) auf der Rückseite des Abendblattes der „Neuen freien Presse“. –

Zehn Tage später begab sich Dr. Herrmann nach Wien zum General-Postdirector, Freiherrn von Maly, um diesen zur praktischen Verwirklichung der Idee der Postkarten zu vermögen. Nach langen Verhandlungen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_810.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)