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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Punkte, Verrath zu üben an mir und meiner ganzen Vergangenheit. Meine armen hingeopferten Eltern, die Tochter wird Euer Recht zu wahren wissen – und müßte sie auch darüber zu Grunde gehen!“ –

Währenddessen saßen die übrigen Bewohner des Herrenhauses, wie gewöhnlich nach beendetem Frühstück, im Gartensalon. Baron Sternfeld las seiner Mutter die Zeitungen vor aber die politischen Neuigkeiten, denen die Präsidentin mit großer Aufmerksamkeit folgte, schienen sowohl die Baronin als auch Frau von Reinert zu langweilen; die Erstere theilte ihre ganze Aufmerksamkeit zwischen ihrer Stickerei und ihren beiden kleinen Töchtern, die draußen auf der Terrasse spielten, und die Letztere gähnte ein Mal über das andere hinter dem Schutze ihres Taschentuches.

Auch bei Antonien hatten die sieben Jahre ihre nur allzu deutlichen Spuren zurückgelassen. Sie war längst nicht mehr jenes bezaubernde poetische Wesen, das einst den jungen Maler so zu begeistern wußte, daß er in der Leidenschaft für sie alles Andere vergaß. Ihre Schönheit gehörte jener zarten, aber vergänglichen Art an, die nur in der Frische und Blüthe der Jugend wurzelt und mit dieser rettungslos dahinschwindet. Da waren keine festen edlen Linien, kein charakteristischer Ausdruck, kein seelenvoller Blick, der jenen flüchtigen Reiz überdauert hätte. Das einst so schwärmerische Feuer der dunklen Augen war erloschen, untergegangen in jenem Ausdruck von Ermüdung und Blasirtheit, der sich in ihren Zügen ebenso deutlich wie in denen ihres Gatten verrieth. Die Gräfin Arnau war im Anfange der Zwanzig noch blendend schön gewesen, Frau von Reinert erschien am Ende derselben bereits verblüht, und all die angewendeten Künste der Toilette vermochten nicht das Verlorene zu ersetzen.

Der Eintritt Hermann’s machte der Vorlesung des Barons und der Langenweile der beiden jüngeren Damen ein Ende. Er trat nach einem kurzen Morgengruße, der Allen galt, an den Lehnstuhl der Präsidentin und entschuldigte sich mit einigen Worten wegen seines Ausbleibens beim Frühstück.

„Wo bleibt denn Eugen?“ fragte Baron Sternfeld verwundert.

„Eugen hat einen kleinen Unfall bei unserem Ritte gehabt. Er stürzte mit dem Pferde und verwundete sich am Arme, unbedeutend nur, indessen ist er im Forsthause zurückgeblieben, und ich habe bereits Befehl gegeben, ihm den Wagen hinauszuschicken. Uebrigens ist die Sache ohne alle Gefahr, wie Doctor Börner versichert, der mit auf unserer Partie war und ihm sogleich einen Verband anlegte.“

Niemand dachte daran, diese im ruhigsten Tone gegebene Erklärung zu bezweifeln. Die Baronin ließ einen Ausruf des Bedauerns hören, Antonie aber sagte heftig: „Dies wilde Reiten! Ich habe Eugen selbst schon prophezeit, daß er damit noch einmal ein Unglück anrichten wird, aber er hört nie auf meine Warnungen!“

Es lag nicht die mindeste Spur von Angst oder Zärtlichkeit in diesem Tone, wohl aber sprach sich ein unverkennbarer Aerger darin aus. Das Gesicht der Präsidentin verrieth allerdings auch keine große Theilnahme, dennoch sagte sie ernst: „Willst Du nicht wenigstens zu Deinem Manne hinausfahren, Antonie?“

„Wozu das, Großmama? Du hörst ja, die Sache ist von keiner Bedeutung, und in einer Stunde trifft Eugen ohnedies ein.“

Sie lehnte sich mit der vollendetsten Gleichgültigkeit in ihren Stuhl zurück. Die Präsidentin schwieg, aber ihre Miene verrieth, was sie von dieser Antwort dachte, – das also war das Ende jener unsagbar glühenden Leidenschaft, die einst die Gräfin Arnau über alle Grenzen der Vernunft und des Verstandes hinweggerissen! Hermann verstand sehr gut das Achselzucken und den Blick der Großmutter, der auch ihm galt; war er es doch gewesen, der jene Verbindung begünstigt hatte. Es ist immer peinlich, einen Irrthum eingestehen zu müssen, und der Graf schien heute. vollends nicht in der Laune dazu. Schon beim Eintritt war sein Blick unruhig forschend durch den Salon geflogen, und die Wolke, die bereits auf seiner Stirn lag, war dabei noch dunkler geworden. Jetzt wuchs seine Verstimmung von Minute zu Minute; er war einsilbig, zerstreut und betheiligte sich fast gar nicht an der Unterhaltung.

„Sind die Kinder denn heute ohne Aufsicht?“ fragte er plötzlich, auf die kleinen Mädchen weisend, die auf der Terrasse einander umherjagten und nach Kinderart dabei etwas laut wurden.

Die Baronin seufzte. „Leider sind sie das! Mademoiselle Walter macht mir heute Morgen das Vergnügen, sich für krank zu erklären, gerade jetzt, wo wir fort wollen!“

„Ah so!“ Die Lippen des Grafen preßten sich wie im heftigsten Zorne zusammen, während die Baronin fortfuhr, sich mit großer Umständlichkeit über die Krankheit ihrer Gouvernante zu beklagen, die ihr äußerst ungelegen komme und möglicherweise sogar die auf morgen Mittag festgesetzte Abreise in Frage stelle.

„Das steht wohl kaum zu befürchten!“ warf Antonie spöttisch hin. „Ich vermuthe, Mademoiselle Walter hat sich bei ihrer gestrigen Abendpromenade einen Schnupfen geholt, der schwerlich von großer Bedeutung ist.“

„Bei welcher Promenade?“ fragte die Baronin, aufmerksam werdend.

„Nun, sie kam gestern ziemlich spät aus dem Park zurück, und kurz vorher hatte ein Herr denselben verlassen, den ich allerdings nicht zu erkennen vermochte, da es bereits zu dunkel war, der aber seiner ganzen Haltung nach weder zu den Arbeitern noch zur Dienerschaft gehörte. Mein Gott, weshalb auch nicht! Die sämmtlichen Herren aus der Nachbarschaft sind ja einstimmig in der Bewunderung von Mademoiselles Schönheit. Es wäre in der That kein Wunder, wenn sie irgend einen dieser begeisterten Verehrer erhört und ihm ein kleines Rendezvous bewilligt hätte -“

Die Präsidentin runzelte die Stirn, trotz ihrer Antipathie gegen Gertrud war sie doch streng gerecht und duldete in ihrer Umgebung keine Verleumdungen. „Das müßtest Du doch erst beweisen, Antonie,“ unterbrach sie ihre Enkelin in ernst verweisendem Tone; „so wie ich das Mädchen beurtheile, ist dieser Vorwurf unter allen der letzte, der ihr gemacht werden könnte, und Bertha hat bisher noch keine einzige Klage über sie gehabt.“

„Ich würde Dir auch rathen, doch erst die Aufklärung abzuwarten, liebe Toni,“ nahm Hermann jetzt kaltblütig das Wort. Er stand noch am Sessel seiner Großmutter, hatte beide Arme auf die Lehne desselben gelegt und fixirte seine Cousine mit einem eigenthümlichen Blick. Es lag ein halb mitleidiger, halb verächtlicher Spott darin, und um seine Lippen zuckte bereits wieder der gefürchtete Sarkasmus, der sich so oft schonungslos über alles ergoß, was in seine Nähe gerieth, wenn er zuvor durch irgend einen Umstand gereizt worden war.

„Ich sprach nur eine Vermuthung aus,“ sagte Antonie, empfindlich über den erhaltenen Verweis, indem sie den Kopf zurückwarf. „Ich wollte aber längst schon Gelegenheit nehmen Bertha einen Wink hinsichtlich dieser Mademoiselle Walter zu geben; was ich neuerdings über sie in Erfahrung gebracht habe, spricht durchaus nicht zu ihren Gunsten.“

Hermann lächelte mit unverholener Ironie. „Erst neuerdings hast Du das in Erfahrung gebracht? Wirklich?“

Antonie sah ihn ungewiß an. „Was willst Du damit sagen? Ich verstehe Dich nicht.“

„O, ich meinte nur, etwas, was freilich nicht zu Gunsten der jungen Dame spricht, ihre äußere Erscheinung nämlich, müßte Dir doch bereits beim ersten Anblick aufgefallen sein.“

(Fortsetzung folgt.)




Vor dem Fort Nogent bei Paris.
Briefliche Mittheilungen und Illustration von unserm Feldmaler F. W. Heine.


Montfermeil, Ende November 1870.     

Heute muß ich Ihnen, verehrter Herr Keil, über meinen Ausflug nach dem Flecken Chelles berichten, der etwa drei Viertelstunden von hier liegt und wo unser 107. Regiment mit seinen vielen Leipzigern Stellung hat.

Wenn man zum Dorfe Montfermeil auf der Straße nach Chelles herauskommt, sieht man zur Linken eine Hügelkette sich zwischen beiden Orten ausdehnen. Gleich vor Montfermeil stehen auf der Höhe zwei Windmühlen und zwischen beiden ist der Standort von zwei Verschanzungen der Batterie Carola. Hier

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 816. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_816.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2019)