Seite:Die Gartenlaube (1870) 822.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

übergehen. Ich sollte auch mitkommen, um den Duxern etwas vorzusingen, und als Felix Margreiter tröstlich sagte: ‚Dich kostet’s Nichts, wir bezahlen Alles,‘ hat es mich bereits vom Boden gehoben vor Freude.

Nun fehlte mir aber noch die nöthige Kleidung zu dieser Wanderschaft. Ich hatte nur Holzschuhe anzulegen, meine Hosen waren voller Schmutz, mein Kittel ganz schmierig, doch fiel mir ein, daß mir meine Mutter beim Auszug auf die Alm auch ein neues Hemd und eine Unterhose eingepackt hatte. Letztere hatte zwar keinen Sack, ich vermißte ihn aber auch nicht, da ich doch keinen Geldbeutel einzustecken hatte. Felix Margreiter tröstete mich überdies: es sei Alles gut genug, denn die Duxer verstünden das nicht. – Das Beste von Allem war mein Hut mit den zwei krummen Federn.

Beim ersten Tagesgrauen waren wir schon auf dem Wege. Der Morgen war herrlich; der Auerhahn falzte in dem Gehölze, die Schneehühner zwitscherten fröhlich und die alten Jochgeier krächzten von den Felsenhöhlen herunter ihren Baß dazu. Nachdem wir etliche Stunden in der erhabensten Gebirgslandschaft gegangen und bis zum Dreieckstein gekommen waren, wo der Weg an den höchsten Abgründen hinführt, trafen wir etwas unter dem Gipfel ein wunderschönes grünes Plätzchen sammt einer prächtigen Quelle. Doch war es gar unheimlich, rings herum in die Abgründe hinunter zu schauen, und Jedem, der es versuchte, lief es eiskalt durch die Adern. Da die Sonne schon hoch und heiß über uns stand, so hieß es aber bald allgemein, wir sollten hier ein wenig ausruhen, denn wir kämen noch früh genug in’s Dux. So versank denn Einer nach dem Andern in einen erquickenden Schlummer und träumte, was ihm beliebte, als uns plötzlich ein fürchterlicher Donnerschlag aus dem Schlafe aufschreckte. Wie staunten wir Alle uns jetzt in völliger Finsterniß wiederzufinden! Wer eine Uhr hatte, sah zuerst auf diese, in der irrigen Meinung, wir hätten den ganzen Tag verschlafen und seien nun von der Nacht überfallen worden. Aber noch mehr staunten wir Alle, als die Uhr erst elf Uhr Mittags zeigte.

Es war also ein Gewitter über uns gekommen, ein furchtbares Hochgewitter, und die schwarzen Wolken lagen so hart an uns, daß wir keine zwei Klafter weit sehen konnten. Todtenbleich blickte Einer den Andern an, und Keiner wußte zu rathen oder zu helfen. Ringsum die fürchterlichen Abgründe und nirgends ein Schlupfwinkel, wo wir uns vor dem Andrang des Regens, der wie ein Wildbach auf uns niederstürzte, hätten schützen können.

In wenigen Augenblicken waren wir auch schon so naß, daß die Wässer unten bei den Hosen herausliefen. Dazu kam noch ein entsetzlicher Sturm, der uns in die grauenvolle Tiefe hinunterzuschleudern drohte; die Blitze schlugen rechts und links in das Felsgestein, und der Donner brüllte fort und fort, daß es das ganze Gebirge erschütterte. Bald fing es auch an zu schauern, so daß wir nach kurzer Zeit bis über die Knöchel in den Hagelkörnern standen, welche wie Baumnüsse auf unsere Häupter niederrieselten. Wir waren bereits starr vor Frost, aber als unser Elend aus das Höchste gestiegen, hatte Felix Margreiter wieder einen guten Einfall. Wir führte nämlich alle Fünf große Bergstöcke mit uns, und diese wurde jetzt auf seinen Vorschlag entzweigebrochen, einer davon auch klein gespalten, und so loderte in wenigen Minuten an der Felswand das schönste Feuer auf.

Während wir uns nun zu erwärmen und zu erheitern suchten, zog sich das Gewitter allmählich in das Thal hinab. Gegen vier Uhr stieg auch die Sonne, doch sehr matt und schwach, aus den dicken Wolken heraus, welche unter uns immer noch fortdonnerten. Wie froh waren wir aber, als wir dies schauerliche und doch so schöne Plätzchen wieder verlassen konnten! Doch ging es lange nur Schritt für Schritt an den Felswänden hin, weil das schmale Weglein sehr schlüpfrig geworden und unsere Bergstöcke verbrannt waren. Endlich um neun Uhr erreichten wir Lannersbach, den Hauptort im Duxerthal, und gingen sogleich zum Jörgel, dem berühmten Duxerwirth, welcher Anno neun unter Andreas Hofer eine große Rolle gespielt hatte und in der ganzen Gegend als ein lustiges Haus bekannt war. Er nahm uns sehr freundlich auf; wir setzten uns um einen runden Tisch, erzählten den Gästen, welche mit gespannten Ohren zuhörten, Alles, was wir seit dem Morgen erlebt, und fingen dann wacker zu zechen an. Alsbald erschien auch der Lehrer, und wir begannen nun zu singen. Die Duxer kamen schaarenweise in die Stube, bald war das ganze Haus geschlagen voll und Jörgel zeigte sich ungemein vergnügt, daß wir ihm heute einen so einträglichen Abend zu Wege gebracht. Uns ließ er eine Maß nach der andern aufsetzen, damit ja der Gesang nicht ausginge, und so blieben wir denn bis tief in die Nacht in fröhlichster Stimmung beisammen.

Den andern Morgen kam Jörgel zu guter Zeit mit einer Branntweinflasche an unser Bett und drängte uns, heute ja noch hier zu bleiben; wir sollten Alles frei haben. Da nämlich diesen Morgen das Begräbniß eines reichen Bauern und danach, wie es landesüblich, eine Todtenzehrung bevorstand, so gedachte Jörgel, die Leute durch unsere Unterhaltung je länger, je lieber festzuhalten, und er hatte wirklich, wie es sich später zeigte, ganz richtig speculirt. Bald kam auch der Lehrer und holte uns auf den Chor ab, wo wir bei dem Trauergottesdienst singen sollten. Ich hatte in meinem Leben freilich noch nie auf einem Chor gesungen, war auch noch nie in einer Unterhose in die Kirche gegangen, allein in Dux schaute mich Niemand drum an. Nach der Beerdigung begann das Hochamt, und wir Anderen fingen zu singen an, lauter bekannte Alpenmelodieen, in die wir nur die Worte: Requiem aeternam dona eis, domine einlegten. Die guten Duxer waren gleichwohl mit unseren Leistungen sehr zufrieden und nach beendetem Gottesdienste erwarteten uns über hundert Neugierige an der Kirchgasse, welche uns dann alle in’s Wirthshaus folgten.

Dort begann nunmehr das Todtenmahl, und wir wurden von den Erben Alle zur Tafel gezogen. Diese wollte lange gar kein Ende nehmen; nach den Nudeln kamen Kücheln, nach den Kücheln wieder Nudeln und dazu wurde immer tüchtig getrunken. Bald bat man uns auch, zu singen, und als wir unsere Lieder erschallen ließen, wurde Alles noch lebendiger, so daß man eher hätte glauben sollen, es werde eine fröhliche Hochzeit gefeiert. Die arme Seele im Fegfeuer war ganz vergessen, bis endlich Nachmittags um zwei Uhr wieder ‚Herr, gieb ihnen die ewige Ruhe‘ gebetet wurde, womit die Tafel zu Ende war. Die Leute gingen aber gleichwohl nicht aus dem Wirthshause, sondern zechten noch bis in die Nacht hinein, und auch wir kamen erst sehr spät zu Bette. Am andern Mittag traten wir nach freundlichem Abschiede und mit Dank überschüttet den Rückweg an und erreichten gegen Abend wieder unsere Alm.“

Aber auch dieser schöne Sommer verging, und es kam der Herbst und mit ihm die Zeit der Heimfahrt. Unser Freund schied sehr ungern von der Alm, denn er freute sich nicht viel auf das Vaterhaus und noch weniger auf die Schule, die er im Winter wieder besuchen sollte.

Nun ging’s also an die Heimfahrt, welche Ludwig Rainer schildert, wie folgt:

„Am Vorabend wurden alle Kuhglocken reinlich geputzt und Büschel gebunden für den Melcher, den Hüter, den Halbkäser und für mich. Am andern Morgen um vier Uhr wurde das Vieh aus dem Stalle gelassen, mit den Glocken behängt und ebenfalls mit Büscheln und Federn geziert. Dann wurde der Zug geordnet. Der Melcher trieb in seinem schwarzen Hemd und rothen Hosenträgern die reichgeschmückte Maierkuh, welche sich Zottel nannte, voraus; die übrigen Kühe folgten ihm nach voll Selbstgefühl, als wenn sie gewußt hätten, wie schön sie heute verziert waren. Hierauf kam der Hüter mit seinem aufgewichsten Schnurrbart, und diesem folgte das Rindvieh und die Schaar der Schweine, die der Halbkäser mit seinem großen Rautenstrauße auf dem Hute zu hüten und zu lenken hatte. Den Schluß des Zuges bildete ich mit meinen Geisen und Schafen, welche ich stolz vor mir hertrieb. Einer meiner Geisen hatte ich sogar einen Kranz mit Federn aufgesteckt, weil sie auf der ganzen Alpe Pfuns die Königin war.

Als wir abwärts kamen, strömten die Leute rechts und links aus den Häusern herbei, um unsern Zug zu sehen und uns freundlich die Hand zu reichen. Unser Vieh war allbekannt das schönste und schwerste in der ganzen Gegend, und wir bildeten uns nicht wenig ein darauf. Felix, mein Oheim, der Almbauer, wie man bei uns sagt, erwartete uns am Eingange des Dorfes mit einer Flasche Schnaps und begrüßte uns herzlich, sammt hundert anderen neugierigen Zuschauern. Meine Mutter dagegen jammerte hoch auf, als sie mich so schmutzig daherkommen sah; ich aber sagte ihr mit männlichem Ernste: ‚das ist bei uns Almern so der Brauch.‘ Ich war auch wirklich sehr stolz auf mein schwarzes

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_822.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)