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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

abzufassen, während des ganzen Feldzugs mit so anerkennenswerthem Geist und Tact zu lösen wußte. Ein kleiner Planwagen weiter zurück trägt mit, großen schwarzen Buchstaben auf seinem Leinwandverdeck die Worte gemalt: „Mr. Russell, Hauptquartier, dritte Armee“ und birgt unter dessen Höhlung den „Intendanten“ und zwei Diener dieser weltberühmten Correspondentengröße. Er selbst, der stattliche breitschultrige Herr mit dem weißen kurzen Schnurrbart und den feurigen schwarzen Augen, die unter seines grauen Calabresers Rand so scharf beobachtend klar und kühn umherblicken, immer gekleidet in einen kurzen grauen, hinten in der Taille straff zusammengezogenen Rock von eigenthümlichem Schnitt und hohe Reitgamaschen an den Beinen, er selbst erscheint immer nur zu Pferde, so gut wie seine beiden Landsleute, Mr. Skimmer, der Correspondent der „Daily News“, der bereits in China, im amerikanischen Kriege, ich glaube auch gar in Abyssinien solcher Reporterpflicht genügt hat, und Mr. Landells, der treffliche Kriegszeichner für „Illustrated London News“.

Die Hauptchaisen und Fourgons des zum Hauptquartier gehörigen deutschen Fürsten- und Thronfolgercollegiums sind nur ganz ausnahmsweise, kaum beim entsetzlichsten Wetter, von ihren Herren besetzt, dafür aber mit Koffern und Reisetaschen so dicht und hoch bepackt, daß für Fahrer und Bediente schwer nur ein Plätzchen abzustehlen ist. Den Schluß und Schwanz der ganzen Auffahrt macht, wie gesagt, die oft in sehr fragwürdiger Gestalt auftretende Colonne von Bauerwagen, welche den Hafer für die Pferde des Quartiers nachfahren; die meisten sind mit ihren Pferden und Besitzern bereits von Speyer und noch weiter zurück her mitgenommen. Trotz der nie verstummenden, verdrossenen Verwünschungen ihres Schicksals, in welchen sich diese Herren ergehen, ist deren Situation keineswegs so schlimm, da jeder von ihnen Rationen für sich und seine Pferde, drei und einen halben Thaler täglichen Lohn und, wenn seine Thiere unterwegs den Strapazen erlagen, noch immer einen ziemlich vortheilhaften Ersatz für die Gefallenen erhält.

Um die Folge strenger einhalten zu können, ist an jedem Wagen der ganzen langen Reihe irgendwo mit Kreide deutlich lesbar durch eine Nummer die ihm zukommende Stelle in der Rangordnung markirt, aber oft genug wird diese vom Fahrer vergessen, und der Oberwachtmeister hat unaufhörlich scharf zu passen und mit unerbittlicher Energie einzugreifen, wenn Alles in Richtigkeit und guter Ordnung bleiben soll. Diese zu halten wird ihm oft genug noch schwerer gemacht durch irgend eine gerade gleichzeitig aus demselben Orte und auf demselben Wege hinausmarschirende Proviant- oder Munitionscolonne, durch einen Artilleriezug oder ein Infanterieregiment mit all seinem Train. Dann dröhnt und schmettert der Befehlsruf „Rrrrächts haaaltennnn!“ und die Wächter der Ordnung jagen und preschen die Reihe hinunter, um seine Ausführung zu controlliren. Es ist ein saures Amt, eines von denen, das Keinem gegeben und sicher auch Keinem erwünscht ist, der nicht „den Verstand“ und das Zeug dazu schon vorher besitzt. –

Aber endlich ist Alles in Richtigkeit. In langer, möglichst gerader Linie stellt sich die Hauptquartiercolonne längs der äußersten Rechten der Landstraße hin. Herr Brodsky kann mit seinem Werke zufrieden sein. Da klingt es plötzlich von Wagen zu Wagen bis zu den Ulanen an der Spitze hin: „Der Prinz kommt!“ und jeder Kopf wmdet sich zur Linken, auf welcher die Cavalcade zuerst im ruhigen Schritt der Pferde herannaht.

(Schluß folgt.)




Aus eigener Kraft.
Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)


„Majestät,“ fuhr Alfred fort, „wie oft ist es mir geschehen, daß ein Kranker, während ich ihn verband, zum zweiten Male von einer feindlichen Kugel getroffen ward, weil kein Neutralitätsgesetz die Verbandsplätze schützt! Wie viele Krankenträger wurden während der Erfüllung ihrer schweren Pflichten vom Feinde weggeschossen! Wie viele Verwundete fand ich noch tagelang nach der Schlacht auf dem Kampfplatze, und in welchem Zustande! Von den Hyänen des Schlachtfeldes geplündert, geblendet, nackt in ihrem Blute sich wälzend, oder in einen blutigen Knäuel zusammengeballt sich um eine Pfütze drängend, bemüht, mit den verstümmelten Gliedern das ekelhafte schlammige Wasser zu erreichen! Mancher, der Stunde für Stunde vergebens gewartet hatte, hauchte mit dem Freudenlaut, den er beim Anblick des Retters ausstieß, den letzten Seufzer aus. Mancher rief mir zu: ,Seid Ihr Menschen, daß Ihr uns so vergessen konntet?!’ Und all’ dem Elend wäre gesteuert durch die Verwirklichung der Vorschläge Dunant’s! Es bedürfte nur eines Wortes aus dem Munde Eurer Majestät, und die Regierungen treten zusammen, unterzeichnen den Neutralitätsvertrag – und ein Volk in Waffen, nicht gegen das Leben, sondern gegen den Tod, steht auf, um seinen Brüdern zu helfen! Wie schön, wie göttlich, mit einem einzigen Worte unermeßlichen Jammer hindern zu können! Ich weiß es, Eure Majestät werden dies Wort sprechen, sobald Sie Dunant’s Schriften gelesen haben, denn Sie tragen ein gutes, ein großes Herz in der Brust und Ihr Herz fühlt mit Ihrem Volke!“

Der König schritt im Zimmer auf und nieder. Er war in sichtlicher Bewegung. Alfred stand mit unwillkürlich gefalteten Händen da, eine helle Röthe der Begeisterung färbte seine bleichen Wangen, er war schön in diesem Augenblick, so schön wie nur ein großes edles Gefühl den Menschen machen kann.

Der König kehrte nach seinem Gange durch das Zimmer zu Alfred zurück. Er hatte die Arme über der Brust gekreuzt und sah lange schweigend auf den jungen Mann herab. „Junger Mann,“ sagte er dann, „Sie haben mich tief erschüttert. Sie haben mir das Beste gegeben, was man einem Herrscher geben kann: Wahrheit! Ich gebe Ihnen dafür das Beste, was ich geben kann: Vertrauen!“

„Majestät!“ rief Alfred hingerissen.

Doch der König fuhr fort: „Ich will Dunant’s Vorschläge prüfen, und es soll mich freuen, wenn ich Ihnen einst sagen kann, daß ich geneigt sei, einen Bevollmächtigten nach Genf zu senden und die Convention zu unterzeichnen!“

„Majestät,“ rief Alfred, „nicht ich – die ganze Menschheit nur kann Ihnen das danken!“

„Genug, zuviel!“ rief der König. „Sie fallen ja aus der Rolle, mein strenger Posa. Adieu für heute!“

Da drückte Alfred seine Lippen auf die Hand des Monarchen und ein glückliches Lächeln verklärte sein Gesicht. „Nun denn, wenn ich durchaus Posa sein soll, so will ich sagen wie Jener: ,Kann ich Eure Majestät mit einer erfüllten Hoffnung verlassen, dann ist dieser Tag der schönste meines Lebens!’“




32. Gesühnt.

„Dem Wohlsein menschlicher Wesen dienen, mag ein demüthiges Amt sein, aber es liegt in ihm eine majestätische Demuth,“ sagt Julius Naundorff, einer der edelsten Menschenfreunde unserer Zeit. Diese majestätische Demuth war es, was Alfred’s ganzes Wesen kennzeichnete, was ihm trotz seiner Jugend eine Ueberlegenheit gab, deren Eindruck sich Niemand entziehen konnte und die Niemanden beleidigte, weil sie so frei von jeder Ueberhebung war. –

Kurze Zeit nach seinem Gespräche mit dem Könige hatte er die stolze Genugthuung, gegenwärtig zu sein, als der Bevollmächtigte seines Monarchen die Genfer Convention unterzeichnete. Er durfte sich sagen, daß er vor Allem durch seinen furchtlosen Appell an das Herz des Königs dazu beigetragen hatte, das großartigste Werk der modernen Humanität in’s Leben zu rufen, und dadurch ein Wohlthäter vieler Tausende geworden war, denen das rothe Kreuz auf weißem Grunde von nun an im Kriege Schutz und Hülfe gewähren sollte. Wie viel ihm auch das Schicksal genommen, er erkannte dankbar an, was es ihm dafür gegeben. Wer, dem selbst kein Glück zu Theil geworden, fühlt sich nicht entschädigt durch die Macht, Andere zu beglücken? Das war bei Alfred der Fall, und eine ernste Zufriedenheit trat allmählich an die Stelle der Trauer. Während seines Aufenthaltes in Genf ließ er seine Mutter dorthin kommen, die er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_827.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)