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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

wie es den Lieutenant hinten im Stall, der Alles für Scherz hielt, niederwarf und zusammenschlug.

Bis zum Pfeiler war das ganze Gewölbe heruntergebrochen. Nur Einzelne, die meinem Rufe noch folgen konnten, entwischten und fanden sich diesseits bei den Pferden ein, welche nun aber im Schrecken auch losrissen und furchtbar zu toben anfingen. Unsere Lage bin ich wohl nicht im Stande zu schildern! Da der Sturz auch die Laterne zerschlagen so war Alles stockfinster – dazu die gesperrte Thür – die tobenden Rosse – das Jammern und Hülfegeschrei der noch lebenden Cameraden, die zum Theil nur halb verschüttet waren – der dicke Staub, der uns jeden Augenblick zu ersticken drohte, und die Angst, der noch stehende Theil des Neubaus könne auch jeden Augenblick herunterbrechen und uns lebendig begraben.

Endlich kam man helfend zur Thür, die aber auch erst gesprengt werden mußte, und setzte uns in Freiheit. Dann begann Alles mit Pickeln und Schaufeln den Halbverschüttften zu Hülfe zu kommen, ein gefährliches Unternehmen, weil man nicht wußte, ob nicht der ganze Neubau noch nachstürzen würde.“

Von denen, die ganz verschüttet waren, wurden nur zwei noch lebendig ausgegraben. Der Eine wurde bald geheilt, der Andere blieb leidend und starb ein paar Jahre später. Es war der Zimmerer Lux, der auf seinem Schmerzenslager eine Tafel malen ließ mit dem Leichenzuge aller sechszehn Cameraden, welche jetzt noch an der obern Kirchthür zu Fügen hängt. Auch von den Geretteten waren ihrer acht theils durch das Schlagen der Pferde verwundet.[1]

Um acht Uhr Morgens wurde die trauernde Compagnie von den Hauptleuten so gut als möglich zusammengerichtet. Wenn aus den verschiedenen Gassen noch ein verspäteter Schütze herbeieilte, war Alles froh, weil man ihn auch schon zu den Todten gerechnet hatte. Von den Fahnen, welche gestern noch mit bunten Blumen geziert waren, hingen heute lange schwarze Schleier herunter, die Trommeln waren mit schwarzem Tuch überzogen und tönten düster und melancholisch. Auf Verlangen des Kaisers marschirte die Compagnie vor die Residenz, wo ihr die ganze kaiserliche Familie das innigste Bedauern über die erschütternde Begebenheit aussprach. Von dort zog sie zum Adamsbräu nach Wilten, wo sie einquartiert wurde und das ganze Haus zur Verfügung hatte.

„Jetzt,“ erzählt Ludwig Rainer weiter, „eilten auch alle die Mütter, Frauen und Geschwister der Ausgezogenen nach Hall, um nach ihren Lieben umzusehen. Meine Mutter befand sich eben auf dem Wege nach Innsbruck, wo sie mit ihren Brüdern vor dem Kaiser singen sollte. Ihre Angst ist wohl zu denken, doch erfuhr sie schon in Volders, daß ich nicht beim Gilgenwirth gewesen.

Des Nachmittags ging ich, um etwas Zerstreuung zu suchen, auf den Rennplatz (vor der Residenz), wo jetzt tausend Neugierige auf- und abwogten. Darunter waren Viele, welche mich an meiner Tracht als einen Mann der unglücklichen Fügener Compagnie erkannten, auf mich zugingen und den ganzen Hergang zu hören begehrten. Dicht umringt, erzählte ich ihn, so gut ich konnte, und erzählte immer wieder, bis sich ein Hofbedienter durch den Haufen drängte und mir eröffnete, daß der Kaiser und der Erzherzog Johann, welche mich vom Fenster aus gesehen, mit mir zu sprechen verlangten. Ich folgte also dem Bedienten, welcher mich in einen großen Saal führte, wo mir der gute Herzog Johann schon entgegenkam. Nachdem er mich gefragt, ob ich von der Fügener Compagnie sei, und ich dies bejaht hatte, fragte er weiter, ob nicht Stanislaus Eigner, ein Wirthssohn von Fügen, den er aus der Taufe gehoben, auch unter den Verunglückten sei. Darauf konnte ich ihm zu seiner Freude sagen, daß dieser noch lebe und sich bei uns in Innsbruck befinde. Unterdessen war auch der Kaiser aus einem Nebenzimmer gekommen und ich mußte die Geschichte noch einmal erzählen, wodurch Beide tief ergriffen wurden. Der Erzherzog drückte mir zum Schlusse zwei Kronenthaler in die Hand und trug mir auf, meinen Hauptleuten sogleich zu melden, daß sie der Kaiser in der Residenz erwarte, um zu berathen, was für die Hinterlassenen geschehen könne. Ich richtete meinen Auftrag unverzüglich aus, die Geladenen begaben sich sogleich in die Burg, und der Kaiser setzte noch am nämlichen Abende fur die Betroffenen großmüthige Pensionen aus.“

Die vorige Schreckensnacht hatte aber noch ein seltsames Nachspiel. Die Schützen lagen nämlich beim Adamsbräu zum Theile im Hause, zum Theile – ihrer achtzig – auf der Malztenne. Unter diesen war auch Ludwig Rainer, der noch immer – es war gegen ein Uhr – an die gestrige Begebenheit und seine Cameraden dachte. Beim trüben Scheine der Laterne glaubte er nun einen Mann hereintreten zu sehen und meinte den Ruf zu hören: „Auf, es bricht Alles zusammen!“ Mit einem Male wer das ganze Haus in Aufruhr. Die Schützen auf der Malztenne drängten sich, stießen sich, sprangen einander über die Köpfe weg auf die Thür zu. Auch zu den Fenstern wollten sie hinaus, doch waren diese glücklicherweise vergittert. Als nun Alles im Vorhofe zusammeneilte, kam auch der Hauptmann und brachte die traurige Nachricht, daß sie oben im Hauptgebäude denselben Lärm gehört, und daß sein Sohn aus Angst und Schrecken vom ersten Stock auf das Straßenpflaster heruntergesprungen sei. Dieser wurde auch eben auf einer Tragbahre zum Thore hereingebracht und hatte noch lange zu leiden. Nun fragten sich aber Alle kreuz und quer, was denn eigentlich an der Sache sei, und Keiner konnte einen Aufschluß geben. Auch Ludwig Rainer kam zur Einsicht, daß er den rufenden Mann nur im Traume gehört. So blieb denn nichts Anderes übrig, als den ganzen Auftritt für eine unerklärliche Nachwirkung des Schreckens der vorigen Nacht anzusehen.

Am andern Morgen, als am Huldigungstage, marschirte die Compagnie also von Wilten in die Stadt. Zu einigem Troste in ihrer Traurigkeit befahl der Kaiser, daß ihr für diesen Tag die Ehrenwache in der Hofburg übertragen würde. Dort konnte sie auch den herrlichen Festzug am gemüthlichsten betrachten und übersehen.

Des Nachmittags wurde die Mutter mit den vier Brüdern in die Residenz geladen um dort vor dem Kaiser zu singen. Auch Ludwig Rainer und viele andere gute Bekannte erhielten Zutritt. Nachdem der Gesang zu Ende, durften sich Alle an eine gedeckte Tafel setzen und mit goldenen Löffeln essen, welch Letzteres den Meisten ganz neu und ungewohnt gewesen sein soll.

Am andern Tage des Morgens um vier Uhr brachen alle Compagnien aus dem Unterinnthale in Innsbruck auf und marschirten nach Hall, um den erschlagenen Cameraden die letzte Ehre zu erweisen. Die Schützen weinten den guten lieben Jungen manche Thräne nach. Sie wurden zu Hall auf dem Friedhof alle sechszehn in ein Grab gelegt und harren dort einer fröhlichen Auferstehung.




6.

Ludwig Rainer war nun siebenzehn Jahre alt und ein ziemlich leichtsinniges Bürschlein geworden. Indem er dies selbst hervorhebt, erlaubt er sich auch manchen scharfen Tadel uber die männliche Jugend seines Thales. Zechen und Müßiggehen gelte ihr für fashionable, und wer nicht mithalte, werde leicht als ein Kopfhänger oder Betbruder verschrieen. Da es Einer dem Andern im Leichtsinn und Uebermuth zuvorzuthun suche, so werde mancher gute Junge schon früh verdorben und zu Grunde gerichtet. – Salvo meliori. –

„Nun besuchte uns eines Tages,“ heißt es in den Aufzeichnungen Rainer’s, „ein Befreundeter, Johann Masserer nämlich, der mit seinem Bruder Franz, mit Simon Holaus von Zell und der Margaretha Sprenger von Kupferberg als Tiroler Sänger auf Reisen gewesen war. Dieser sagte zu meiner Mutter, er habe mich auf dem Chore singen hören, und meine Stimme habe ihm so gefallen, daß er mich, wenn sie es erlaubte und ich dazu Lust hätte, auf seine bevorstehende Reise als Sänger mitnehmen würde.

Meine Mutter überlegte sich die Sache. Sie mochte wohl finden, daß es besser sein dürfte, den jungen Schwärmer in die weite Welt zu schicken als ihn zu Hause in schlechter Gesellschaft verkommen zu lassen, und gab daher. nach kurzem Bedenken den Bescheid: ‚Ja, wenn Du glaubst, daß Du mit dem leichtsinnigen Bürschlein etwas machen kannst, so nimm ihn nur mit – schlimmer kann er nimmer werden, als er ist.‘ Diese Worte habe ich in meinem Leben nicht mehr vergessen. Ich nahm mir von dieser

  1. Das Wirthshaus zu den drei Gilgen wurde später niedergerissen, noch ein anstoßendes Haus dazu gekauft und auf der erweiterten Stelle der jetzt rühmlich bekannte „Gasthof zum Bären“ erbaut. – Die Tafel an der Kirche zu Fügen ist aber vor einiger Zeit entfernt worden und daher jetzt nicht mehr zu sehen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 840. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_840.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)