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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl.
Von unserem Berichterstatter Georg Horn.
Sechster Brief. Die historische Stunde im Schlosse Frescaty.

Der Capitulation von Metz gingen eine Reihe von Verhandlungen vorauf, welche nicht nur zwischen dem Hauptquartier des Marschalls Bazaine und den Hauptquartieren in Versailles und Corny stattfanden, sondern welche ihre Fäden auch nach Deutschland und nach England, nach den Wohnsitzen des entthronten Kaiserpaares hinüber leiteten.

Am 22. September Nachmittags gegen fünf Uhr konnte man einen offenen Jagdwagen aus dem Parke von Corny die Straße nach Jouy entlang über die Moselbrücke, nach Ars sur Moselle zu und von da weiter bis an die Vorpostenlinie seinen Weg nehmen sehen. Der Wagen wurde von dem Commandanten des Hauptquartiers der zweiten Armee, von dem Rittmeister v. Willisen, gelenkt, und neben ihm saß ein Mann in Civil, etwa fünfzig Jahre alt, von gedrungener Figur, soviel man aus der sitzenden Stellung desselben entnehmen konnte. Er trug ein graues Sommercostüm, grauen Hut, graue Cravatte, graue Handschuhe und einen französischen Henriquatre, Alles an dem Manne war grau, nur seine lebendigen Augen nicht, die waren von tiefstem Schwarz, und sein Haar war schneeweiß. Jedenfalls war der Betreffende dazu angethan, Aufmerksamkeit zu erregen, sei es durch seine Erscheinung, sei es durch die Gesellschaft, in welcher er sich befand; denn ein Mann, ein Civilist, den man von dem Commandanten des Hauptquartiers geleiten, den man den Weg nach den Vorposten nehmen läßt, kann keine unbedeutende Persönlichkeit sein. Der Name des begleitenden Officiers, dessen Vater unter der Regierung Friedrich Wilhelm des Vierten vielfach in wichtigen militärisch-diplomatischen Sendungen verwendet worden, war jedenfalls mitwirkend, daß man in dem Fremden den Träger eines in der politischen Welt bedeutenden Namens sehen wollte; wenige Tage zuvor hatten die Zeitungen die Nachricht von den Verhandlungen des Grafen Bismarck mit Jules Favre gebracht – der Graue war Jules Favre oder zum Wenigsten dessen Bruder, und aus dem Hauptquartier gekommen, um durch Autorisation des Obercommandos der Cernirungsarmee durch die Vorposten hindurchgelassen zu werden und mit Bazaine über das Schicksal der Armee und der Festung zu unterhandeln.

Das war die Auffassung, die man am selben Abend noch über die Erscheinung des Fremden hatte. Aus den maßgebenden Kreisen verlautete über ihn natürlich kein Wort; aber die Combination war angeregt. Ein Amerikaner, der sich an jenem Abend in Corny befand und aus Versailles gekommen war, wollte mit ihm gereist sein, und versicherte hoch und theuer, daß es der Bruder Jules Favre’s sei, der in vertraulicher Sendung von Bazaine komme; in Pont à Mousson, wo man ihn beim Einsteigen in den Waggon vielleicht wegen seiner außergewöhnlich auffallenden Persönlichkeit angehalten hatte, habe er einen Paß vorgezeigt, nach dessen Einsichtnahme der betreffende Beamte sehr höflich die Mütze abgenommen und vielfach um Entschuldigung gebeten habe, daß man ihn überhaupt belästigt habe; unter dem Paß wollte der Amerikaner ganz deutlich die großen, energischen Schriftzüge des Grafen Bismarck gesehen haben. Die Annahme, daß er zu Verhandlungen mit Bazaine gekommen sei, gewann dadurch an Wahrscheinlichkeit, daß der Commandant des Hauptquartiers am Abend allein mit dem Wagen nach Corny zurückkehrte. Jedenfalls hatte der Graue sich durch die preußischen und französischen Vorposten hindurch nach Les Plantières, wo sich damals der Marschall Bazaine befand, zu diesem begeben.

Ich hatte, von einem Spaziergange von St. Blaise zurückkehrend, den Wagen aus dem Parke von Corny ausbiegen sehen, und ich muß gestehen, ich war über den Fremden nicht weniger frappirt, als es alle Welt war, die leitenden, in die Sache eingeweihten Persönlichkeiten vielleicht ausgenommen. Am Vormittage des zweitfolgenden Tages sah ich den grauen Mann wieder, aber diesmal nicht allein; auf dem Wagen, der die Straße von Jouy herkam und wieder von dem bereits genannten Officier gefahren wurde, saß neben diesem der angebliche Bruder Jules Favre’s, auf dem Hintersitze aber noch ein Herr, der eine weiße Mütze mit dem Genfer Conventionszeichen trug, zu welcher mir aber sein ganz und gar ausgesprochenes militärisches Aeußere nicht stimmen wollte; in einem zweiten Wagen folgten mehrere Herren mit eben solchen Mützen, die Wagen fuhren in den Schloßhof von Corny ein, man führte die Ankömmlinge in den Speisesaal, wo man ihnen ein Frühstück servirte, und etwa eine Stunde darauf sah man sie durch das Dorf Corny hindurch in der Richtung nach Pont à Mousson zu wieder abfahren. Auf die Frage, wer diese Herren gewesen, ertheilte man zur Antwort, es seien Aerzte einer luxemburgischen Ambulance, die mit der Armee des Marschalls Bazaine in Metz eingeschlossen worden, jetzt aber durch die Vermittelung des älteren Herrn, nämlich des grauen Mannes, nach Verhandlungen mit dem preußischen und französischen Obercommando wieder herausgeholt worden seien. Also das war der Zweck, also in dieser fast nüchternen, rein technischen Weise löste sich das Geheimniß, das den grauen Mann umschwebte? Doch nein! In demselben Augenblicke, als ich diese Antwort erhielt, erinnerte ich mich ganz genau, wo ich den Mann gesehen hatte, dessen militärische Erscheinung und Haltung sich von der seiner Begleiter und angeblichen medicinischen Collegen auffallend unterschied, und auf den mir gewordenen Bescheid erwiderte ich:

„Gewiß, ich zweifle nicht, daß die Herren in der That Aerzte sind, mit Ausnahme eines Einzigen –“

„Welchen meinen Sie?“

„Den Herrn von mittlerer, schmächtiger, eleganter Figur, mit dem dunklen Henriquatre; wenn der ein Recept verschreiben sollte, das könnte der Apotheker gewiß nicht lesen.“

„Woraus schließen Sie das?“

„Aus der kalten, fast beleidigenden Zurückhaltung, die er gegen seine angeblichen Collegen bewahrte. Ich sah die Herren im Hofe absteigen und dort kurze Zeit verweilen, ehe sie sich zum Frühstück begaben. Ich schloß es ferner aus der funkelnagelneuen weißen Mütze mit dem rothen Kreuze, welche von den etwas isabellenfarbigen der übrigen Aerzte auffallend abstach, und die jedenfalls erst gestern gekauft worden war, und dann kommt mir dem Herrn Doctor gegenüber eine Erinnerung an das Herbstmanoeuvre des preußischen Gardecorps im Herbste 1865. Demselben wohnte unter anderen fremdherrlichen Officieren damals der österreichische General von Gablenz und der französische General Bourbaki bei. Letzteren hatte ich mir noch recht genau angesehen; er interessirte mich wegen seiner Erfolge beim Sturm des Malakoff, und jetzt glaube ich ihn wiedergesehen zu haben.“

„Ah bah! Sie irren. Wie wäre das möglich? Gewiß, Sie täuschen sich.“

Und doch hatte ich mich nicht getäuscht, so sehr man auch bemüht war, mir meine Wahrnehmung auszureden; und mit Recht; denn was jetzt ein öffentliches Geheimniß ist, nämlich, daß General Bourbaki Metz mit Vorwissen der beiden Oberbefehlshaber verlassen hat, um sich nach England zur Kaiserin und dann nach Wilhelmshöhe, zum Kaiser zu begeben, das wurde damals noch als tiefes Geheimniß bewahrt; die englischen Blätter brachten die erste Nachricht über das Erscheinen des Generals in England, und die politische Bedeutung, die sich daran knüpfte. Jetzt ist in England auch eine Broschüre über diese Mission erschienen, und der Verfasser derselben ist kein Anderer, als der graue Mann, der am 22. September gegen Abend in Corny erschienen war, versehen, wie der Amerikaner ganz richtig bemerkt hatte, mit einem Geleitschein des Grafen Bismarck. Jedoch nicht als Bruder Jules Favre’s entpuppte er sich, sondern als ein Herr Reignier, auch Graf Reignier, wie von gewisser Seite behauptet wird. In der Broschüre erzählt er seine politischen Fahrten von England nach Versailles, von da in das Hauptquartier der Cernirungsarmee von Metz und seinen Empfang bei den maßgebenden Persönlichkeiten desselben. An jenem Abend des 22. September war er nicht mehr aus Metz vom Marschall Bazaine zurückgekehrt, sondern erst am folgenden Morgen; nach einer Besprechung im Hauptquartier von Corny wurde er wieder an die Vorposten gebracht, um sich zum Marschall Bazaine zurückzubegeben und demselben das Resultat derselben mitzutheilen. Dort hatte er die Nacht verbracht und kam am Vierundzwanzigsten Morgens mit dem General Bourbaki in Corny an. Um nicht die Aufmerksamkeit auf denselben zu lenken, um die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 842. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_842.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)