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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Vernichtung. Was die neuere Geschichte von Uebergabe ganzer Armeen kennt, wie die der Schweden unter Karl dem Zwölften an die Russen, der Engländer in Nordamerika, der Sachsen an Friedrich den Großen; des Generals Fink an die Sachsen und Oesterreicher als Revanche für jene Capitulation bei Pirna, endlich die Capitulation des Generals Mack in Ulm – alle diese Fälle stehen zu dem Factum von Metz in einem liliputanischen Verhältniß, das heißt, der Zahl nach. Aber auch dann noch, wenn man den großen Unterschied zwischen der kolossalen Stärke der heutigen Armeen und der unendlich schwächeren vor hundert bis hundertfünfzig Jahren durch eine Multiplication dieser letzteren durch drei ausgleichen wollte, auch dann noch ergäbe sich kein Resultat, welches dem von Metz an die Seite treten könnte.

Am 27. October wurde im Schlosse von Corny von dem Höchstcommandirenden ein Tagesbefehl ausgegeben, worin es unter Anderm heißt:

„Die Forts werden morgen Mittag zwölf Uhr besetzt, jedes durch zwei Bataillone, einen Zug schwere Batterie ohne Munitionswagen, hundert Mann Artillerie mit zahlreichen Officieren und ein Pionnierdetachement. Zwei Stunden vor der Besetzung – also Vormittags zehn Uhr – sind seitens der vorgenannten Corps je ein Artillerieofficier mit einigen Unterofficieren, sowie ein Ingenieurofficier mit einigen Pionnierunterofficieren in die betreffenden Forts vorauszusenden, welche das Pulvermagazin übernehmen und etwaige Minenleitungen von rückwärts aufsuchen und zerstören.“

So ein einfacher Tagesbefehl an die einzelnen Armeecorps wird zu einem hochbedeutsamen Document der Geschichte. Diese paar Artillerie- und Ingenieurofficiere mit ihren Mannschaften hatten sich durch dieses Commando allein das eiserne Kreuz verdient. Sie waren die Ersten, die nach den Forts gingen mitten hinein unter Tausende und aber Tausene von Soldaten, die sich noch im Besitze ihrer Waffen befanden, deren Disciplin durch das lange Elend gelockert war und die in der Uebergabe der Festung eine Schmach für Frankreich sahen. Aber das Ereigniß von Laon hatte vorsichtig gemacht; ein anderer Befehl lautete: „die französische Besatzung bleibt so lange in den Forts, bis die erwähnte Untersuchung zu Ende ist.“ Geschieht etwas, dann trifft die französischen Truppen das gleiche Schicksal; hätte man den Preußen eine Luftfahrt durch irgend eine Minenexplosion zugedacht, so wären die Franzosen ohne Zweifel bei der Partie gewesen und mit in die Luft gegangen. Es ging aber Alles gut ab; die Officiere fanden keine Minen, auch kein Pulver; was davon nicht verschossen, war anstatt des Salzes verwandt worden; sie fanden nur geleerte Magazine, auch mit dem besten Fernrohr der Welt hätte man in denselben nicht eine Speckseite mehr entdecken können; die Kriegscasse war vorher unter die Officiere und Mannschaften vertheilt worden. Trotz alledem hatte dieses Commando für die Betreffenden seine Gefahren; es gehörte Muth und Entschlossenheit dazu, sie konnten unter Umständen hier einem viel sicherern Tode entgegengehen, als wenn sie unter dem Hagel der Kugeln und Granaten standen.

Denn daß die Generale nicht mehr Herren der Situation ihren Truppen gegenüber waren, bewies die Verschwörung, von der ich in meinem letzten Artikel sprach; diese bestand in der That. Als einige Tage vor der Capitulation in der Stadt ein Aufstand entstanden war, und der Festungscommandant demselben mit aller Energie begegnen wollte, verweigerten die Officiere und Mannschaften von ihrer Waffe Gebrauch zu machen.

„Ich war von Schreck erfüllt, als ich sah, mit wie wenigen Truppen die Preußen von den Forts Besitz nahmen,“ sagte einer der französischen Generale zu einem unserer Stabsofficiere.

„Warum? Glauben Sie, wir hätten Furcht?“

„O Pardon! Wir haben Sie in dieser Beziehung zur Genüge kennen gelernt. Nein, das nicht, aber wer hätte Ihnen dafür gestanden, daß die Verschwörer trotz aller Verträge, die gerade sie verabscheuten, in Anbetracht Ihrer Minderheit einen Handstreich versuchten? Glauben Sie mir, wir hatten alle Fäden der Verschwörung in der Hand, alle Corps waren darein verwickelt, nur nicht das Gardecorps, mit Ausnahme eines einzigen Oberstlieutenants. Wenn die Sache so ruhig abging, wie man es nur wünschen konnte, so war das nur in der Voraussicht der Verschworenen geschehen, daß Sie mit größeren Truppenmassen kommen würden. Und jetzt haben Sie Jene durch Ihren Muth verblüfft.“

Derselbe Officier, gegen welchen der Franzose diese Aeußerungen machte, hatte den Auftrag, „des Hauses Schlüssel“ zu verlangen. Der Maire der Stadt überlieferte ihm die Schlüssel zu den fünf Thoren der Stadt – frühere Jahrhunderte hatten dieselben geschmiedet, die Zeit hatte ihren ehrwürdigen Rost dazu gegeben. Um sie in der Tasche zu tragen, dazu waren sie ein wenig zu gewichtig, darum wurde für dieselben auch ein Etui gemacht, in diesem wurden sie dem Generalfeldmarschall Prinz Friedrich Karl übergeben. Gegenwärtig sind sie mit den Fahnen nach Berlin gesandt und dort in dem Zeughaus niedergelegt worden. Der Maire war bei der Uebergabe der Symbole des Besitzes der Stadt und Festung Metz so gerührt, daß Thränen ihm fast die Stimme erstickten.

„Ich begreife Ihren Schmerz, Herr Maire,“ sagte der erwähnte Officier, dessen Hände die Schlüssel empfingen, „und würdige ihn; in ihm drückt sich derselbe nationale Schmerz aus, wie unsere Großeltern ihn bei der Uebergabe von Magdeburg im Jahre 1806 empfunden haben. Mein alter Vater, erinnere ich mich, der als Officier Friedrich Wilhelm’s des Dritten in der Schlacht von Jena lebensgefährlich verwundet wurde, betrachtete bis zu seinem Tode den Tag der Uebergabe der Festung Magdeburg, der letzten Festung Preußens, als einen Tag stiller und tiefer Trauer. Die Königin Louise, die Märtyrin auf dem Throne, die Großmutter des Mannes, für den ich diese Schlüssel übernehme, ist am gebrochenen Herzen über den Fall Magdeburgs gestorben. Die Geschichte der Völker nimmt und giebt Revanche – ich nehme diese Schlüssel von Metz als eine Ausgleichung für Magdeburg.“

„O mein Herr – ich verstehe. Es bleibt mir nur noch übrig, für unsere arme Stadt, die schon so viel gelitten hat, um Schonung, um Rücksicht zu bitten.“

„Sie dürfen sich jedes Entgegenkommens unserer Seite für versichert halten.“

„Die Verhältnisse sind so schwierig – die Gährung der Bevölkerung unverkennbar. Man sagt sich nicht, wir sind besiegt - man sagt sich, wir sind verkauft –“

Der Officier zuckte die Achseln. „So lange man sich an einen solchen eiteln Vorwand festklammert, Herr Maire,“ sagte er, „so lange ist auch keine Rettung für Frankreich. Wir haben es uns 1806 gesagt, daß wir besiegt sind, wir haben an unsere Brust geschlagen und uns selbst angeklagt. Und das war der Anfang des Weges, der uns hierher geführt hat. Im Uebrigen hoffen wir, daß in der Stadt keinerlei Excesse vorfallen; von unserer Seite wird Alles gethan werden, um diesen vorzubeugen, thun Sie, mein Herr Maire, das Ihrige. Sagen Sie den Einwohnern, daß wir für alle Fälle vorgesehen sind – die Kanonen der Forts sind alle nach der Stadt gerichtet.“

„Wir wissen es, wir haben es gesehen,“ war die Antwort des Vorstandes der Stadtgemeinde, der sich damit entfernte.

An demselben Tage hatte derselbe Officier eine ähnliche Unterhandlung mit dem Festungscommandanten, dem General Coffinières. Die Fahnen und Standarten sollten herausgegeben werden. Der General machte erst Ausflüchte; es seien leider die meisten von den Soldaten verbrannt oder vernichtet worden; dann aber auf das Andringen des Beantragten und auf den Hinweis der Convention, daß keinerlei Kriegsmaterial der Vernichtung anheimgegeben werden dürfe, gab er die Auskunft, daß dieselben in dem und dem Zimmer des Arsenals in einem Burean verborgen seien. Er habe sie am Tage vor der Uebergabe den Regimentern abnehmen, mit einer Leinwandhülle umwickeln und sie dorthin stellen lassen. Er sei dabei von der stillen Hoffnung geleitet worden, daß man der Fahnen und Siegeszeichen der Armee vergessen und ihn der traurigen Nothwendigkeit überheben würde, dieselben zu überliefern. Man hätte sie später wohl gefunden.

Es waren sechsundfünfzig Fahnen und Standarten, Tricoloren, blau-weiß-roth, mit gelben Kronen, Lorbeerkränzen und dem Buchstaben N gar reich verziert. So sehr zersetzt manche auch waren, und wenn auch viele darunter in den Namen Marengo bis Solferino die Kriegsgeschichte Frankreichs vom ersten Napoleon an bis heute in goldenen Lettern trugen, so wäre es dennoch ungerechtfertigt, anzunehmen, daß dies wirklich die alten historischen Waffenzeichen Frankreichs wären. Diese sind längst dahin. Wie in jeder Armee, so werden auch in der französischen die Fahnen und Standarten nach einer gewissen Reihe von Jahren erneuert; so sind auch die in Metz vorgefundenen neueren Datums, aber neu geschmückt mit den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 858. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_858.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)