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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

darum scheucht uns nicht der fast dämonisch wilde und dunkel ernste Blick, der aus dem Auge seines mächtigen umwallten Hauptes hervorblitzt. Denn um den Mund spielt ihm zugleich jener Zug unerschöpflicher Freundschaft und Güte, der allen denen eigen ist, die das Menschliche in seinem Grunde erfaßten und der allgemeinen Bedürftigkeit unseres Geschlechts nicht Spott, sondern das aufrichtigste Mitgefühl schenkten. Wir glauben gern, was uns berichtet wird, daß, wenn über das Gesicht des großen vielgeprüften Mannes ein Lächeln zog, es gewesen sei, als wenn durch dunkles Gewittergewölk mit lichtem Himmelsschein die Sonne blickt.

Und dieses Gefühl, hier einem wahren Künstler und einem Manne gegenüberzustehen, der seinem Geschlecht über manche Stunde der Trübsal hinweg und vielleicht gar überhaupt um eine Stufe der Entwicklung weiter geholfen und ihm sein eigenes Wesen neu entschlossen hat, – dieses Gefühl ist es, was uns in dem jetzigen Moment seiner Säcularfeier und selbst in schwerer Kriegeszeit mit doppelter Gewalt ergreift und uns vernehmlich zuruft, seiner nun auch mit aller Kraft der Hingebung an seine großen Ziele und mit aller Weihe der Erhebung zu gedenken – des großen Meisters der Töne Ludwig van Beethoven!

Ludwig Nohl.





Von der blutigsten Stätte vor Paris.

Brief und Illustration von F. W. Heine.

Ihrem neulich geäußerten Wunsche gemäß und nachdem ich die Erlaubniß aus dem Hauptquartier der Maasarmee erhalten, trat ich meine Rundreise von Montfermeil im weiten Bogen durch die nordöstlichsten Theile unserer Belagerungsarmee, das heißt durch das zwölfte Armeecorps und das Gardecorps bis zum vierten Armeecorps, nach Margency, dem Hauptquartier des Kronprinzen von Sachsen, an. Das geschah am Sonnabend, den 29. October, also an demselben Tage, an welchem der mörderische Kampf von le Bourget vorbereitet wurde. Schon am 20. Septbr. hatte nämlich das Garde-Grenadier-Regiment Königin Elisabeth dieses Dorf im ersten Anlauf und ohne große Opfer genommen. Dasselbe liegt an der großen Straße von Compiègne nach Paris, etwas über fünf Viertel Stunden vom Mauergürtel der Hauptstadt entfernt, folglich noch unter ihren und der dortigen Forts Kanonen; namentlich ist es den Forts von St. Denis und dem von Aubervilliers und den nahen Feldschanzen stark ausgesetzt. Trotzdem hielten sich dort die Vorposten der zweiten Gardedivision. Die Feldwache hatte etwa dreitausend Schritte nördlich von le Bourget ihre Baracken aus den Trümmern der wenigen Häuser von Pont-Iblon an dem Moréebache errichtet, über welchen hier der hohe Straßendamm die zum Theil überschwemmte Niederung durch eine Brücke verbindet. Eine starke Barricade auf diesem Damme und fünfhundert Schritte weiter rückwärts an beiden Seiten der Straße geschützte Batterien und Schützengräben sollten dem Feinde jeden Durchbruchsversuch auf diese Straße verleiden.

Als Mittelpunkt zwischen noch vier anderen stark besetzten Punkten, den Dörfern Dugny und Blanc-Mesnil, welche von den Preußen, und Drancy und la Courneuve, welche von den Franzosen gehalten wurden, bildete nun le Bourget einen Zankapfel, der täglich im Preise stieg, obgleich die preußische Bedeckung für denselben nie über eine Compagnie betrug. Da brachen die Franzosen am Siebenundzwanzigsten aus Fort Aubervilliers und den genannten Dörfern in mächtigen Colonnen gegen le Bourget vor, trieben die schwache Besatzung nach Pont-Iblon zurück und benutzten sofort alle Vortheile des wie zur Vertheidigung geschaffenen Orts. Rings von Park- und Gartenmauern umschlossen, die man mit Schießscharten versah, hatte es nur vier Zugänge, zur Hauptstraße, die breit und stattlich sich die Chaussee entlang von Nord nach Süd erstreckt, und zur Seitengasse, die jene quer durchschneidet. Diese Ausgänge schützten vier Steinbarricaden, schloßartige Gebäude bei den Eingängen der Hauptstraße wurden ebenfalls zur Vertheidigung eingerichtet, und fünftausend Mann Infanterie mit einer Mitrailleusen-Batterie vollendeten hier die Herstellung eines neuen Außenwerks der Pariser Befestigungen.

In Aulnay erzählten mir Leute der sächsischen Garde, daß in der vergangenen Nacht vor le Bourget abermals schwer gekämpft worden sei. Wie ich später erfuhr, hatte ein Bataillon vom Garde-Grenadierregiment Franz das Dorf überrumpeln wollen, aber mit nicht geringem Verlust (sechzig Todte und Verwundete) sich zurückziehen müssen; man erwartete nun für die nächste Zeit die Erstürmung dieses wichtigen Punktes durch die preußische Garde. Und kaum hatte ich die Hälfte des Wegs von Aulnay nach Gonesse zurückgelegt, als mir das Vorspiel dazu in die Ohren brauste: Kanonen- und Gewehrfeuer aus le Bourget, das von unseren Geschützen bei le Blanc Mesnil und Dugny eifrig erwidert wurde. In aller Unschuld war ich wieder einmal in das unfreundliche Bereich der Geschosse gekommen; kaum tausend Schritte unter meinem Wege sah ich Bomben und Granaten crepiren und dazwischen pfiffen die Kugeln, mit welchen die Vorposten sich dann und wann einen Gruß zuschickten.

Ich eilte nun nach Montmorency, wo ich übernachtete, und gelangte am folgenden Tage, dem Dreißigsten, durch Regen und aufgeweichten Weg nach Margency. Hier traf ich den Maler Beck, und durch ihn erhielt ich die erste Nachricht von dem großen Kampfe dieses Tages vor und in le Bourget. Unsere Aufregung war groß. Wir bestellten einen zweispännigen Wagen für den nächsten Morgen und fuhren im ersten Grauen der Dämmerung ab. Es war ein schauriges Wetter, Nebel, Regen, Alles grau in grau ringsumher.

Schon bei Gonesse begegneten uns ganze Wagencolonnen von Verwundeten, Franzosen wie Preußen. Auch mancher Gefangenentransport zog an uns vorüber. Bei der oben genannten Batterie und den Schützengräben vor dem Moréebache machten wir Halt, ließen hier den Wagen zurück und marschirten im dichten feinen Regen und auf dem lehmigen Boden, eng in den Mantel gewickelt und die Sturmriemen herunter, vorwärts. Bei hellem Himmel ist von hier die Aussicht beachtenswerth. Die Landstraße senkt sich sanft nach der Moréebrücke von Iblon hinunter und steigt jenseits gleicherweise bis le Bourget wieder hinauf; der ausgetretene Bach durchzieht das baumlose Acker- und Wiesland wie ein breiter Strom, während das Dorf festungsartig mit seinen hohen, zum Theil bethürmten Steingebäuden uns entgegentrotzt. Den Hintergrund bilden die beiden vielgenannten Vertheidigungshöhen von Paris, der Montmartre und Fort Valerien, von unseren Soldaten „Bullerian“ genannt; links vom Montmartre ragt aus dem Pariser Häusermeere die Notre-Dame und links vom Valerien der Triumphbogen hervor, und rechts erhebt sich St. Denis mit seinen Forts. Gewiß ein reiches Bild, aber die nächste Nähe verwischte es uns bald. Wir waren bei der Iblonbrücke angekommen und sahen, nachdem wir den Verhau (die Barricade) hinter uns hatten, vor uns zur Linken und Rechten die Todten in Haufen liegen, und noch immer begegneten uns Grenadiere der Garde mit Schubkarren, auf welchen ihre kalten Cameraden lagen. Auf diesem Wege erfuhren wir von den noch immer über den entsetzlichen Straßenkampf furchtbar erbitterten Männern den Verlauf der gestrigen Waffenthat.

Die ganze zweite Gardedivision, Artillerie, Cavallerie und Infanterie, war zu diesem Waffengange aufgeboten: die Regimenter „Elisabeth“, „Augusta“, „Franz“ und „Alexander“ und das Garde-Schützenbataillon marschirten in drei Colonnen gegen das Dorf, während im Centrum hinter Iblon die Artillerie auffuhr und die Cavallerie die äußersten Flanken deckte. Die Artillerie eröffnete um halb acht Uhr mit einem Hagel von Granaten den Kampf, und sofort krachte es auf allen Forts und Schanzen der Franzosen, so daß über hundert Geschütze diesen Sonntag begrüßten. Nach einer halben Stunde schwiegen unsere Geschütze, um nicht den eigenen Leuten gefährlich zu werden, die, die aufgelösten Schützenlinien voran, in drei Colonnen zum Angriff auf des Feindes feste Stellung hinter den Mauern und Barricaden vorgerückt waren. Trotz des furchtbaren Feuers aus jeder Mauerluke, jedem Fenster, Giebel und Thurm drangen die Bataillone, ohne einen Schuß zu thun, vor, mit fliegenden Fahnen, die Regimentsmusik mit den Klängen der „Wacht am Rhein“, die Regiments- und Bataillonsführer sämmtlich zu Fuß und nur der Divisionsgeneral v. Budritzki und der Brigadecommandeur Oberst v. Kanitz mit ihren Adjutanten zu Pferde, bis auf hundert Schritt vor den Feind. Dann mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 863. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_863.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)