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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


bekehrt wurden. Sie sind sammt und sonders Arianer, die, wie Sie ja wohl wissen werden, nicht ganz an die Göttlichkeit Jesu glauben.“

Diese Erklärung wurde mit dem trockensten Tone und der ernstesten Miene von der Welt vorgebracht, aber wieder mit schallendem Gelächter aufgenommen.

„Wenn,“ fuhr der Eulenspiegel in der Reiteruniform, ohne sich dadurch irre machen zu lassen, fort, „dieser Umstand, daß sie in ketzerischer Verstocktheit die Definitionen des Concils von Nicäa über das berühmte Homousios verwarfen, sie nicht Ihrer weiteren Theilnahme unwürdig erscheinen läßt, hochwürdiger Herr, so darf ich zu weiterer Aufklärung über diesen tapferen Volksstamm hinzufügen, daß derselbe unter seinen nationalen Eigenschaften einen wunderbaren Spürsinn besitzt, welcher seine einfache, mit einer glatten Eisenspitze und einem schwarzweißen Wimpel verfehlte Lanze zu einer ganz famosen Wünschelruthe macht, die aber nicht da, wo eine Wasserader sprudelt, sondern da, wo edles Rebenblut in tiefen Kellerverstecken verborgen ist, stehen bleibt! Meine Cameraden werden mir bezeugen, daß wir trotz unserer Ketzerei darin Wunder thun!“

„Farceur!“ murmelte der Geistliche, „Possenreißer!“ während die Uebrigen wieder auflachten.

„Nehmen Sie meinem Cameraden seine Scherze nicht übel,“ sagte ich; „wir treffen hier in Frankreich mitunter auf eine so merkwürdige Unkunde deutscher Verhältnisse, auf so seltsame Vorstellungen von unserem Lande, daß es natürlich ist, wenn wir Anfällen von Heiterkeit dabei nachgeben …“

„Es thut mir leid,“ sagte der Geistliche, „daß meine Frage über die Herkunft der Ulanen eine solche Unkunde verrieth, die die Lachlust der Herren reizte. Ich bin wenigstens belehrt, daß dieser Volksstamm neben seiner kriegerischen Tüchtigkeit eine ausgezeichnete Schulbildung besitzt – unsere Troupiers ist man nicht gewöhnt, von Attila, Arianismus, dem Kaiser Valens und dem Concil von Nicäa reden zu hören! Sind Ihre Cameraden alle so gelehrt?“

„Dafür kann ich nicht einstehen,“ antwortete ich lachend; „möglich immerhin, daß Einer oder der Andere von uns es noch bis zum Präsidenten einer gelehrten Akademie bringt. Nur mich muß ich bescheiden davon ausnehmen. Das Einzige, was ich in der Gelehrsamkeit geleistet, ist eine ziemlich mühsam zusammengeschriebene Doctordissertation!“

„Ah … Sie sind Doctor? Doctor – und … Unterofficier? Wie ist das möglich?“

„Er ist Doctor Juris, Unterofficier, Baron und Referendar,“ rief hier der „Possenreißer“ aus, „ein Mann vom Scheitel bis zur Sohle ganz das, was man die allgemeine Wehrpflicht heißt, oder auch den Kantischen kategorischen Imperativ, in seiner Beziehung zu Vaterland, König und Zündnadelcarabiner …“

Die übrigen elf Paladine meiner Tafelrunde verstanden natürlich von all diesem blühenden Unsinn wenig genug, was sie jedoch nicht hinderte, wieder laut aufzulachen. Ich sah an der Miene des Geistlichen, daß er mit sich schwankte, ob er sich länger zum Mittelpunkt dieser Heiterkeit hergeben solle oder besser thue, sich zurückzuziehen; da ich aber wünschte, daß er bleibe, um von ihm einiges Nähere über unsere Wirthe zu erfahren, so schnitt ich dem „Possenreißer“ rasch das Wort ab, indem ich mich an den Geistlichen mit der Frage wandte: „Sie sind der Hausgeistliche, der Erzieher vielleicht in diesem Hause?“

„Nehmen Sie an, ich wäre das Erstere,“ antwortete der Geistliche, „wenn Sie eine Erklärung wünschen, weshalb ich die Herrschaft vertrete …“

„Der Eigenthümer des Schlosses ist abwesend?“

„Er ist todt; Herr Kühn ist vor drei Jahren gestorben.“

„Er war ein Deutscher, der Herr Kühn?“

„Ein Elsasser; er hatte … wie nennen Sie das: des usines im Departement Oberrhein; Chateau Giron gehörte ursprünglich seiner Frau, die Französin ist.“

„Und sie lebt hier, diese Dame? Ich glaube sie bei unserer Ankunft auf dem Treppenperron wahrgenommen zu haben.“

„Sie irren,“ sagte der Geistliche. „Madame ist leidend, sie ist gelähmt und kaum im Stande, ihren Sessel zu verlassen. Das hat sie gezwungen, auch bei der Annäherung der deutschen Truppen in diesem unbeschützten Hause zu bleiben.“

„Sie hat sehr wohl daran gethan, finde ich nun; den besten Schutz, den sie finden konnte, wird sie in unserer Rücksichtnahme auf die Anwesenheit einer leidenden Dame im Hause finden.“

Der Geistliche antwortete mit einer kleinen Verbeugung.

„Und jene schlankgewachsene junge Dame, die ich sah?“

„Ist Mademoiselle Kühn, die hier bei ihrer Mutter zu deren Pflege geblieben ist.“

„Ah – das ist sehr brav –“

„Daß sie ihre Pflicht erfüllt?“

„Daß sie uns nicht fürchtet … aber freilich, wie sollte sie auch, da sie im Grunde doch eine Deutsche ist?“

„Ah,“ sagte lächelnd der Geistliche, „Mademoiselle Kühn würde das für kein Compliment halten. Sie fühlt sich sehr als Französin – sie ist in einem französischen Kloster erzogen und sehr begeistert für Frankreich, sehr erbittert gegen die Deutschen.“

„Und Sie,“ fiel ich ein, „der Sie deutsch reden, also auch wohl Deutschland ein wenig kennen, thun nichts, um Ihre Damen unparteiischer denken zu lassen?“

„Sollen Frauen unparteiisch denken?“

„Legen Sie den Ton dabei auf das ‚Unparteiisch‘ oder auf das ‚Denken‘?“

„Vielleicht,“ antwortete er an seinem Glase nippend, „auf beide Worte!“

„Also wie Lessing sagt: ‚Eine Frau, die denkt, ist so widerwärtig wie ein Mann, der sich schminkt.‘ Aber da in Frankreich die Männer, wenn nicht sich, doch all ihr Thun und Treiben sehr stark mit schönen Phrasen zu schminken pflegen, so könnten die Frauen auch beginnen, zu denken!“

„Was sollte das helfen?“ sagte er. „Sie werden immer so denken, wie ein persönliches Gefühl oder eine Erfahrung ihres Herzens es sie lehrt, und nichts wird sie davon abbringen und ‚unparteiisch‘ zu denken lehren.“

„Und lehrt Fräulein Kühn eine Erfahrung des Herzens, schlecht von den Deutschen zu denken?“

Sein Schweigen mochte mir andeuten sollen, daß das eine indiscrete Frage sei; ich fuhr um desto rascher fort: „Ich sehe, es bleibt also nichts übrig, als daß wir Deutschen hier, wenn wir lange genug bleiben sollten, selber Propaganda für uns und moralische Eroberungen machen!“

„Sie werden, wenn Sie auf letztere ausgehen, keine Enceinte und unüberwindliche Außenforts finden,“ sagte der Geistliche.

„Desto besser,“ fiel ich lachend ein, „denn dann kann hier unser Feldzug sich ganz in der Ruhe und Stille vollziehen, welche Sie für Ihre kranke Dame wünschen müssen. Sind Sie überzeugt, daß Ihre Franctireurs die Ruhe nicht unterbrechen werden, vielleicht nicht diese Nacht schon? Ihre Sympathien werden auf Seite dieser Leute sein, aber Sie werden selber nicht wünschen, daß dies Haus der Schauplatz eines Ueberfalls und eines Kampfes werde. … würden wir von einer Uebermacht hier überrascht und niedergehauen, so würden die Unsrigen bald da sein, um uns zu rächen, und die nächsten verderblichen Folgen würden Chateau Giron treffen – es würde zerstört, dem Erdboden gleich gemacht werden, man würde die Bewohner …“

„Seien Sie darüber beruhigt,“ fiel der Geistliche, mich mit offenbar sehr erschrockener Miene ansehend, ein. „Wir glauben nicht, daß Franctireurs in der Nähe sind; sollten solche auftauchen, so würde es nicht geschehen können, ohne daß wir von ihrer Annäherung erführen, und dann würden wir es als eine Pflicht gegen Sie, unsere Gäste, betrachten, Sie zu warnen.“

„Nun, mehr verlange ich nicht,“ versetzte ich, dem Geistlichen der aufgestanden war, sich zu empfehlen, die Hand reichend.

Er nahm sie und verabschiedete sich mit einer Verbeugung gegen die Söhne des Ulanenstammes, die während meiner Unterredung mit ihm sich untereinander laut und lärmend unterhalten hatten.

„Sie haben ja eine große Freundschaft mit diesem verdächtigen Schwarzen geschlossen, Herr Bernold,“ sagte einer der Ulanen. „Ich würde dem Gesicht nicht über den Weg trauen!“

„Das ist die alte Wahlverwandtschaft zwischen den Heiligen und den Rittern!“ rief der beredte Abiturient aus. „Der Junker braucht den Pfaffen wie der Schäfer den Hund!“

„Wenn Sie sich in ungehörigen Redensarten ergehen wider Ihren Chef und Commandoführer, lieber Glauroth, so lasse ich Sie die Nacht hindurch zur Strafe in dem Karren schlafen, den die Franctireurs zurückgelassen haben. Vorläufig können Sie mich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_003.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)