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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl.
Von unserem Berichterstatter Georg Horn.
Achter Brief. „An der Loire grünem Strande“.


„O, glauben Sie nur nicht, daß Ihre Armee mit dem Heere Frankreichs, welches ihr in furchtbaren Massen gegenübersteht, so leichtes Spiel haben wird, wie mit den Soldaten Napoleon’s.“

„Aber wer sagt Ihnen denn, Herr Abbé, daß unsere bisherigen Erfolge uns wie reife Früchte in den Schooß fielen? Ich sage Ihnen, unser Volk und seine Führer haben heiß darnach gerungen, sie haben gekämpft mit dem Kopfe, mit dem Herzen, mit dem Aufgebote aller Kraft. Sie haben die Schlachtendonner nicht gehört. Sie haben das Wüthen des Kampfes, das Ringen der Verzweiflung nicht gesehen, mit dem die französischen Soldaten den Unseren den Sieg abtrotzen wollten. Sie saßen in Ihrer dichten Laube, lasen die telegraphischen Berichte, ließen Ihrem cholerischen Temperamente seinen Lauf, riefen am nächsten Sonntage gegen uns von der Kanzel das göttliche Strafgericht herab und begehen jetzt das Unrecht – verzeihen Sie, wenn ich Ihnen das sage, – Ihr eigenes Volk herabzusetzen; denn die Soldaten Napoleon’s sind so gut Ihres Volkes Kinder, als es jetzt die Schaaren an der Loire sind.“

„Schaaren, Monsieur? Nein, nein, das ist eine disciplinirte Armee –“

„Verzeihung, Herr Abbé, man schafft in drei Monaten keine disciplinirte Armee – o ja, man bringt Leute zusammen, man zieht ihnen eine Uniform an, giebt ihnen ein Gewehr in die Hand und spricht zu ihnen: Ihr seid die Hoffnung Frankreichs, ihr seid die Säulen des Vaterlandes, en avant! Ich sage Ihnen, beim ersten Kanonenschusse werden manchen dieser Säulen des Vaterlandes die Beine gewaltig schlottern – und die Hoffnung Frankreichs wird zuletzt die Beine über die Achsel nehmen, und man wird ein großes Laufen erleben – doch ich will nicht der Unglücksprophet sein – bitte, geben Sie mir gefälligst noch ein Stück Braten.“

Der Herr Abbé reichte mir die Schüssel mit dem Braten.

„Danke, danke, Herr Abbé, und nun noch eine freundliche Bitte. Sie waren als Quartiergeber so freundlich und zuvorkommend gegen mich, daß es mir peinlich ist, Ihnen Dinge sagen zu müssen, die Ihnen nicht angenehm sein können und es mir noch weniger sind. Sie sind Franzose, von Natur von leicht erregbarem Temperament, ich bin als Deutscher vielleicht ruhiger, aber man fängt im Fortgange des Krieges an, seine Nerven zu spannen, man ist nicht mittelbarer oder unmittelbarer Zeuge so großer Ereignisse der Geschichte, ohne daß diese Aufregungen ihre Nachwirkung üben – Sie werden heftig, ich werde empfindlich – lassen wir daher diese Gespräche, wir kommen in unseren Ansichten und Empfindungen doch nie zusammen. Sie waren mit Monseigneur Dupanloup beim Concile in Rom. Sie haben mir gestern davon sehr interessante Schilderungen gegeben, wenn Sie mir davon noch etwas erzählen wollen, würden Sie sehr liebenswürdig und ich Ihnen sehr dankbar sein.“

„Wie Sie wünschen, mein Herr. Haben Sie den Brief gelesen, den Monseigneur Dupanloup jetzt an die Pfarrgeistlichen von Orleans geschrieben hat?“

„Nein, Herr Abbé. Aber was Monseigneur Dupanloup schreibt, ist immer bedeutend, vom Standpunkte ganz abgesehen, und da mich kirchliche Fragen sehr interessiren, so würde ich Ihnen sehr verbunden sein, wollten Sie mich den Brief lesen lassen.“

„Hier ist er! Lesen Sie!“

Damit zog der Abbé aus der Tasche seiner Soutane ein Zeitungsblatt und deutete auf eine Stelle, wo der erwähnte Brief begann. Ich sah sehr wohl das triumphirende Lächeln, das über seine Züge glitt.

Ich las allerdings eine vorzüglich stylisirte und äußerst schwungreiche und beredte Lobrede auf die Loirearmee, der Brief enthielt zum Schlusse eine Parallele der jetzigen Zeit und der vor vierzehnhundert Jahren, als Attila, der Hunnenkönig, gegen Orleans zog, dasselbe bedrohte und plötzlich durch das Erscheinen des römischen Feldherrn Aëtius zum Abzuge gezwungen wurde und kurz darauf auf den catalaunischen Feldern eine schmähliche Niederlage erlitt.

„Nun, was sagen Sie dazu?“ frug der Priester, als ich ihm den Brief zurückgab, mit leuchtenden Augen und mit gespannten Mienen,

„Wenn der Vergleich mit dem Hunnenkönig nun nicht zutrifft, Herr Abbé, was dann?“

„Was meinen Sie?“

„Merkwürdiges Zusammentreffen! Unser Generalfeldmarschall trägt als Uniform allerdings einen Attila. So weit stimmt die Anspielung – aber wie, wenn ihn das prophezeite Schicksal nicht erreichte, wenn es im Gegentheil Ihre Armee wäre, die eine Niederlage erlitte?“

„Unmöglich! Niemals – nie – nie! Die Jugend Frankreichs steht Ihnen entgegen, es ist Frankreich selber, in jedem Arme schlagen tausend Herzen, die Begeisterung lehrt sie die Waffen führen, die Führer sind alte, erprobte Generale, ich sage Ihnen, diese Armee wird nicht vor der Ihrigen weichen – ein furchtbares Strafgericht Gottes wird über die deutschen Länderräuber hereinbrechen, und dieses wird sie in dem Walde vor Orleans erreichen!“

Ich hätte dem sonst sehr gescheidten und im Umgange liebenswürdigen Manne sagen können, daß ich mich vor jeder wahren nationalen Begeisterung, als etwas Großem und Herrlichem, tief beuge, daß aber die jetzige Stimmung Frankreichs nur ein Wuthgeschrei des verletzten Selbstgefühls ist, und darum auch zu keinem gedeihlichen Ziele führen wird; ich hätte ihm erwidern können, daß ein guter Unterofficier ein viel besserer Lehrer ist, die Waffen zu gebrauchen, als die flammendste Begeisterung; aber zu solchen Erwiderungen war der Mann plötzlich zu „wild“ geworden, es blieb mir also nichts Anderes übrig, als von dem Tische aufzustehen, indem ich ihm sagte:

„Herr Abbé, um das Gespräch mit einer erneuerten Bitte um den Braten abbrechen zu können, dazu bin ich zu satt. Um aber derartigen Aufregungen zu begegnen, bleibt mir nichts Anderes übrig, als mich Ihnen für heute ganz gehorsamst zu empfehlen.“

Diese Unterhaltung, wie ich sie hier mitgetheilt habe, wurde in einem katholischen Erziehungshause zu Pithiviers zwischen mir und dem Vorsteher dieser Anstalt, bei dem ich einquartiert war, geführt.

Wie sind Sie denn von Metz nach dem Westen von Frankreich gekommen? werden mich manche der lieben Leser fragen.

Von der Mosel bis zur Loire ist ein gutes Stück Wegs, wir brauchten dazu mit den paar Ruhetagen, die wir unterwegs gemacht hatten, gerade vierunddreißig Tage, und dabei machte das Hauptquartier per Tag durchschnittlich vierundzwanzig Kilometer, also, die Stunde zu viertausend Schritt angenommen, sechs Stunden oder drei deutsche Meilen. Wir berührten auf dem Wege Domremy, den Wohnort der Jungfrau von Orleans, wir sahen das noch vorhandene Haus, in welchem sie gewohnt haben soll, ehe sie der Stimme von Oben folgte, die ihr zurief: Va en France – en France! Es ist ein dem Verfall naher steinerner Bau, der mehr einer Höhle, als einer Wohnung für menschliche Wesen ähnlich sah. Das Haus hatte links eine sehr niedrige Thür, die Fräulein Ziegler, die geniale Darstellerin der Schiller’schen Jungfrau, nicht passiren könnte, einen Wohnraum, dem ein einziges Fenster Licht verschafft; vier nackte, kahle Wände starrten uns fast feindselig an; der Bau schien bewohnt zu sein, obwohl wir Niemanden fanden; in dem Kamin glimmte noch die Asche.

Es waren herrliche, warme Novembertage, in denen wir so durch Frankreich zogen, der General-Feldmarschall Prinz Friedrich Karl immer voran und so und so viel Reiter und Pferde und Wagen ihm nach, und die Franzosen standen in Blaukitteln, Holzschuhen und weißen Zipfelmützen vor ihren Häusern und meinten, in Deutschland könne Keiner daheim geblieben sein.

Von Troyes aus aber ging es rascher. Die französische Loirearmee hatte sich tüchtig auf die Beine gemacht und war vielleicht schneller, als man’s dachte, auf Orleans marschirt, um General von der Tann mit seinen Baiern aufzuheben und den Herren Parisern zu Hülfe zu kommen. Hätten sie das ausgeführt, dann stünde Manches für uns jetzt nicht mehr so günstig, als es der Fall ist, und sie machten wirklich Miene, den ganz geschickten Gedanken in’s Werk zu setzen. General von der Tann zog sich vor der großen Uebermacht des Feindes zurück – das Einzige, was er unter diesen Umständen thun konnte. Das soll auch General von Moltke’s Meinung gewesen sein. Freilich, den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_007.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)