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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


zu verschwören. Was muß es ihn gekostet haben, seinen Plan so tief in seine Brust zu verschließen, daß weder Eltern noch Lehrherr etwas davon merkten, ihn, der bis dahin die Offenheit selbst war! –

Als am 23. September 1809 Herr Rothstein nach Leipzig zur Messe abgereist war, bestellt Fritz sich Wagen und Pferd und nimmt einen Platz nach Naumburg. Am 24. September, nachdem er elf Friedrichsd’or zu sich gesteckt hat, fährt er heimlich bis Ilmenau. Hier verkauft er Wagen und Pferd und geht mit der Post bis Wien. Obwohl es anfing kalt zu werden, hatte er wenig Kleidung und Wäsche mitgenommen. Die Vorstellung mochte ihn dabei leiten, daß Mutter Erde nun bald umsonst ihren Mantel über ihn decken werde. Die Uhr, welche ihm als Geschenk seines Vaters sehr theuer war, hatte er wohl bei sich, um sie im Nothfall zu verkaufen. Nicht eine Ahnung hatten wir Eltern von dieser Reise.

Am 27. September erhielten wir von dem Handlungsdiener der Fabrik Rothstein folgenden Brief aus Erfurt:

„Ein Vorfall, für Sie höchst wichtig, veranlaßt mein heutiges Schreiben. Ihr Sohn Fritz hat uns gestern verlassen, ohne weder die nöthige Erlaubniß erbeten, noch irgend Jemand Erklärung darüber gegeben zu haben. Er ist bis jetzt nicht zurückgekehrt. Aus dem Inhalt eines zurückgelassenen Blattes schließen wir, daß er die Idee hat, Soldat zu werden. Er hat sein Vorhaben in tiefer Stille betrieben, so daß wir ihn nicht daran verhindern konnten. Aeußerungen von ihm, die darauf hindeuteten, hielten wir für mehr muthwillig und scherzhaft als ernst gemeint und konnten sie nur lächerlich machen. In der Hoffnung, bald Kunde von ihm zu erhalten, Ihr etc.“

An Freund Walter hatte er ein Blatt zurückgelassen, des Inhalts: man solle ihn nicht suchen, nur todt auf dem Schlachtfelde würde man ihn wiederfinden.

Den Eindruck dieses Briefes kann nur der begreifen, welcher selbst Vater ist! Von dem Schrecken der Mutter schweige ich.

Nach einer Stunde fuhr sie mit ihrem ältesten Sohne mit Extrapost nach Erfurt. In dem Dorfe Hassenhausen, zwischen Kösen und Auerstädt, lebten uns Verwandte. Dort hielt sie an. Doch ehe sie dem Schwager erzählen konnte, was sie nach Erfurt trieb, übergiebt dieser ihr nachstehenden Brief ihres Sohnes. Fritz hatte ihn an den Onkel adressirt, damit dieser die Eltern vorbereiten solle. Das Original desselben ist nicht mehr in unseren Händen; der französische Intendant zu Erfurt ließ es, nebst allen Briefen Fritzens, durch eigene Staffette abfordern.

Dennoch wurde damals in der Eile Abschrift genommen. Hier ist sie:

„Erfurt, den 20. September 1809.

          Theuerste Eltern!

     Diesen Brief wird Ihnen der gute Onkel in Hassenhausen überreichen, nachdem er Ihnen beigebracht hat, daß Sie mich nie wiedersehen. – Ach, könnte ich Ihnen fühlbar machen, wie schwer es mir wird, Ihnen dieses zu schreiben, und doch muß ich es! Ja, ich muß fort, fort, um zu vollbringen, was Gott mir geheißen hat; was ich ihm fürchterlich heilig gelobt habe, zu vollbringen; fort muß ich, um Tausende vom Tode, vom Verderben zu erretten und dann selbst zu sterben. – Was und wie ich es thue, darf ich Ihnen nicht entdecken. Schon vor einigen Wochen kam ich auf den Gedanken, es zu thun, doch überall fand ich Hindernisse. Als ich zwei Tage darauf bei einer unangenehmen Nachricht Gott bat, mir Mittel zu geben, mein Vorhaben auszuführen, da wurde es mir so hell vor den Augen; mir war, als sähe ich Gott in seiner Majestät, der mit donnerähnlichen Worten zu mir sprach: ‚Gehe hin und thue, was Du Dir vorgenommen hast; ich will Dich leiten und Dir behülflich sein; Du wirst Deinen Zweck erreichen, Dein Leben aber zum Opfer bringen müssen, aber dann bei mir ewig froh und selig sein.‘ Da hob ich meine Hände zu ihm auf und schwor fürchterlich und heilig, ihm zu gehorchen bis in den Tod; ich verlangte hier keine frohe Stunde und dort ewige Verdammniß, wenn ich meinen Schwur brechen würde. Und schon damals hätte ich gehen sollen; aber ich war zu wankelmüthig, bereute oft, was ich geschworen hatte. Doch mein Gewissen wacht jetzt auf und sagt mir: ‚Gehe, eile fort, noch ist Zeit, aber auch die höchste Zeit, darum eile!‘ Es reißt mich fort mit Riesengewalt nach meinem Schicksal hin, dessen Laufbahn bald geendet sein wird. Dann erwartet mich jene Seligkeit, jene ewige Herrlichkeit, die Gott mir verheißen hat! Ja, liebe Eltern, trauern Sie nicht um mich, freuen Sie sich, einen Sohn zu haben, der dieses unvollkommene Leben bald mit einem schöneren vertauscht. Ihnen nur verdanke ich es, Ihren guten Lehren, daß ich standhaft und Gott getreu bin bis in den Tod. Sie lehrten es mich, für das Glück, für das Leben meines Nächsten nicht den Tod zu scheuen. Ja, ich kann ruhig, freudig ihm entgegengehen; wie die Apostel thaten, will ich lächelnd sterben! Dort sehen wir verklärt uns wieder; dort wird nichts uns trennen, unsere Freude stören! Dort finde ich auch die Geliebte wieder, die ich verlassen muß, denn Gott verlangt ein großes Opfer!

So sage ich Ihnen, liebe Eltern, Dir, lieber Vater, und allen Freunden das letzte Lebewohl und meinen Dank für Alles, was Sie von Kindheit an für mich gethan, für die Sorgen und Mühen, die Sie für mich hatten, für die guten Lehren und Alles, was Sie mir gaben.

Zu der Reise, die ich antreten muß, habe ich verschiedenes Nöthige geborgt, auch etwas Geld; ich bitte, dieses Letzte noch für mich zu bezahlen.

So sei denn Gott mit Ihnen, wie er mit mir sein wird, denn mit mächtiger Hand wird er leiten

Ihren bis in den Tod getreuen
Fritz.

Ach, ich kann nicht schließen! Haben Sie nochmals für Alles Dank! Verzeihen Sie mir meine Fehler und das, womit ich Sie beleidigt habe; so auch, daß ich Sie jetzt nicht um Rath fragte. Tausendmal habe ich zu Gott gebetet: ‚Himmlischer Vater, muß es sein, muß ich gehen, wie soll ich’s möglich machen?‘ ‚Du mußt fort!‘ donnerte mir jene Stimme zu, ‚ich begleite, ich führe Dich, was brauchst Du mehr? Sei unverzagt und gehe!‘ Würde ich jetzt noch bleiben, so könnte ich keinem ehrlichen Menschen in’s Gesicht sehen, ohne als ein Meineidiger zu erröthen. Ein kalter fürchterlicher Schauer würde mich überfallen, wenn ich an jenes Leben dächte, wo dann nur Qualen meiner warteten. So denke ich jetzt mit Freude daran, denn ich weiß, Gott wird mich aufnehmen in seine Herrlichkeit.

Am Sonntag besuchte ich die Kirche, es wurde vom Sterben gepredigt. Dieses hat mich nun ganz standhaft gemacht. Ich fühle die letzten Worte der Predigt in ihrem ganzen Umfange, sie heißen: ‚Erhaben über Staub, unsterblich ist des Menschen Geist!‘“ –

Die bange Mutter setzte die Reise nach Erfurt fort.

Der Brief gab kein volles Licht über Friedrich’s eigentliches Vorhaben; nur die nächsten Freunde erriethen, daß Wien sein Ziel sei. Man rüstete schnell einen verständigen Mann mit allem Nöthigen aus und schickte ihn Friedrich nach mit der Weisung, diesen aufzuhalten, wo er ihn fände, nötigenfalls durch obrigkeitliche Gewalt. Dieser Mann, statt schnell und mit Energie den Auftrag auszuführen, geht erst nach Leipzig, reist in Sachsen herum, erkundigt sich auf allen Cantonnirungen, umsonst! Nach Oesterreich wagt er sich nicht. So geht die rettende Zeit verloren. Ich ließ in alle Zeitungen Aufrufe ergehen, mit der Bitte, den Sohn anzuhalten, ihn mit allem Nöthigen zu versehen, vor Allem aber seinen Eltern schleunigst Nachricht zu geben. Umsonst!

Statt dessen verbreiteten sich verwirrte böswillige Gerüchte: unser Sohn sei gefallen, sei todt, habe die Casse bestohlen etc. – Die Angelegenheit wurde ernsthafter. Von München und Weimar kamen. Nachfragen an das Naumburger Gericht: Wer die Eltern von F. Staps seien? Wie ihr Charakter sei? Ob sie Vermögen besäßen? Wie alt sie seien? Ich mußte zwei solcher Verhöre aushalten, ohne daß man mich fragte: Warum? Dann wurden die Briefe abgefordert. Wir ahnten nun das Schlimmste. Da es unendlich peinlich für uns war, über das Schicksal des Sohnes nichts erfahren zu können, entschloß ich mich, an Duroc zu schreiben; es erfolgte keine Antwort. Ich bat einen andern hochgestellten Mann schriftlich dringend um Auskunft. Es kam die Weisung: man möge ihn nie wieder mit Anfragen in dieser Angelegenheit behelligen. Nur ein Brief aus Hamburg sprach deutlich vom Tode unseres Sohnes. Es hieß zum Schluß: „Nun ist wieder ein Deutscher weniger!“ Dieser Brief war an einen Bekannten adressirt, mit der Bitte, ihn uns mitzutheilen. Der Bekannte überlieferte ihn einem andern Bekannten, dieser erst überschickte ihn an uns durch die dritte Hand. Nur mit Mühe ließ sich ein Kaufmann aus Leipzig erbitten, einige offene Zeilen mit der Frage: Ist Friedrich Staps todt oder transportirt? in einen Brief nach Wien

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_030.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)