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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


wenn sie mich mit ihrer gewohnten Liebenswürdigkeit anlächelte – so glaubte ich, mich grüße irgend eine Muse des heitern Hellas mit vielverheißendem sonnigem Lächeln, und der Strickstrumpf in ihrer Hand verwandelte sich plötzlich in einen Lorbeerkranz!

Bald kam aber nach dem ersten Naschen von den Süßigkeiten des Ruhmes der bittere Nachgeschmack, als der Königsberger „Freimüthige“, ein Blatt, das ein ehemaliger Danziger Oberlehrer, Namens Pflug, redigirte, und welches alle liberalen Bestrebungen mit souverainem Hohne verfolgte, eine Kritik des „Herkus Monte“ brachte, deren bescheidenes Lob in der Wendung gipfelte, daß der Verfasser nicht ganz ohne Talent sei. Sonst wurde Einzelnes im Stücke mit überlegener Satire verspottet.

„Der Freimüthige“ brachte in unsere idyllische Einsamkeit dann auch die ersten Nachrichten von dem Umschwung der Dinge, der sich draußen in der Welt vollzogen hatte. Es war im Jahre 1840; die Thronbesteigung des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten hatte eine neue Aera der preußischen Politik eingeleitet. In Ostpreußen, wo Herr von Schoen, die rechte Hand Stein’s und ein Vorkämpfer der längst verheißenen preußischen Verfassung, Oberpräsident war, hatten bei der Huldigung die Stände die Gewährung einer reichsständischen Verfassung verlangt. Es gährte in Folge dessen gerade in Ostpreußen lebhaft in den Gemüthern, und die preußische Zukunftspartei hatte hier ihr Hauptlager. Die geistreiche Persönlichkeit des jungen Monarchen machte außerdem viel von sich reden; seit Friedrich dem Großen hatte Preußen keinen witzigen König besessen; jetzt prasselten Witzraketen um den Thron, und ein Füllhorn von Anekdoten schüttete die Fama aus. Ein solcher Monarch mußte rasch begeisterte Anhänger finden.

Einen derselben lernten wir im Jahre 1841 kennen; es war der Schulrath Lucas, der bei unserem Abiturientenexamen den Vorsitz führte. Er hatte kurz vorher in Marienburg, in dem romantischen Ordensritterschloß an den Ufern der Nogat, dessen Restitution der kunstsinnige König mit Eifer betrieb, ein begeistertes Hoch auf den Monarchen ausgebracht. Wir sahen jetzt diesen Neuromantiker vor uns, ein Bändchen aus den Befreiungskriegen im Knopfloch, frisch und fromm zugleich, beweglich, vielseitig, aller Pedanterie fremd. Mit großer Liebenswürdigkeit half er uns über die Klippen des Examens hinweg und lud Diejenigen, die am besten bestanden hatten, darunter auch mich, nach Königsberg in sein Haus ein.

Wie glänzend lag die Welt jetzt vor uns! Die Fesseln der Schule waren abgestreift; das freie Studentenleben winkte uns! Mit welchem Neid hatten wir auf einen oder den andern der tapfern „Masuren“ gesehen, welche, mit dem breiten Bande und dem stattlichen Vollbarte geschmückt, von den Ufern des Pregels zum Ferienbesuche an ihre heimathlichen Seen zurückkehrten; wie hatten wir ihre Heldenthaten bewundert, von denen sie beim schäumenden Biere erzählten! Jetzt standen wir ihnen in Allem gleich, und wem bei der frohen Aussicht, in die Hauptstadt der Provinz zu gelangen, an den Heerd des politischen und geistigen Lebens, der Himmel nicht voll Geigen hing, der hatte kein Talent für die Musik der höheren Sphären.

Bald war ich denn in Königsberg, der Stadt am Pregelstrande, diesem etwas unordentlich durcheinandergeworfen Häuserhaufen, der seine Eigenthümlichkeit bis heute trotz aller Fortschritte der Jahrzehnte bewahrt hat. Ich konnte mit Muße die neuen Eindrücke in mich aufnehmen. Königsberg gehört nicht zu den blendenden Schönheiten; aber es ist eine interessante Häßlichkeit mit einzelnen Zügen von Bedeutung. Die Börsenbrücke mit dem Blick auf die zahlreichen Schiffsmasten und die hohläugigen Speicherviertel der Lastadie hat bei abendlicher Beleuchtung malerischen Reiz und zugleich großstädtisches Leben. Hanseatisch respectvoll gemahnt auch die Kneiphöf’sche Langgasse mit den patriarchalischen Vorbauten vor den Häusern, wo man bisweilen ein Stück Familienleben auf der lärmenden Straße belauschen konnte. Der Dom und die alte Universität, etwas schlottrigen Angedenkens, wie der abgetragene Frack eines alten Magisters, hatten eine geistliche und gelehrte Würde. Wenn man aber über den zweiten brückenreichen Pregelarm sich in die engen Gassen der Altstadt begab, da geriet man in die eigentliche Hügelstadt, auf welche das Schloß des Böhmenkönigs Ottokar hochgethürmt herabsieht. Da geht es steil bergan, als befände man sich in Orvieto oder einer andern italienischen Burgstadt, obgleich die Appenninen des Pregels nur aus schüchternen Hügeln bestehen. Das Schloß selbst bildet ein stolzes Viereck und zeichnet sich durch die Vielseitigkeit seines einen Flügels aus, wo über einem bureaukratischen Weinkeller, dem „Blutgericht“, dessen Name an die Schrecknisse der Vorzeit mahnt, sich die Schloßkirche befindet, in der ein sehr frommer Generalsuperintendent, Sartorius mit Namen, damals zum Herzen der Gläubigen sprach, über dieser aber wiederum der Moskowitersaal, der große Tanzsaal der ostpreußischen Hauptstadt, wo am Abend ihre stattlichen und wenig nervösen Schönheiten Kraftstudien in Walzer und Masurka ausführten.

Der dritte alte Stadttheil aber, der Löbenicht, gemahnte mit seinen hochgiebeligen Häusern wie das Innere einer flandrischen Stadt – Bierbrauereien und Bierschenken dicht nebeneinander. Das war der Kern der Stadt! Von hier aus erstreckten sich nach allen Seiten strahlenförmige Straßen, die Vorstadt mit der jüdischen Geldaristokratie nach dem öden, dorfähnlichen Haberberg, dessen hoher Kirchthurm weit sichtbar in die Lande schaut, der Roßgarten, die Königsstraße, der Steindamm, der nach den „Hufen“, der Königsberger Villenstadt, hinausführt, die drei Tragheime – Alles sehr naturwüchsige Straßen, wo die Häuser klein und groß durcheinanderstehen, wie es dem Zufall gefällt, ohne jede militärische Uniformirung, ohne das Lineal, wie es der Seinepräfect an die neuen Boulevards der französischen Hauptstadt anlegte. Das landschaftliche Juwel von Königsberg aber ist der Schloßteich, eine reizende Gartenidylle, ein krystallener Wasserspiegel, schattige Baumgruppen, artige Häuserfronten mit der Magie abendlicher Beleuchtung, wenn die Lampen des Börsen- und Logengartens mit dem Mondschein wetteifern, die grünen Laubengänge in ein feenhaftes Licht zu tauchen.

Das war der erste Eindruck von Königsberg! Damals war die Stadt noch keine Festung mit mächtigen Wällen und gothischen Thoren, welche jetzt dies Conglomerat von Häusern, Feldern, Flußarmen und Teichen umschließen; es war eine harmlose Stadt, in welche der Moskowiter gelegentlich mit klingendem Spiel ungestört einziehen konnte. Erst viele Jahre später wurde gebaut und geschanzt, und oft begleitete ich den Ingenieurofficier Rüstow zu den Festungsarbeiten. Es ist derselbe, der später aus der Festung Posen entfloh, mit Garibaldi vor Capua focht, als Schweizer Obrist und als scharfkritischer Militärschriftsteller sich einen Namen machte. Die Bastionen von Königsberg gehören mit zu seinen Verdiensten. Jetzt ist die Stadt ein strategisch wichtiger Punkt und hat Aussicht, so berühmt zu werden wie Straßburg, Metz und Paris und die gleichen Annehmlichkeiten eines opferlustigen Heroismus zu genießen.

Kaum war ich immatriculirt, als bereits der Strudel der oppositionellen Bewegung mich in seine Kreise zog; ich muß bekennen, daß ich aus dem ersten Collegium, das ich besuchte, gleich wieder hinausgelaufen bin; doch dient zu meiner Rechtfertigung, daß ich es mit hundert Anderen in Gemeinschaft that. Das Cultusministerium Eichhorn, welches die orthodoxe Richtung begünstigte, hatte einen Theologen Hävernick an die Königsberger Universität berufen, der als extremer Parteimann den Studenten mißliebig war. Die ganze Studentenschaft strömte in sein Antrittscollegium; wie ein Triumphator stand der Professor auf dem Katheder, sich seiner glänzenden Popularität erfreuend. Doch kaum hatte er von seinem theologischen Werg die ersten Sätze gesponnen – da entleerte sich der Saal mit lawinenartiger Geschwindigkeit; die Studirenden aller Facultäten polterten die Treppe hinunter, und nicht zwei mildherzige Seelen blieben zurück, um ein Collegium bilden zu helfen; nur die leeren Bänke starrten gespenstisch auf den verdutzten Professor, der eben erst sein blühend Glück überschaut hatte. Doch das Unglück schreitet schnell! Es war dies eine „Demonstration“. Man lebte damals in der Zeit der „Demonstrationen“; sie hatten den großen Vorzug, daß sie nicht blos Heldenthaten der guten Gesinnung, sondern auch amüsant waren!


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_034.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)