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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


poetischen Versuche. Aber im Jahre 1776 faßten die Jesuiten im ganzen pfälzischen und bairischen Gebiete den Beschluß, ihren Schülern alle deutschen Bücher wegzunehmen; Bronner mußte eine Liste der seinigen aufsetzen, während man gleichzeitig sein Pult erbrechen ließ, um sich von der Richtigkeit derselben zu überzeugen. Ihm wie allen Studenten wurden nun die gefährlichen Bücher fortgenommen, aber die jungen Literaturfreunde verschafften sich bald neue und versteckten sie jetzt nur um so heimlicher.

Als Bronner, nun ein achtzehnjähriger Jüngling, im Herbste desselben Jahres die Heimath besuchte, redete ihm erst der Stadtpfarrer von Höchstädt, dann auch seine Mutter dringend zu, in das Benedictinerkloster zu Donauwörth einzutreten. Obwohl Bronner Weltgeistlicher zu werden wünschte, konnte seine weiche Natur namentlich dem Drängen der Mutter nicht widerstehen, die ihm vorstellte, im Kloster würde er nicht blos sogleich versorgt, sondern sie selbst auch überglücklich sein, schon so bald einen geistlichen Herrn Sohn zu haben, der für sie Messe lesen könnte. So ließ er sich bewegen nach Donauwörth zu gehen und dem Prälaten seine Bitte um Aufnahme vorzutragen, immer, wie schwache Seelen pflegen, sich mit der Hoffnung beruhigend, irgend ein unvorgesehener Umstand würde das verhindern, was er durch eignen Entschluß abzuwenden nicht die Kraft hatte. Aber seine Hoffnung erfüllte sich nicht, und er sah sich nur zu bald in den Mauern des Klosters eingeschlossen.

Seine mit den ärmlichsten Möbeln ausgestattete Zelle, deren Wände von Rauch gebräunt und deren Boden von Mäusen aufgewühlt war, hatte wenigstens eine reizende Aussicht, und er faßte von Neuem die Hoffnung, mit der Regel des heiligen Benedict seine Neigung zum Studiren und den schönen Wissenschaften vereinigen zu können. Der Klosterbarbier vollzog die Tonsur an dem Klostercandidaten, er wurde in das Ehrengewand des Ordens gekleidet und so begann nun das Noviziat.

„Nach der christlich eifrigen frühen Eintrichterung des Katechismus,“ sagt Bronner, „weiß ich nichts, was den Geist mehr abzustumpfen und den geraden Menschensinn besser zu verkrüppeln taugt, als die gewöhnliche Behandlung der Novizen.“ Einen großen Theil des Tages füllte das gedankenlose Chorsingen aus, das schon um halb vier Uhr Morgens mit der Frühmette begann; die übrige Zeit wurde mit dem Lesen ascetischer Schriften, dem Abbeten eines Breviers zu Ehren der Jungfrau Maria, des Rosenkranzes oder anderer Formeln, oder mit Abfassung einer täglich dem Novizenmeister einzureichenden geistlichen Betrachtung, endlich mit Auskehren der Klosterräume und dem dadurch verdienten Genuß eines Kruges Weißbier hingebracht. An jedem Sonntag mußten die Novizen ihrem Meister die Fehler der vergangenen Woche beichten, wobei sie sich zu „prosterniren“ hatten, d. h. das Haupt mit der Kapuze bedeckt der Länge nach niederzufallen und so lange im Staube liegen zu bleiben, bis er rief: „Surgite!“ (Steht auf!) Die Bußen bestanden je nach der Größe der Fehler in Entziehung des Salats oder Weins an der Tafel, in Sitzen auf dem Boden u. dgl.

Doch Bronner erfuhr von den jungen Mönchen bald, daß man sich an die Vorschriften nicht so streng zu kehren brauche, bald ließen sie ihn an wüsten Trinkgelagen Theil nehmen und machten aus dem stillen blöden Jungen in Kurzem einen sehr lockern Novizen. Sie unterwiesen ihn auch, wie er sich den Schein eines strengen Büßers geben könne, ohne sich wehe zu thun; denn in der Fastenzeit sollte man sich mit dem Cilicium (einem Drahtnetz in Form einer handbreiten Binde mit spitzen Stacheln, die man mit einwärts gekehrten Spitzen um die nackten Hüften legte) und der Geißel (die acht in lange Kölbchen auslaufende Schnüre hatte) mindestens zwei Mal wöchentlich peinigen. Wenn dann der Novizenmeister Abends an den Zellen horchte, peitschten deren Insassen auf die Rücklehne eines Ledersessels oder auf die auf dem Bett ausgebreiteten Beinkleider.

Wie oft aber Bronner auch die Erbärmlichkeit des Klosterlebens tief empfand, immer tröstete er sich wieder leicht durch verstohlenes Lesen in der Bibliothek, durch allerlei mechanische Beschäftigungen und Spielereien; die Kraft zu einem freien Entschlusse fand er nicht, und so legte er nach Ablauf des Noviziats im October 1777 die drei klösterlichen Gelübde der Armuth, der Keuschheit und des Gehorsams ab, wählte den Klosternamen Bonifacius und wurde in Gegenwart seiner Eltern und Freunde feierlich eingekleidet. Um anzuzeigen, daß der neue Mönch von nun an der Welt völlig abgestorben sein solle, wurde ihm die Kapuze vor dem Gesicht zusammengemacht, er mußte sich an den Stufen des Altars niederwerfen, wurde mit einem Grabtuche bedeckt und bei dem Schein von Trauerkerzen wie an einer Bahre Todtengesänge neben ihm gesungen. Sobald er aufstehen durfte, empfing er von allen Mönchen der Reihe nach den Bruderkuß. Der übrige Tag sollte frommer Betrachtung in der Einsamkeit der Zelle gewidmet sein. Erst am andern Tage wurden die zusammengenähten Kapuzen wieder aufgetrennt, und dem gleichsam Neuerstandenen gestattet, wieder am Umgange mit anderen Menschen theilzunehmen. Nicht blos Bronner selbst bereute nun zu spät den unwiderruflichen Schritt, selbst seine Mutter bedauerte, ihn dazu gedrängt zu haben, als sie am Tage nach der Einkleidung Zeugin der Belustigungen wurde, die jüngere Mönche mit anwesenden Mädchen und Frauen anstellten, und die hauptsächlich in Wadenmessen und dem Suchen versteckter Schuhe unter den Stühlen der im Kreise Sitzenden bestanden.

Ueber die erste Zeit des Mönchslebens halfen Bronner philosophische und mathematische Studien hinweg, die er unter Leitung des gelehrten und verhältnißmäßig aufgeklärten Pater Beda mit großem Eifer trieb. Dabei gab es freilich fortwährende Kämpfe mit dem Prior, der den geistlichen Uebungen möglichst wenig Zeit entzogen wissen wollte und gegen alles eitle weltliche Wissen eiferte: er suchte durch zur Schau getragene Strenge die Gerüchte über Manches aus seinem frühern Leben in Vergessenheit zu bringen, wo er in einem Thurm der Stadtmauer mit andächtigen Mädchen pietistische Conventikel gehalten hatte. In den Scenen, die er von seinem Zellenfenster aus beobachten konnte, fand Bronner die Motive zu seinen Fischeridyllen, erfreute sich auch an dem Umherstreifen in den Wäldern, wenn er mit anderen jungen Mönchen auf den Jagden der Prälaten als Treiber dienen mußte. Seine physikalischen Studien führten ihn zu allerlei Thorheiten, er versuchte, ein Perpetuum mobile, eine Flugmaschine zu erfinden, und seine liebste Erholung war neben der Poesie die Musik. Daneben quälte er sich mit theologischen Zweifeln, er vermochte nicht die Ewigkeit der Höllenstrafen mit dem Begriff eines allgütigen Gottes zu vereinigen, und da er immer noch jeden wissentlichen Zweifel an der katholischen Lehre für eine Todsünde hielt, betete er inständigst zu Gott, ihn vor Ketzerei zu bewahren.

Im Jahre 1780 lernte Bronner den ersten Roman kennen: der Pater Bibliothekar hatte den damals so berühmten „Siegwart“ gekauft, weil er auf dem Titel als „Eine Klostergeschichte“ bezeichnet war. Dies Buch erschloß dem zweiundzwanzigjährigen Jünglinge eine neue Welt der Empfindung und erfüllte sein weiches Herz ganz mit tiefer Sehnsucht nach Liebe und Glück. Bald lernte er ein eben so schönes als sittsames Mädchen kennen, die als nahe Verwandte eines Mitbruders das Kloster besuchte, und zwischen ihnen entspann sich ein Verhältniß, das bei der seltenen Unschuld Beider völlig rein blieb, auch nach der Heirath der Geliebten mit Billigung ihres Mannes fortdauerte und dem guten Bronner durch sein ganzes Leben ein bittersüßes Glück gewährte.

Der Prälat, dessen Gunst Bronner namentlich durch ein zu seinem Geburtstage veranstaltetes Singspiel gewonnen hatte, schickte den jungen Mönch, nachdem er ihm zuvor das Subdiaconat ertheilt, nach Eichstädt, um ihn nach seinem Wunsch in der Mathematik ausbilden zu lassen. Hier machte Bronner aber die Bekanntschaft eines Freimaurers, der ihn bewog, sich in den Illuminatenorden aufnehmen zu lassen. Wenn auch das Possenspiel der Bedrohung mit dem Tode, falls er den Eid der Verschwiegenheit brechen würde, dem Neueingeweihten höchst lächerlich vorkam, so war der Eintritt in diesen neuen Kreis doch von entscheidendem Einflusse auf sein ganzes Leben; denn die Ansichten, die er theils aus dem Umgange der neuen Genossen, theils aus der Literatur, die er durch sie kennen lernte, in sich aufnahm, untergruben seinen schon erschütterten Glauben völlig.

Nichtsdestoweniger empfing Bronner im Jahre 1783 in Eichstädt die Priesterweihe. Die ganze Ceremonie, namentlich aber das Bestreichen der zusammengebundenen Hände mit dem heiligen Oel, das ihm eine Wunderkraft mittheilen sollte, widerte ihn an; doch beschwichtigte er sein Gewissen mit der Vorspiegelung, die Gnade Gottes werde ihm vielleicht künftig durch ein Wunder den Glauben verleihen, den er jetzt nicht habe. Bei seiner ersten Messe (Primiz) empfing die (bereits vermählte) Geliebte von ihm das Abendmahl,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_054.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)