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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 4.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Pulver und Gold.
Den Mittheilungen eines Officiers nacherzählt von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


„Diese Fahrt mit uns wird Sie um Ihre Popularität im Lande bringen, Fräulein Kühn!“ sagte ich. „Und wenn unglücklicher Weise unsere Truppen bei weiterem Vorrücken dieses Thal hinaufziehen würden, wird man Sie beschuldigen, uns den Weg gewiesen zu haben … fürchten Sie das nicht?“

„Nein,“ sagte sie kurz, „meine Landsleute kennen mich.“

Der Geistliche mischte sich in’s Gespräch, und Fräulein Blanche verhielt sich schweigsam, bis wir Colomier erreicht hatten. Dies war wirklich ein Punkt von großer Schönheit. Es war ein rundum fast ganz abgeschlossener Bergkessel, dessen Grund smaragdgrüne Wiesenmatten bildeten. Im Hintergrunde lag ein Gehöft, dicht an eine Felswand geschoben. Rechts davon schoß der Fluß aus einer schmalen Felsenspalte hervor, tosend und schäumend; von dem Gehöft führte eine hochgeschwungene Brücke über ihn fort auf eine Waldwiese, die von dunklen Tannen umstanden war, und von diesem Hintergrunde hob sich ein hübscher geräumiger Pavillon mit seinem hohen, spitzen Schieferdach ab. Ein kleiner, auf den Fluß hinaus sich erstreckender Altan mit einer von Reben umrankten Veranda vollendete das hübsche Architecturbild, das dies schmucke kleine Gebäude bildete.

Die rings umher malerisch gelagerten Felsmassen waren bis zur halben Höhe von einer reichen Vegetation überzogen und verhüllt; sie waren gekrönt von den mächtigen grauen Mauern des alten Schlosses von Colomier, auf dem einst – der geistliche Vetter, der in der Geschichte bewanderter schien, als in der Geographie, hatte es behauptet – die alten Herzoge von Hochburgund zeitweise ihren Sitz gehabt.

Wir fuhren auf den Hof der „Ferme“, in welchem die sinkende Nachmittagssonne bereits sehr tiefe Schlagschatten warf. Bei einer kleinen Berathung, welche entstand, ob wir zuerst in den Pavillon einkehren oder gleich den Weg zur Burg hinauf antreten sollten, bat ich dringend um das Letztere, da der Weg die beträchtliche Höhe hinauf viel Zeit in Anspruch zu nehmen und der Abend zu kommen drohte. Man gab mir nach und wir begannen die Wanderung, während Friedrich mit seinem das Vesperbrod enthaltenden Korbe den Auftrag erhielt, sich den Pavillon von den Leuten der Ferme öffnen zu lassen und dort vorsorglich Alles herzurichten.

Ich brauche unsern Weg nicht zu beschreiben; man weiß, daß alte Burgruinen mit einiger Anstrengung der Kniemuskeln und der Lungen genommen sein wollen. Ich sage nur, daß es ein ganz heilloser Ziegenpfad war, den wir zu erklimmen hatten; desto heiterer war die Stimmung, welche er hervorrief; ich wagte es, Fräulein Blanche den Arm zu bieten, und sie nahm ihn ohne Zögern. Als wir endlich oben im Bereich der Ruine angekommen waren und durch das noch wohlerhaltene Portal, welches die ehemalige Vorburg von der Hauptburg geschieden, in den Hof traten, eröffnete sich uns ein prachtvoller Ausblick über das dunkle tannenumhegte Thal, den sich windenden Flußlauf tief zu unseren Füßen, die nächsten Höhen und ein gutes Stück des alten schönen und reichen burgundischen Landes.

Ich war in einer ganz eigenthümlichen Erregung, in etwas von einem seligen Rausch; daß Blanche mit einer Art von Hingebung, welche vielleicht nur Folge der Ermüdung war, ihren Arm in dem meinen ließ, hatte sicherlich seinen Theil daran. Wir standen lange stumm, jeder wie mit dem schönen Bilde vor uns beschäftigt, von ihm erfüllt und entzückt; aber ich muß gestehen, daß ich im Grunde nur an sie dachte, nur von ihr erfüllt war.

Nach einer Pause sagte sie: „Nun, geben Sie mir Recht?“

„Recht? Worin? Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich in einer so tiefen Friedensstimmung bin, daß ich allen Krieg vergessen habe und Jedermann Recht geben möchte? Sind wir in Etwas verschiedener Meinung?“

„O, in tausend Dingen, denk’ ich,“ versetzte sie mit einem weichern mildern Tone, als ich ihn noch von ihr vernommen.

„Und doch könnt’ ich über kein einziges mehr mit Ihnen streiten. Wenn ich auch tausendmal Recht dabei hätte, was nützte es mir? Sie wissen, daß Macht vor Recht geht – und die Macht haben Sie!“

„Die Macht hätte ich?“ sagte sie rasch und erglühte dann in jenem mädchenhaften Erröthen, in jener Verlegenheit, über ein zu rasch gesprochenes Wort, das eine Antwort hervorlocken kann, die man durchaus nicht hervorlocken möchte.

Der Abbé hatte das Zwiegespräch, das ich gern fortgesetzt hätte, gestört; wir sprachen von anderen Dingen; der Geistliche nannte die einzelnen Punkte und Orte, welche wir in der Ferne erblickten. Er wurde dabei sehr beredt und ausführlich; ich sah zu meiner Beunruhigung, wie die Sonne dem Horizont zusank und ihr unterer Rand beinahe schon die blaue Wellenlinie der fernsten Höhen im Westen berührte.

Endlich unterbrach ich ihn, um an die Rückkehr zu mahnen. Blanche schien sich nicht losreißen zu können; sie stand noch lange

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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 057. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_057.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)