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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Schmerzen gelindert, ich suchte meine Müdigkeit zu vergessen und so gelangten wir weiter; sehr mühsam freilich und, je mehr wir uns Chateau Giron nahten, desto weniger rasch; aber wir nahten ihm und wir erreichten es auch glücklich; erleichtert athmete ich auf, als wir ein mattes Licht durch die Fenster meiner Zimmer schimmern sahen.

„Glauroth ist auf seinem Posten geblieben!“ rief ich aus. „Gottlob! ich hätt’ es ihm kaum zugetraut!“

Wir erhielten gleich darauf einen weiteren Beweis von Glauroth’s Diensteifer und Umsicht. Er hatte eine Streifpatrouille von zwei Mann nach uns ausgeschickt, die beim Zurückkommen in der Allee vor dem Schlosse auf uns stieß. Als ich dann mein Zimmer betrat, fand ich Glauroth nichtsdestoweniger in meinem Bett tief in den Armen des Morpheus – vorausgesetzt, daß sein entsetzliches Schnarchen nicht den Gott längst veranlaßt, sein Amt irgend einer unglücklichen Untergottheit zu übergeben. Auf dem Nachttisch brannte eine flackernde Lampe; der Chevalier von Faublas lag, von der Decke niedergeglitten, auf dem Teppich. Glauroth fuhr, als wir ihn schüttelten, mit dem Gurgeln einer Wasserorgel in die Höhe und behauptete, keinen Augenblick geschlafen zu haben. Ich drückte ihm meine völlige Gläubigkeit in Beziehung auf diesen Punkt aus und bat ihn nur, mir sein Lager zu überlassen. Zehn Minuten nachher lag ich mit einem Gefühle tiefer Dankbarkeit für meinen Schöpfer mich auf den Kissen ausstreckend, hatte Glauroth kurz die Situation erklärt und sandte ihn von dannen, alle Hülfsleistungen ablehnend. Was mir noth that, was meine Natur gebieterisch erheischte, war nichts als Ruhe, ungestörte Ruhe, das große Heilmittel Schlaf!

Ich fand ihn sehr bald trotz der Schmerzen, die ich noch immer fühlte, diesen heilkräftigen Schlaf, einen Schlaf, so fest und tief, daß der Tag sehr weit vorgerückt sein mußte, als ich am andern Morgen erwachte. Es war wohl kaum Morgen mehr, sondern fast Mittag. Es wurde mir schwer, mich zu besinnen, was geschehen, wo ich sei, und ob es ein Traumbild oder wirklich Fräulein Blanche sei, was mir gegenüber auf einem Sopha saß, über ein Buch gebückt, und jetzt, wo ich erwachte, sich erhebend, einem Klingelzuge in der Ecke zuschreitend und, nachdem sie diesen gezogen, auf mein Bett zukommend, um sich in den Sessel am Fußende niederzulassen.

„Sie sind es?“ sagte ich verwirrt zu ihr aufschauend.

„Wie fühlen Sie sich?“ fragte sie erregt. „Gottlob, daß Sie erwacht sind – daß man Sie verbinden kann, ich wollte nicht zugeben, daß man Ihren Schlaf unterbreche, und nun wurde mir doch Angst bei diesem langen Schlaf.“ …

Ehe ich meine Gedanken so weit sammeln konnte, um zu antworten – wußt’ ich denn selbst schon, wie ich mich fühlte?! –, trat der Abbé ein, gleich nach ihm Friedrich.

„Verstatten Sie mir, daß ich Ihre Wunde untersuche,“ sagte der Abbé; „ich bin ein Stück von einem Arzt, von einem Wundarzt wenigstens – ich hoffe das Nöthigste thun zu können, bis der Hausarzt kommt, der wohl vor morgen, wo er ohnehin Madame Kühn besucht, nicht anlangen wird – er muß den Weg aus Noroy herüber machen und ist so schwer zu haben!“

Dabei und während Fräulein Blanche verschwand, machte sich der Abbé, wie mir schien mit ziemlich geschickten Händen, an die Entblößung meiner Wunde von ihrem Nothverbande; Friedrich schleppte Wasser und das Verbandzeug, welches schon im Zimmer bereit lag, herbei – ich unterwarf mich schweigend der Behandlung.

„Ich glaube, es ist nichts Gefährliches,“ sagte der Abbé; „es ist eine reine Fleischwunde, die bald heilen wird … der Blutverlust hat Sie wohl ein wenig erschöpft?“

„Der Blutverlust oder der Weg!“ entgegnete ich, „oder beides zusammen – ich fühle wenigstens, daß es mich sehr glücklich machen würde, wenn in den nächsten vierundzwanzig Stunden Niemand von mir verlangte, daß ich ein Glied rühren solle!“

„Gewiß wird das nicht der Fall sein!“ versetzte der Abbé, seine Waschung fortsetzend; dann legte er Charpie auf und begann meinen Arm zu verbinden.

„Sie können den Arm frei bewegen?“ fragte er, als es geschehen.

Ich erhob den Arm; ein heftiger Schmerz zog durch die oberen Muskeln, aber die Bewegung war nicht gehindert.

Fräulein Blanche kam zurück und setzte sich in den Sessel, den sie zuerst eingenommen.

„Ich werde Ihre Pflegerin sein,“ sagte sie mit einer eigenthümlichen harten Bestimmtheit. „Ihr Diener hat mir Alles erzählt, was sich ereignet hat, nachdem Sie Colomier verlassen. Ich bin es gewesen, die an diesem Unfall die Schuld trägt – und ich will Ihnen zeigen, wie schwer das auf mir liegt, wie sehr ich Alles thun möchte, es wieder gut zu machen und die Folgen desselben für Sie zu lindern …“

„Und wenn Sie nicht die Schuld trügen?“ fragte ich, langsam meine Gedanken sammelnd.

„Was meinen Sie?“

„Würden Sie dann auch – vorausgesetzt, ich bedürfte einer weiblichen Pflege – mir diese mit derselben Güte bieten?“

Sie sah mich an, ohne zu antworten.

„Sie begreifen,“ fuhr ich lächelnd nach einer Pause fort, „daß das mich sehr glücklich machen würde; wenn Sie mir jetzt jedoch sagen, daß blos das Bewußtsein, schuld an meinem Unfall zu sein, blos das Bedürfniß, dies wieder gut zu machen, Sie zu so viel Selbstverleugnung führt, so antworte ich Ihnen: ich danke Ihnen; die ganze Sache ist nicht so ernst und ich werde sogleich aufstehen, um Ihnen zu zeigen, daß ich wirklich eines so aufopfernden Dienstes nicht bedarf, daß Ihre ‚Schuld‘ in der That nicht sehr groß ist, daß Sie auf das, was mir zugestoßen, durchaus kein Gewicht zu legen brauchen!“

Sie fuhr fort mich schweigend zu betrachten. „Ich verstehe Sie nicht,“ sagte sie dann, wie aus Gedanken auffahrend; „was Sie sagen, ist unfreundlich …“

„Ich will nur sagen, daß ich lieber einen Beweis Ihrer Güte sehen möchte als einen Beweis Ihrer Gewissenhaftigkeit. Doch genug. Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß ich nicht begreife, wie Sie sich die Schuld meines Unfalls zuschreiben können!“

Sie senkte tief ihre Blicke in mein Auge und sagte dann:

„Sie sind nicht aufrichtig jetzt! Ihr Herz strömt über von einem häßlichen, giftigen Verdacht – doch nein, einem Verdacht, der nur zu natürlich ist! Sie sind überzeugt, daß wir Sie haben in einen Hinterhalt locken wollen; aus den Angaben Ihres Dieners habe ich entnommen, wie die Beobachtung, daß wir von vornherein Sie in Colomier über Nacht halten wollen, Sie aufgeschreckt und veranlaßt hat, im Stillen auf und davon zu gehen! Beweist das nicht Ihr Mißtrauen hinlänglich?“

(Fortsetzung folgt.)




Der Maler der Kinderwelt.


„O Kinderzeit, du frohe Zeit
Voll Frühlingsfreud’ und Frühlingsleid, –
Dein Vogelleben fing ich ein
Und sperrt’ in’s Bilderbuch es ein.“

In Italien brannte der Krieg. Piemontesen und Franzosen hatten im Sommer 1859 die Oesterreicher in mehreren großen Schlachten auf’s Haupt geschlagen, kein Mensch konnte voraussehen, welche Dimensionen der Kampf noch annehmen mochte, darum schien es auch Preußen geboten zu sein, sich für alle Eventualitäten bereit zu halten. Es machte einen Theil seines Heeres mobil und zog die dazu gehörige Landwehr zusammen. Unter den Wehrmännern, die mit Sack und Pack ausrücken mußten, zwar zunächst nicht in’s Feld, doch von Haus und Hof hinaus nach ihren Sammelplätzen in der Provinz, befand sich auch ein junger Berliner Familienvater, welcher sich nicht gar lange erst sein eigenes Nest gebaut hatte. Wehmüthig schied er von seinem trauten Heim, das ihm all sein Glück umschloß – er konnte ja nicht ahnen, daß der Tag von Villafranca sobald schon dem Strauße ein Ziel setzen und damit auch den preußischen Rüstungen Einhalt thun würde. Ehe er sich aber losriß von Weib und Kind, seinem erstgeborenen, der „Knospe, die der Frühling trieb“, ehe er den Tornister umschnallte und sich zu seiner Batterie verfügte, vollendete er ein Werk, das er lange im Herzen getragen, an dem er Monate hindurch in stiller freudiger Arbeit geschaffen hatte. Es stand im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_060.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)