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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


falsche Freunde! Ich lebte fortan meinen eigenen Ideen und Principien. Ich schnitt mein köstliches Haar zu diesen kurzen Wellen, weil es mir ein Raub an der köstlichen Zeit bedünken wollte, die die Frauen bei diesem unnöthigen Putz vergeuden; ich wählte dies schmucklos schlichte Kleid, wie Sie sehen, damit in Beseitigung lästigen Flittertands bei männlicher Arbeit nicht wieder Minuten verloren gingen; ich beschränkte mich auf den Gebrauch dieses Männerhutes, um den Spiegel entbehren und jedem Wetter trotzen zu können. Ich warf meinem ganzen verwöhnten vergötterten Geschlecht, das mir wie Puppen oder Schooßhündchen des stärkeren durch eigene Indolenz erscheinen will, den Fehdehandschuh in’s Gesicht, indem ich öffentlich vom Katheder aus in Steinway-Hall die Nutzlosigkeit ihres Daseins, ihre Hohlheit, ihre Oberflächlichkeit angriff. Natürlich stand ich bald vereinzelt in meiner Ausnahmsstellung da, fand Widersacher und Freunde, wurde von den verschiedenen Organen der Tagespresse entweder in den Himmel gehoben oder in den Koth getreten, vertheidigt oder heftig angegriffen.

Zu meinen freien Vorträgen drängte man sich; über Nacht war ich eine berühmte Persönlichkeit geworden. Den Huldigungen der tonangebenden Salonhelden begegnete ich mit der Verachtung, die sie verdienten; einigen Unverschämten hatte ich sogar die Thür zu weisen, zu denen sich der sogenannte Prinz Eric zählt. In diese Zeit fällt meine Bekanntschaft mit den bekannten Frauenbanquiers in Wallstreet, und diese Freundschaft, der ich mich in Anerkennung weiblicher Energie und Tüchtigkeit mit all’ dem mir innewohnenden Vertrauen hingab, ward Veranlassung meines spätern Mißgeschicks. Bei Gelegenheit einer kurzen Reise übergab ich der Firma, ohne jede Bescheinigung, meine Juwelen und eine beträchtliche Summe zur Aufbewahrung. Bei meiner Rückkehr leugnete sie den Empfang desselben ab. Ich schweige über das moralische Leiden, das diese neue Täuschung in meiner Seele hervorrief. Nach langem Kampfe schritt ich gerichtlich gegen diese ehemaligen Freunde vor, um mein Eigenthum zu reclamiren. Ich erreichte nur, daß Jene nun mich selbst als Schwindlerin denuncirten, die auf erborgten Namen hier Betrügereien trieb.

Man warf die Tochter eines Königs, ein Opfer elender Cabalen und Machinationen, in das Gefängniß!“ –

Sie schwieg – wir Alle – denn tief erschüttert war ich ihrem hinreißenden Vortrage gefolgt, den sie mimisch lebhaft unterstützte.

„Die Untersuchungshaft dauerte lange,“ nahm sie den Faden der Erzählung wieder auf, „jedes Kind hier würde Ihnen sagen können, wie sie sich in den Zeitungen meinethalben herumgestritten. – Ich kam endlich frei, und im nächsten Monate muß sich mein Proceß entscheiden, den nur die elende Handhabe der hiesigen Justiz zu Gunsten meiner Angreifer beenden könnte.“ –

Wir, die Prinzeß und ich, traten gemeinsam später auf die Straße hinaus. Dort bot sie mir in liebenswürdiger Zuvorkommenheit die Benutzung ihrer Logen in den verschiedenen Theatern und endlich ein Billet zu ihren eigenen Vorträgen an. Ich nahm das Anerbieten höflich dankend unter der Bedingung an, daß sie persönlich Ueberbringerin der Karten werden wolle, wobei ich ihr die meine überreichte, die meine Adresse enthielt. Wir tauchten alsdann in das Gewühl der Weltstadt, das aus den Broadway all’ seine Wogen mündet. Das befremdliche Starren der Passirenden, das nur theilweise durch die eigenartige Tracht meiner Begleiterin gerechtfertigt schien, ja endlich gar das vielsagende unzweideutige Lächeln auf manchem Gesichte berührte mich peinlich; es verletzte das weibliche Tactgefühl, das die allgemeine Aufmerksamkeit ungern auf sich hingelenkt sieht, und erleichtert athmete ich auf, als meine Begleiterin sich an der nächsten Querstraße verabschiedete.

„Ich komme bald zu Ihnen,“ waren ihre letzten Worte. Mit diesen kam mir der gelinde Zweifel, ob meine Einladung nicht etwa übereilt gewesen. So lange ich mich unter der Einwirkung ihrer eindringlichen Stimme befunden, war sie für mich unstreitig nur die Märtyrerin ihres Verhängnisses; jetzt wollte mir, beim Lichte nüchterner Ueberlegung betrachtet, das Ganze doch gar zu romanhaft und seltsam erscheinen.

Noch voll des Gehörten und Erlebten kehrte ich in mein einstweiliges Heim zurück. Meine Angehörigen schlugen bei meinen Mittheilungen die Hände über dem Kopfe zusammen. „Wie konntest Du,“ erschallte es in mißbilligendem Erstaunen rings im Kreise, „wie konntest Du Dich mit der verrufenen Schwindlerin am hellen lichten Tage auf dem Broadway sehen lassen? Zu Dir kommen will sie – bei Leibe nicht!“ Wo ich sondirend von der Prinzessin sprach, lachte man mir in’s Gesicht und warnte mich, nicht durch ihre Bekanntschaft mich zu compromittiren. Endlich, nachdem ich mich schon in falsche Hoffnungen gewiegt, kam dennoch der gefürchtete Augenblick, der mich für meine Uebereilung, oder eigentlich nur Unkenntniß von Land und Leuten, zu strafen hatte.

Eine der tonangebenden Damen der dortigen Gesellschaft saß plaudernd bei uns im Salon (und das will etwas heißen in der Metropole der freien Republik, in der es möglichst noch exklusiver hergeht, als in unseren vaterländischen alten Adelskreisen). Es schellte an der Hausglocke – das amerikanisch unabhängige Dienstpersonal, das sich in den unteren Räumen aufhält, stellt meine deutschen Höflichkeitsgewohnheiten durch unerhörtes Zögern auf eine zu harte Probe, und ich eile, die Thür des Parlours halb anlehnend, dienstbeflissen an die des Hauses. Wäre mir beim Oeffnen Banquo’s Geist erschienen, ich hätte nicht mehr zurückprallen können, als vor der lebensvollen Gestalt der Prinzeß Editha.

„Ist Mrs. L. zu Hause?“ frug sie, von außen stehend, die mich im Morgenkleide, von dem Licht der Straße noch geblendet, augenscheinlich nicht gleich erkannte.

Dies kurze Zögern gab mir den Muth der Verzweiflung, mich aus meiner Verlegenheit auf die einzig mögliche Art herauszuziehen; zitterte ich doch vor dem Zorn meiner Schwestern, dem prüden Entsetzen und Naserümpfen der Dame der „guten Gesellschaft“. – Ich verleugnete mich selbst und führte meine Rolle, an allen Gliedern bebend, mit Aplomb und Consequenz, trotz ihres eindringlichen Forschens und, wie es schien, spätern Erkennens, eine volle Viertelstunde durch. Die „Tochter eines Königs“ ließ ich vor meiner Thür stehen, während das schallende Gelächter der höchlich amüsirten Damen aus dem Parlour zu uns herausdrang.

Sie mußte endlich die Absicht errathen und empfand den Schimpf. Wie eine entthronte Königin, in aller Majestät der beleidigten Würde, hob sich die stolze Gestalt.

„Leben Sie wohl, Madame!“ Sie rauschte von dannen. Fast überkam es mich wie Reue.

Hatte ich eine Betrügerin oder eine Selbstbetrogene von unserer Schwelle gestoßen? –

Die Zukunft muß es entscheiden.




Blätter und Blüthen.

Ein bischöflich Verfluchter im Elend. Wenn der Leser diesen Titel liest, wird er sich wohl darauf gefaßt machen, eine Leidensgeschichte aus längst vergangenen Tagen zu hören. Dem ist nicht so. Wir erzählen hier eine Geschichte der Gegenwart, und die Leser erfahren von einem mit ihnen Lebenden, wie ein Bischof seine volle Gewalt an einem armen Priester ausläßt. Die Redaction der Gartenlaube erhält nämlich folgende Zuschrift eines höheren bairischen Gerichtsbeamten:

„Ich wage, im Vertrauen auf das bekannte Humanitätsgefühl, Euer Wohlgeboren Folgendes vorzuführen:

Im Jahre 1856 wurde der katholische Pfarrverweser Thomas Braun von Holzkirchen in Niederbaiern deshalb seiner Stelle und seines Gehaltes entsetzt und, weil ohne entsprechendes Privatvermögen, dem Hunger und Elend preisgegeben, weil er den Muth hatte, das im Jahre 1854 von dem gegenwärtigem Papste Pius dem Neunten neu verkündete Dogma von der unbefleckten Empfängniß Mariens, der Mutter Jesu, zu bezweifeln und dem Bischof von Passau gegen die ihm zugemuthete Verkündigung dieser neuen Lehre Vorstellungen zu machen.

Für diese Aufrichtigkeit, dafür, daß dieser altkatholische Priester kein Heuchler wurde, wurde er aber hart gezüchtigt und seiner zeitlichen Existenz beraubt, mit dem Kirchenbann belegt, dem katholischen Volke von den Kanzeln als ewig Verfluchter und Verdammter geschildert und der fernere Umgang mit demselben als verpestend, als die schwerste Sünde geschildert, von der nicht absolvirt werden könne.

Dieser edle Mann duldete seitdem vierzehn Jahre lang die ganze Härte solchen Kirchenbannes; an keinem katholischen Orte duldete ihn der hartherzige Bischof; er mußte nach Ortenburg, dem einzigen protestantischen Orte Niederbaierns, flüchten, um den bittersten Verfolgungen und Mißhandlungen seiner eigenen Glaubensbrüder zu entgehen, und hält sich auch zur Zeit noch an diesem Orte auf.

Thomas Braun wurde von keinem seiner bairischen Collegen, sondern nur von einigen katholischen Geistlichen im fernen Holland bisher kümmerlich unterstützt; wie er mir aber am 27. November v. J. schrieb, ist nun auch diese Unterhaltsquelle versiecht, und der nun sechsundfünfzigjährige, auch körperlich geschwächte Mann ist dem Hungertode unrettbar preisgegeben, wenn nicht bald eine genügende Unterstützung erfolgt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_071.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)