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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 5.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Pulver und Gold.
Den Mittheilungen eines Officiers nacherzählt von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Friedrich hatte sich längst mit den gebrauchten Sachen entfernt und konnte nicht von mir zum Zeugen aufgerufen werden, daß Blanche sich irre; der Abbé hatte mit ihm das Zimmer verlassen, um mir, wie er sagte, zu essen bringen zu lassen; wir waren allein.

„Ich ging, weil es meine Pflicht war, nicht über Nacht von meinem Posten zu bleiben,“ sagte ich. „Blos und allein deshalb!“

„In der That?“ rief sie mit besonderer Lebhaftigkeit aus. „Ist das wahr!“

„Gewiß – können Sie daran zweifeln?“

„Ich zweifle immer daran, daß ein Mann sich aus bloßem Pflichtgefühl eine große Anstrengung zumuthet, während er soviel Gründe oder Vorwände hat, sich die Nothwendigkeit derselben wegzuleugnen!“

„Sie haben keine große Achtung vor männlichem Pflichtgefühl!“ bemerkte ich.

„Nein!“ sagte sie trocken.

„Und doch war es blos das, was mich gestern Abend veranlaßte, mich loszureißen aus einer Situation, die – glauben Sie es mir – einen sehr großen Zauber für mich hatte; was mich verzichten ließ auf das Vergnügen, heute an Ihrer Seite heimzufahren …“

„So danke ich Ihnen,“ sagte sie lebhaft und mir wie unwillkürlich die Hand hinstreckend … „ich danke Ihnen, und will Ihnen obendrein noch gestehen, daß es mich freut …“

Sie stockte mit einem leichten Erröthen.

„Freut? Was?“

„Daß Sie fester gewesen sind, als ich gestern, wo ich Sie sehr nachgiebig fand, glaubte!“

„Aber, wenn ich Sie nun auch noch von aller und jeder Schuld an meinem Unfall freispreche, fällt auch für Sie die Pflicht fort, sich meiner Pflege anzunehmen und die barmherzige Schwester bei mir zu spielen.“

„Sie scheinen darauf auszugehen, mir dies schwer zu machen!“

„Nein, gewiß nicht! Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie glücklich es mich machen würde, wenn Sie bei mir – über die Pflicht hinaus – blieben …“

„Ah,“ fiel sie, wie um meine Versicherungen über diesen Punkt rasch abzuschneiden, lächelnd ein, „wir Frauen vermögen allerdings noch mehr, als was Pflicht ist, zu thun; aber es ist sehr viel verlangt, daß ich Ihnen einen Beweis davon geben soll.“

„Sie haben Recht, der Fremde, der ‚Feind‘, verdient das nicht um Sie. Wie müßte der Mann sein, um den Sie so viel thun könnten, etwas Schweres, etwas Außergewöhnliches, weit über die gewöhnliche Christenpflicht Hinausgehendes …“

„Er müßte ein außergewöhnlicher Mann sein, ein Charakter, der seine Leidenschaften zu besiegen und zu beherrschen verstände.“

„Doch mit Ausnahme der Leidenschaft für Sie!“ sagte ich.

Sie sah mich an, wie um den leisen Ton von Spott zu bestrafen, mit dem ich gesprochen.

„Nein,“ antwortete sie scharf, „er müßte auch die Leidenschaft für mich mit unerschütterlicher Kraft zu beherrschen und zu unterdrücken wissen, wenn die Vernunft oder die Pflicht es von ihm verlangten.“

„So weiß ich doch, auf was ich meine Wünsche richten muß – auf die Gelegenheit, vor Ihnen erscheinen zu können als solch eine Art Hercules, der die Lernäische Schlange seiner Leidenschaft, als eine Art Thierbändiger, der die Tiger seiner bösen Neigungen zu Boden ringt!“

„Ich spreche mehr im Ernst, als Sie zu glauben scheinen!“

„Und in meiner Seele, Blanche, ist ebenfalls mehr Ernst, als meine Worte verrathen mögen!“ sagte ich, ihre Blicke suchend.

Sie sah mich wie betroffen über die vertrauliche Anrede an, wandte dann rasch die Augen zur Seite und sagte:

„Ich muß Ihnen doch den Ueberfall, dessen Opfer Sie wurden, erklären. Ich vernahm Alles bereits in der ersten Morgenfrühe von dem Pächter in Colomier. In dem Weiler, durch welchen wir fuhren, hatte Ihre Erscheinung ein großes Aufsehen, eine bedeutende Aufregung hervorgerufen; man hatte sich am Abend in der Schenke zusammengefunden; dort hatten sich die Köpfe erhitzt, unter dem Einflusse unseres feurigen Landweins war man in eine Erregung gerathen, in welcher die Worte und Reden nicht mehr genügten, sondern sich durch irgend eine That austoben mußten – und die That, welche man beschloß, war eine allgemeine Bewaffnung und ein Recognoscirungsmarsch auf Colomier gewesen, um zu erfahren, was aus den Herren Preußen, die nicht von dort zurückkehrten, geworden, was sie dort begännen und ob sie nicht etwa mich oder den Abbé, die sich zu ihrer Begleitung hergegeben, erwürgt oder von dannen geführt. Ein Haufe von ein Dutzend oder mehr Burschen setzte sich also in Bewegung und trabte mit den Waffen, die man an einen Theil der Bevölkerung vertheilt hat, durch den dunkelnden Abend gen Colomier. Etwa zehn Minuten vor unserm Gute stießen sie auf unsern Pächter, der eben heimkehrte; dieser hatte Mühe, ihren kriegerischen Eifer zu dämpfen und ihnen deutlich zu machen, daß die preußischen Soldaten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_073.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)