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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Nun, beim Himmel, so sein Sie menschlich gegen sich und mich – lassen Sie dies entsetzliche Gold, wo es ist; denken Sie, es sei ein böser Traum Ihres Wundfiebers, dies Alles! Gehen Sie zurück und schlafen den Traum aus, während ich dies dämonische Gold mit all’ der Qual, die es mir gemacht hat, fortschaffe, durch’s Fenster werfe … und dann ist ja Alles gut!“

„Was wollten Sie thun?“ fragte ich.

„Das, was ich heute, als ich bei Ihnen war, versprach. Dies Geheimniß, welches zwischen uns stand und uns Beide so peinigte, beseitigen. Die Fässer lassen sich nicht durch die Fensterstangen dort zwängen; darum wollte ich die einzelnen Pakete hinauswerfen … unten stehen Etienne und der Gärtner, sie aufzufangen und fortzuschaffen. Nun wissen Sie Alles, und nun entscheiden Sie … über Tod oder Leben! Sind Sie hart, so sind wir getrennt auf ewig und ich bin – eine Bettlerin!“

„Sie sind entsetzlich, Blanche, mit dieser Versuchung … was nützt es Ihnen, mir so das Herz zu zerreißen … ist es so, wie Sie sagen, ist es wirklich so, so können Sie mich dahin bringen, nachdem ich meine Pflicht gethan, meinen Revolver zu nehmen und mir eine Kugel durch’s Herz zu jagen … das ist Alles. Dies Geld hier, französisches Staatsgut, die Kriegscasse irgend eines Corps, gehört meinem Kriegsherrn!“

Ich konnte nichts hinzusetzen, abgezogen durch den Lärm, den ich schon seit einiger Zeit vernommen und der jetzt immer stärker und heftiger wurde. Es schallte durch das Vorgemach, in welchem Friedrich schlief, herüber, ein Klopfen, Rufen und Thürenrütteln, anfangs sacht, dann stürmischer. Der Grund war leicht zu erklären. Wenn der Abbé und der Gärtner draußen unter dem Fenster gestanden, so mußten sie den Stimmenwechsel zwischen Blanche und mir vernommen haben – erschrocken darüber waren sie herbeigeeilt, Blanche zu Hülfe zu kommen; der nächste Weg war der durch eine Thür, welche vom Corridor durch Friedrich’s Zimmer führte … diesen Weg mußte auch Blanche gekommen sein und sie mußte die Thür hinter sich verriegelt haben. Ich hatte anfangs des Lärms nicht geachtet, in der Voraussetzung, daß Friedrich, den ich ja angerufen, aufgesprungen sei, und daß er jeden nächsten Augenblick die Verhandlung mit Denen, die so stürmisch Einlaß verlangten, übernehmen werde. Aber Friedrich gab kein Lebenszeichen von sich; aufhorchend vernahm ich sein fortwährendes Schnarchen; ich griff deshalb rasch zum besten Auskunftsmittel, um mir Beistand gegen einen Ueberfall herbeizurufen – ich ging, nahm meinen Revolver und feuerte zwei der Schüsse durch das offenstehende Fenster ab.

Blanche schlug dabei mit einem leisen Schrei ihre Hände vor’s Gesicht – sie sah ihre letzte Hoffnung, den Schatz zu retten, geschwunden – sie ging wankenden Schritts, ohne mich auch nur anzublicken, davon … durch Friedrich’s Zimmer zu der Thür, die in diesem Augenblicke mit splitterndem Krachen aufgesprengt wurde, rief den hereinstürzenden zwei Männern einige hastige Worte zu und war verschwunden in der Dunkelheit des Corridors.

Der Abbé und der Gärtner standen vor mir, Beide offenbar nicht wissend, was zu beginnen; der Gärtner trug eine Doppelflinte in der Hand – er hätte, wenn er seinem Instinct hätte folgen können, sie sicherlich auf mich abgefeuert – aber ein Rest von Besinnung, vielleicht auch ein Befehl Blanche’s, mochte ihn zurückhalten. Auch war der Abbé vor ihn getreten und schrie mir auf französisch entgegen:

„Herr, Sie sind ein Ehrenmann – Sie sind kein Räuber – Sie rauben das Geld nicht – Sie –“

„Herr Abbé,“ sagte ich, ihn an der Schulter zurückschiebend, „es thut mir leid, daß ich Ihnen als solcher Räuber erscheinen muß. Ziehen Sie sich zurück … meine Leute werden gleich hier sein – Sie können hier nichts mehr hindern, nichts retten, nichts ungeschehen machen!“

Mit einem furchtbaren, wie eine Kinderklapper rasselnden Seufzer erhob sich in diesem Augenblicke Friedrich; das Einbrechen der Thür schien doch über sein merkwürdig energisches Ruhebedürfniß den Sieg davon getragen zu haben. Mit einem tiefen Aufathmen fuhr er empor, setzte sich aufrecht und starrte die Scene, auf welche seine weit aufgerissenen Blicke fielen, an.

Der Abbé warf mir in großer Heftigkeit eine Antwort entgegen; Ausrufe und Flüche des Gärtners mischten sich darin – ich verstand den Abbé, der in seiner Erregung nur noch Französisch sprach, ebensowenig wie den Gärtner; sie mischten viel zu heftig und schnell dazu, doch gewann Friedrich währenddeß Zeit, aufzuspringen, zu seinem Carabiner zu greifen und schlaftrunken an meine Seite zu taumeln.

„Sie sehen,“ nahm ich wieder das Wort, „Sie können nichts mehr retten, Herr Abbé – wollten Sie einen Kampf mit uns Beiden wagen, Sie würden nichts erreichen, und meine Leute würden kommen und Sie überwältigen, wenn wir Zwei es nicht vermöchten. Gehen wir friedlich auseinander. Beugen Sie sich unter das Unvermeidliche, für Sie nicht mehr zu Aendernde, wie ich mich unter das Gebot meiner Pflicht beuge. Glauben Sie, es sei mir weniger schmerzlich und schwer?“

Er murmelte etwas, beide geballten Hände erhoben; dann wandte er sich, wie um aufzuhorchen … in der That wurden draußen auf dem Hausflur Schritte und klirrende Sporen laut. Einer der Ulanen, der vor den anderen bei der Hand war, kam hereingestürmt und rüttelte drüben an meiner verschlossenen Thür; Friedrich lief in mein Zimmer, ihm dort zu öffnen. Der Abbé und der Gärtner verschwanden unterdeß in der Dunkelheit des Corridors. Ich nahm nun die Lampe, um meinen, Einer nach dem Andern, herbeieilenden Leuten zu leuchten; bald aber war ein halbes Dutzend zur Stelle, unter ihnen Glauroth, mit ihren Fragen mich bestürmend; es war eine merkwürdige Gruppe, diese halbbekleideten Leute, Carabiner, entblößte Säbel in der Hand und – so mich, der, die Lampe in der erhobenen Rechten, mitten zwischen ihnen stand, anstarrend und umdrängend.

„Wo ist der Feind?“ rief Glauroth aus … „was ist geschehen? Auf wen haben Sie geschossen? Wahrhaftig, Sie sehen aus wie Wallenstein zu Eger in der Mitte seiner Mörder … blaß, gesträubten Haares, von blanken Schwertern umringt …“

„Ich will Euch den Feind zeigen, Cameraden,“ sagte ich – „es ist jedoch kein Feind von Fleisch und Blut – es handelt sich nur um den bekannten bösen Feind des Menschengeschlechts, der die Seele verdirbt, den ‚ungerechten Mammon‘!“

Ich wandte mich und ließ sie folgen. Als sie in den Raum, in den ich sie führte, gekommen, war das Erstaunen und der Jubel groß. Die Schwere der Fässer wurde geprüft, die einzelnen Geldpakete betrachtet, die Deckel der Fäßchen beleuchtet und die Aufschriften studirt; dazwischen wurde ich mit Fragen bestürmt; Glauroth berechnete mit großer Schnelligkeit die ganze Summe, und ein allgemeines Hurrah folgte seiner Erklärung, daß, wenn die auf die Fässer geschriebenen einzelnen Beträge richtig seien, das Ganze sich auf hundertfünfundneunzigtausend Franken belaufe! Ich sorgte dafür, daß Friedrich aus meinem Zimmer ein Blatt Papier bringe, auf das wir die Anzahl der Tönnchen und die einzelnen Summen schrieben; dies summarische Protokoll wurde von mir, Glauroth und zwei anderen Ulanen unterzeichnet; dann faltete ich das Blatt zusammen und gab es Glauroth.

„Sie müssen aufsitzen, Glauroth,“ sagte ich, „und sofort nach Noroy reiten, um dem Commandanten unsern Fund zu melden. Nehmen Sie einen Mann zum Begleiter mit. Der Major wird Ihnen Leute mitgeben, um den Schatz einzuholen; machen Sie ihn aufmerksam darauf, daß es ohne einen Wagen nicht gehen wird. Eilen Sie! Reden Sie nicht von meiner Verwundung! Hören Sie?“

Glauroth war durch den Fund viel zu erregt, um mit mehr als halbem Ohre zu hören.

„Ich werde ihn aufmerksam darauf machen, daß wir Alle mindestens das eiserne Kreuz verdienen für die Gefangennahme eines solchen Feindes,“ rief er.

Zwei von den Anderen stellte ich als Posten auf, den Einen im Hofe, den Andern in dem Corridor des Hauses; und dann war alles Nöthige gethan; Glauroth ging, sich zu seinem Ritt anzuschicken; die Uebrigen suchten ihr Lager wieder auf, und ich hieß Friedrich das Gleiche thun, um es dann ebenso zu machen, nachdem ich die Thür zu dem Geldzimmer abgeschlossen.

„Wie war es möglich,“ sagte ich dabei zu Friedrich, „daß Du so fest schliefst, ärger als ein Bär im Winterschlaf? Ich glaubte, Du seiest mindestens todt!“

„Ja – ich muß fest geschlafen haben,“ antwortete er, „und es liegt mir schwer in den Gliedern; ich glaube, ich brauche mich nur hinzulegen, und ich schlafe sofort wieder ein.“

„Du fühltest schon, ehe Du Dich legtest diese Schlafsucht?“

„Ganz merkwürdig, Herr Vice-Wachtmeister,“ sagte Friedrich; „just, als ob mir Einer einen Schlaftrunk in den Abendschoppen gegossen hätte …“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_091.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)