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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Anfragen und Aufträge dem Redacteur seine kostbare Zeit oft in unverantwortlichster Weise zu verkürzen, und ihn so um theures geistiges und wirthschaftliches Gut zu prellen. Daß man mit den Elementen der Logik und der Statistik nicht mehr auf gespanntem Fuße stehen dürfe, wenn man mit seinen Geistesproducten vor die Oeffentlichkeit treten und dieselben in zehn- oder zwanzigtausend Exemplaren gedruckt sehen will, und daß man mit Quartaneraufsätzen einem Redacteur eine Augenqual und Schulmeisterarbeit zumuthet, die man von einem für höhere Interessen in strenger Dienstpflicht stehenden Manne nicht beanspruchen darf, das Alles fällt solchen zudringlichen Cameraden kaum ein. In Kriegszeiten sind namentlich die Reimschmiede eine furchtbare Plage jeder Redaction: ohne meist auch nur eine Ahnung von echter Poesie zu besitzen, überschütten diese Quälgeister beiderlei Geschlechts die Zeitungen mit ihrer frech drauf los gereimten Prosa, nicht selten mit der Zumuthung, das Zeug zu lesen und aufzunehmen, noch die weitere von Honorargewährung verbindend, so daß man also einen Verlust an Zeit, Geld und gutem Ruf tragen müßte, wenn man den unnützen Verskünstlern zu Willen wäre.

Von dergleichen Allotrien zum eigentlichen Zeitungsstoffe zurückkehrend, wenden wir uns jetzt demjenigen zu, welcher vor Allem die sorgsamste und strengste Behandlung verlangt, und doppelt gebieterisch in Kriegszeiten: dies sind die telegraphischen Depeschen. Bei ihnen muß nicht blos für die correcte Wiedergabe des Textes, sondern auch für die richtige Erfassung der Tragweite ihres Inhaltes eine so strenge Kritik geübt werden, daß oft geradezu jedes Wort, ja das einzelne Laut- und Sinnzeichen auf die Wagschale gelegt werden muß. Eine falsche Ziffer, ein unrichtiges n oder s, wo es Einheit oder Mehrheit, Grund- oder Ordnungszahl gilt, die falsche Bezeichnung der Zahl einer Division oder eines Regimentes, die Verwechselung ähnlich lautender Ortsnamen etc. kann hier Anlaß zu den schlimmsten Mißverständnissen werden, kann Tausenden von Familien Grund zur äußersten Beunruhigung bieten. Die in Telegrammen gebotene Kürze der Fassung gegenüber der Wichtigkeit des Inhalts erfordert die vorsichtigste Ueberlegung bei ihrer dennoch sofort nothwendigen Wiedergabe, Beurtheilung und Erörterung. In wenigen, zur Erläuterung, ja scheinbar nur zur ordentlichen Stilisirung eines Telegramms beigefügten Zusätzen der Redaction ist zuweilen eine ganz respectable Summe publicistischer Arbeit enthalten, die gerade um so größer sein kann, je weniger sie sich äußerlich erkennbar macht.

Man wird vielleicht sagen, daß die meisten der geschilderten Schwierigkeiten und Mühen Analogien in mancherlei gelehrter Thätigkeit finden, und für viele wissenschaftliche Leistungen wird man dies auch gerne zugeben. Nur giebt es eine Seite der publicistischen Thätigkeit, welche derselben wenigstens den freilich nicht beneidenswerthen Vorzug der größten Anstrengung und Anspannung der geistigen Kräfte unbedingt sichern muß, und auch dieser lästige Vorzug tritt in kriegerisch bewegten Zeiten mehr als sonst hervor. Es ist dies die Raschheit, mit welcher der größte Theil der Zeitungsarbeit, die fliegende Eile, mit welcher gerade so manches äußerst Wichtige bewältigt und erledigt werden muß.

Ist diese Nothwendigkeit schon einleuchtend aus der geringen Stundenzahl, welche zwischen dem Empfange der Posten und der Ausgabe der nächsten Zeitungsnummer in der Mitte liegen, so haben in neuester Zeit namentlich die Extrablätter die Sache noch sehr wesentlich verschärft. Dieser Fortschritt unserer modernen Presse läßt keine Redaction mehr mit Sicherheit auf eine ruhige Thätigkeit innerhalb gewohnter Stunden rechnen. Zu allen Tageszeiten und bis spät in den Abend hinein muß der Redacteur darauf gefaßt sein, mit größter Beschleunigung eine außerordentliche Ausgabe der Zeitung herzustellen. Da muß Manches nach flüchtigster Ansicht in Satz und Druck gegeben werden, was doch später auch vor ruhiger Kritik Stand halten soll. Eine Verspätung von wenigen Minuten kann die Benützung eines ganzen Postenlaufes für das Blatt unmöglich machen, und an dem Orte der Ausgabe dem flinkeren Rivalen die vollständige Beherrschung des Terrains sichern.

Unter solchen Hetzereien darf sich ein Redacteur in Kriegszeiten wohl als einen der bestgeplagten Männer betrachten. Ein von der Bedeutung seines Berufes durchdrungener Journalist hat vom frühesten Morgen bis in die späte Nacht mit dringender Arbeit zu thun, und in kriegsbewegten Zeiten wird selbst seine nächtliche Ruhe sehr beeinträchtigt, wenn das aufgeregte Gehirn noch im Traume von telegraphischen Depeschen, von Generalstabskarten und Kriegsbildern verfolgt wird. In solchen Zeiten muß der Journalist auf die Bequemlichkeiten und Genüsse eines bürgerlichen Friedenslebens, auf die Wahrnehmung seiner Privatinteressen, die Schonung seiner Gesundheit, die gewohnte Ordnung seiner Häuslichkeit und Familie zu verzichten wissen. So mancher „Zeitungsschreiber“ hat in solchen Kriegsmonaten ein Leben der Aufregung und Anstrengung geführt, das ihm vielleicht für alle Zukunft eine empfindliche Einbuße an Gesundheit und Kräften verursacht hat. Auch dies sind Kämpfe und Opfer für das Vaterland – um so weniger zu mißachten und zu unterschätzen, als für sie nur höchst selten jene Ehren und Anerkennungen blühen, mit welchen in anderen Berufen oft die geringfügigsten Verdienste sich belohnt sehen!

Ein bezeichnender Contrast im Leben und Wirken des Journalisten hat mich mehr als einmal auf’s Tiefste ergriffen. Bei der Feier unserer großen Siege und Erfolge gegen den wälschen Erbfeind hatte der Journalist so oft Festberichte zu schreiben und drucken zu lassen in jener bekannten Manier: „Die freudige Erregung unserer Stadt über die Siegesbotschaft (von Wörth, Sedan, Straßburg, Metz etc.) fand bei uns ihren begeisterten Ausdruck in einem allgemeinen Festzuge, einer glänzenden Beleuchtung, überaus zahlreich besuchten Versammlungen etc., wo enthusiastische Reden gehalten, jubelnde Hochrufe auf unser treffliches Heer, auf das geliebte Vaterland etc. ausgebracht wurden. Die ganze Bürgerschaft betheiligte sich an diesen patriotischen Kundgebungen“ etc. etc. Und zur selben Stunde, wo Alles jubelnd die glänzenden Straßen durchzieht oder die schäumenden Becher schwingt, sitzt der Journalist, dessen Herz an Gluth für alles Hohe, Edle und Vaterländische hinter keinem zurücksteht, einsam beim Lampenlicht mit erhitztem und müdem Auge über der Revision der von der Presse feuchten Columnen des zum Drucke gehenden Morgenblattes, bis er in mitternächtiger Stunde sein Lager aufsucht, um nach kurzer, oft sehr zweifelhafter Ruhe in aller Frühe wieder auf das Bureau zu eilen und den Kreislauf seiner täglichen Mühen auf’s Neue zu beginnen. Wenn von fernher das Geräusch der Straße, der Festjubel der Tausende seiner Mitbürger, der helle Klang der Musik und Gesänge an sein Ohr tönt, dann ist es ihm wohl schwer, sich eines wehmüthigen, fast bitter ironischen Gefühls zu erwehren. Aber es sind ja Vaterlandslieder und Siegesmärsche, die dort unten ertönen, – und mit freudig gehobenem, wenn auch ernst bewegtem Herzen verzichtet der Zeitungsschreiber auf die persönliche Theilnahme an dem Festjubel und fährt fort, seine Pflicht zu thun im Dienste des Vaterlandes, der Freiheit, der Bildung und der Humanität.

C. Pz.


Meine erste Schleichpatrouille.
Von unserem Feldmaler F. W. Heine.


In jener verzweifelten Stimmung, die aus Langerweile und Lebensüberdruß zusammengesetzt ist und die ich Ihnen in meinem letzten Briefe vielleicht nur allzu ausführlich geschildert habe, schlenderte ich an einem der letzten Decembertage in le Vert galant herum, bereit, meine Seele dem Ersten zu verkaufen, der da kommen und mir nach so vielen reich bewegten Monaten auch zu einem würdigen, wirklich interessanten Jahresschluß verhelfen würde. Zwar, daß sich wichtige Dinge vorbereiteten, die das ganze schläfrige Aussehen der Belagerung mit Einem Schlage in’s Gegentheil zu ändern vermöchten, das konnte ich auch in le Vert galant spüren – schon seit drei Tagen vernahm man das ununterbrochene, dumpfe Rollen des Kanonendonners von der Seite her: die Beschießung des Mont Avron aus sechsundsiebenzig deutschen Geschützen hatte begonnen und, wie man sich in le Vert galant erzählte, mit dem besten Erfolg, denn schon am zweiten Tage sollte das Feuer der deutschen Batterien dem Mont Avron die Lust zur „Gegenrede“ gründlich verleidet haben.

Das waren nun freilich Nachrichten, welche Einem die Langeweile

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_099.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)