Seite:Die Gartenlaube (1871) 102.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


den zu heilen man ihn gewiß nicht hier heraus in’s freie Schneefeld gestellt hatte. Auf uns, die Lauschenden, aber machte es einen äußerst komischen Eindruck, wenn der geplagte Mann von dem heftigsten Hustenanfall gepackt wurde und sich dann, seiner Pflicht als Vorposten wohl bewußt, alle Mühe gab, den verrätherischen Laut zu unterdrücken und zu ersticken. Mein Nachbar konnte kaum der Begierde Herr werden, eine blaue Bohne zu dem hüstelnden Franzosen hinüber zu senden und ihn mit dieser für immer von Katarrh und Rheumatismus zu heilen. Ein paarmal hob er schon das Gewehr zum Anschlag, er zielte, lange und lange, aber immer wieder setzte er ab, im Stillen Verbot und Disciplin verwünschend, die hier beide seinem schönsten Vorsatz so hemmend in den Weg traten.

In der That, die Versuchung war groß, und so mochte es der wackere Soldat als eine Erlösung aus ihr ansehen, als nach zehn Minuten etwa der Befehl zum Rückzug gegeben wurde. Der Zweck des Unternehmens war erreicht: die Franzosen hielten Bondy noch besetzt.

Ebenso still, ebenso lautlos, wie wir gekommen waren, zogen wir durch die Nacht heimwärts; der Mond ging eben völlig unter und die schwarzen Umrisse des Fort Noissy hoben sich nur mehr unbestimmt und verschwommen vom Horizont ab. Bald passirten wir wieder unsere Vorpostenlinie und nun ging es durch das Dunkel des Waldes munter dem „Schlößchen“ zu, dort erwartete uns ein warmes Zimmer, dort erwarteten uns die Freunde, und von der Rothweinbowle war gewiß auch noch ein Glas für uns zurückgestellt. Für die Ruhe der übrigen Nachtstunden standen vortreffliche Matratzen bereit, und doch, das Allerbeste ahnten wir nicht – schon am nächsten Morgen sollten wir mit der Jubelnachricht geweckt werden, daß der gefürchtete Mont Avron nach so wenigen Tagen seiner Beschießung von den Franzosen geräumt und von den Sachsen besetzt worden sei.




Der Sohn einer Künstlerin.
Nach dessen mündlichen Mittheilungen.


Es ist nun gerade ein Jahr, daß auf dem Alten Kirchhofe zu München das von der Meisterhand Zumbusch’s verfertigte Grabdenkmal der größten deutschen Tragödin aufgestellt wurde und daß die Gartenlaube eine gelungene Abbildung davon ihren Lesern brachte. Die wenigen biographischen Zeilen, welche als begleitender Text beigegeben waren, riefen mir eine Begegnung in’s Gedächtniß, die ich schon vor langer Zeit mit dem einzigen, nunmehr auch längst verstorbenen Sohne der Sophie Schröder hatte. Die Einzelnheiten derselben sind mir so treu in der Erinnerung geblieben, daß ich sie um so lieber hier mittheile, als ja wiederholt das Bedauern darüber ausgesprochen worden ist, wie spärlich im Grunde die Quellen über das Privatleben der großen Künstlerin fließen, die kurz vor ihrem Tode ihre Papiere mit eigener Hand vernichtet hat.

Ich befand mich des Curgebrauchs halber im Sommer 1848 zu Wiesbaden und lernte dort mehrere Mitglieder der Reichsversammlung kennen, die von Frankfurt zum Besuche herüberkamen. Unter ihnen befand sich auch der Sohn der Sophie Schröder, der Canonicus Wilhelm Smets aus Aachen, der damals nicht nur in den Rheinlanden als ein höchst talentvoller Dichter beliebt und geschätzt war.

Auch er war Abgeordneter am Reichstage gewesen, hatte jedoch sein Mandat niederlegen müssen, da ein Leberleiben eine anhaltende Cur erforderte. Das kranke unschöne Aeußere des gealterten Mannes vergaß man ganz, sobald er mit dem angenehmsten Organ und in edler Ausdrucksweise sprach; seine Worte bezeugten einen reich begabten Geist und ein tiefes Gefühl, das ihm sehr bald die Herzen der Menschen gewann. Ich hatte das Glück, daß der treffliche Mann sich meistens mit mir unterhielt, vielleicht weil wenig ältere Damen in unserm Kreise waren. Einstmals erwähnte er gelegentlich seiner Mutter. Es überraschte mich, einen Mann, den ich für einen Sechsziger hielt, obschon er damals in der That erst zweiundfünfzig Jahre alt sein mußte, von einer noch lebenden Mutter sprechen zu hören. Als ich darüber mein Erstaunen aussprach, erwiderte er:

„Sie kennen meine Mutter!“

Das begriff ich nun gar nicht, bis er endlich sagte:

„Es ist Sophie Schröder!“

Dazu konnte ich ihm nur Glück wünschen, und mein lebhaftes Interesse an der großen Künstlerin wahrnehmend, begann er, mir als verehrender Sohn, der die Mutter herzlich liebte, aus deren Leben mitzutheilen, was ich nun gern zum allgemeinen Mitwissen wiedergebe.

Der Vater des Canonicus Smets stand schon im jugendlichen Alter wegen seiner ausgezeichneten juristischen Kenntnisse als Criminalrichter am kurkölnischen Gerichtshof zu Bonn. Derselbe hat ein Werk geschrieben: „Die Strafgesetze des achtzehnten Jahrhunderts, philosophisch, juridisch und historisch betrachtet.“ – Ein so tüchtiger Mann er in seinem Fache gewesen sein muß, so geht aus seinem Lebensgange und Verhältnissen dennoch hervor, daß sein Wesen viel Excentrisches, Idealistisches hatte.

Das allein macht es erklärlich, daß er seine ehrenvolle Stellung verließ und eine junge hochgestellte Dame entführte, die bei der strengen Scheidung der Stände in jener Zeit nicht seine Gattin in den dortigen Umgebungen hätte werden können, da sie, einer alten Adelsfamilie angehörend, als Hofdame bei einer deutschen Fürstin stand. Unter angenommenem Namen folgte er mit seiner jungen Frau, die ihm zu Liebe so Vieles geopfert, einem Anerbieten Kotzebue’s nach den Baltischen Provinzen, wo für die größeren Städte Reval, Riga, Pernau u. a. O. ein ambulantes Theater errichtet werden sollte, etwa im Jahre 1791 oder 1792. Hier sollte er nun eine Theatergesellschaft organisiren, deren Director er wurde. Unsere großen deutschen dramatischen Dichter, Goethe, Schiller, Iffland u. A. begeisterten eben damals ganz Deutschland für diese Kunstrichtung; so steckte auch der Director dieser neuen Theatergesellschaft sich ein hohes Ziel, sie sollte etwas Vorzügliches leisten, er wollte eine Musterbühne schaffen. Doch bald sollte der hochstrebende Mann empfindliche Täuschungen erfahren, er verschwendete große Mühe und Fleiß für einen undankbaren Boden, was wiederum Sorge und Verstimmung zur Folge hatte und sein Eheglück und seine Subsistenz um so mehr trübte, als die junge Gattin das rauhere Klima nicht vertrug und nach kaum anderthalbjähriger Ehe starb. So furchtbar dieser Verlust den Schauspieldirector traf und erschütterte, so widmete er sich doch auch nachher mit allem Eifer und Ausdauer seinen Pflichten, die dramatische Kunst nahm ihn ganz in Anspruch, er besaß ein tiefes Verständniß für die höchsten Anforderungen derselben.

Nach ein paar Jahren entdeckte er in einem vierzehnjährigen Mädchen, das von ihm unbeachtet als die Tochter des Theaterdieners Bürger aufgewachsen war und mitunter zu den kleinsten Nebenrollen verwendet wurde, ein echtes Talent für die Bühne. Aeußere Anmuth, ein weiches, klangreiches Organ, graciöse Haltung und Bewegungen fielen angenehm auf bei jedem Auftreten. Er erkannte gewissermaßen die ganze Zukunft, die, noch in der Knospe eingeschlossen, sich zur Prachtblume entwickeln werde bei sorgfältiger Ausbildung. Diese machte er sich nun bei Sophie Bürger zur Aufgabe und wurde selbst ihr Lehrer in den Elementarwissenschaften, da sie damals weder lesen noch schreiben konnte. Als Sophie noch nicht fünfzehn Jahre alt war, verheiratete er sich mit dem von der Natur so reich begabten Mädchen, dessen Geistesanlagen die seltensten und mit einem so guten Gedächtniß vereint waren, daß sie größere Rollen treu auswendig behielt, nachdem er ihr dieselben dreimal vorgelesen hatte. Auch viele andere Dinge erlernte Sophie mit großer Leichtigkeit. Dennoch war und blieb sie vorläufig in mancher Beziehung ein Kind, das, ganz an Ungebundenheit gewöhnt, bis jetzt nur in’s Blaue hinein geschaut und gelebt hatte, daher ihr jeder Ernst und jede feste Ordnung, oder gar Zwang, sehr zuwider sein mußte. Sie nun sollte der Stolz des Gatten werden, und mit großer Strenge mußte die kindlich junge Frau den Lehrstunden obliegen, große Rollen lernen, so daß dies Uebermaß von Studien ihr eine drückende Fessel ward. Nur die Furcht vor dem Zorn ihres Mannes trieb sie zur Erfüllung seiner Gebote, er schloß sie mit einem aufgegebenen Pensum ein, wenn er ausging. Da ist es

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_102.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)