Seite:Die Gartenlaube (1871) 115.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

– die Richtung angenommen, von welcher das Feuer seitwärts kam – eingeschlagen. Eine Minute wohl kam kein zweiter Schuß, und mit lauten Schlägen, bei denen die kurzen Vierundzwanzigpfünder besonders eine nervenerschütternde Stimme haben, antworteten unsere Bulldoggen.

Wir waren etwa vierzig Schritt im offenen Walde hin einer hohen Mauer zugegangen und blieben dort stehen, um eine französische Granate zu betrachten, die gestern hier in den weichen Thonboden eingeschlagen, nicht crepirt war, und nun noch, bis zum vierten Theil etwa, aus dem Boden oder vielmehr aus dem aufgerissenen Loch hervorsah, und wandten uns dann langsam ab, um die nächste Batterie zu besuchen.

„Bombe!“ schrie da der Posten wieder, und diesmal, viel rascher als vorher, hörten wir schon fast mit dem Rufe zugleich das Sausen in der Luft und unmittelbar danach den Schlag.

An ein Ausweichen ist dabei natürlich nicht zu denken, denn in nächster Nähe verkürzt sich der Ton so, daß man kaum bestimmen kann, nach welcher Richtung die Granate fliegt, als sie auch schon explodirt und ihre Sprengstücke umherspritzt. So war es hier. Das Geschoß schlug viel näher zum Fort ein, als das vorige und ein paar große Stücken sausten vorbei – so nahe, daß man sehen konnte, wie sie durch die Luft sausten. Der Platz aber, auf dem sie einschlugen, war genau derselbe, auf dem wir kurz vorher zusammengestanden.

Jetzt aber ging das Schießen tüchtig los, und besonders machten einige Bouquets einen vorzüglichen Effect – mit diesem zierlichen Namen belegt man nämlich eine gleichzeitige Salve der Geschütze, also das, was an Bord eines Kriegsschiffs eine Breitseite genannt werden würde. Es waren immer fünf oder sechs Geschosse, die in Zeit von vielleicht 4 Secunden abgefeuert wurden, und dann auch in gleichem Tempo einschlugen. Dort drüben hatten sie auch die großen Marinegeschütze – sogenannte Achtundvierzigpfünder. Eines von diesen schlug, als wir wieder fortgingen, vor uns in den Weg und spritzte über die Straße hinüber. Das eine Stück davon hatte dabei die Größe und auch sonderbarer Weise die Form eines Hemmschuhs.

Ueberhaupt sollen die französischen Granaten lange nicht so gefährlich sein als die deutschen, weil sie gewöhnlich nur in einzelnen großen Stücken auseinander springen, während die unseren in eine Menge kleiner Theile zerplatzen und dadurch einen viel größeren Raum decken und gefährden.

Das war doch wenigstens ein eiserner Gruß aus Paris, und ich fühlte mich von meinem Empfang außerordentlich befriedigt.

Ehe wir die Batterien verließen, besuchten wir noch das mit Erde gedeckte und so viel als möglich schußfest gemachte Lager der dortigen Wacht, und einen pittoreskeren Platz kann es kaum auf der Welt geben. Es war nicht mehr als ein langer, halbgeschlossener und kaum vier Schritt breiter Schuppen, der sich an der einen Batterie hinzog und den die Soldaten im Innern auf das Wunderlichste ausgestattet hatten.

In dem größten Theil desselben lag allerdings Stroh, auf dem die müden Posten ausgestreckt eine kurze Ruhe suchten, um wenn aufs Neue gerufen, wieder frisch bei Kräften zu sein, aber auch andere Bequemlichkeiten waren vorhanden, und zwar nicht von geringerer Art: Ein sehr hübsch überzogenes Sopha nahm den Mittelpunkt ein, oder bildete vielmehr das Centrum des ganzen Ameublements – rechts und links davon standen zwei weich gepolsterte Lehnstühle, in denen behaglich zwei Unterofficiere Platz genommen und ihre kurzen Pfeifen rauchten, links am Eingang stand ein Schreibtisch mit Schreibmaterialien darauf – rechts davon ein kleiner eiserner Ofen, den der benachbarte Wald mitheizte, und neben diesem wieder ein augenblicklich leerer, aber sehr bequemer Fauteuil.

Die Leute hatten sich diese Meubles jedenfalls aus dem nicht fern davon gelegenen Rancy herbei geholt, ihre provisorische Wohnung damit ausstaffirt und befanden sich allem Anschein nach sehr behaglich. Ob eine gerade direct auf das Dach schlagende achtundvierzigpfündige Granate nicht doch am Ende durchgeschlagen wäre, ist schwer zu sagen, aber gegen umherfliegende Splitter boten die theilweisen Wände doch einigermaßen Schutz, und die Soldaten werden zuletzt überhaupt durch die ununterbrochen drohende Gefahr so abgestumpft, daß sie selbst gleichgültig gegen dergleichen kleine Unannehmlichkeiten sind.

Uebrigens fehlt ihnen hier Nichts zu einem guten Leben.

„Früher, ja,“ sagten mir Verschiedene, die ich deshalb frug, „hatten wir wohl manchmal Noth und mußten uns mit geringer Kost behelfen – doch geht das nicht anders im Krieg. Jetzt aber haben wir die Hülle und Fülle und befinden uns vortrefflich.“

Als wir den Heimweg antraten, dauerte die beiderseitige Beschießung fort, und ich hörte auch hier, daß die Franzosen gewöhnlich um halb drei Uhr Nachmittags ihr Feuern beginnen, weil sie die Sonne dann von den Forts aus gegen Rancy im Rücken, und dadurch ein besseres Licht zum Zielen haben. Unseren Batterien ist dagegen, aus denselben Gründen, der Morgen günstiger. – – –

Am Zweiundzwanzigsten hatte ich die Batterien besucht; am Dreiundzwanzigsten erbot sich einer der Herren vom Stabe des Prinzen in liebenswürdigster Weise, mich zu den äußersten Vorposten gegen Bondy zu führen, damit ich auch einmal eine ordentliche Feldwache zu sehen bekäme.

Der ziemlich lange Weg dahin führte den Canal entlang, der hinein in die Vorstadt Villette mündet, und hier bekam ich volle Gelegenheit, die wahrhaft künstlerische äußere Vertheidigungslinie unserer Truppen kennen zu lernen, und dadurch erst bekommt man einen wirklichen Ueberblick über die eigentliche Cernirung von Paris, von der man sich daheim kaum einen deutlichen Begriff machen kann.

Eine Belagerung von Paris wurde sonst, ganz abgesehen von den starken Forts, schon deshalb für unmöglich gehalten, weil die enorme Ausdehnung der Belagerungstruppen, die sich doch den Forts nicht allzusehr nähern durften, eine riesige Armee erfordert hätte – und doch ist es der an das Wunderbare grenzenden Taktik unserer Heerführer gelungen, selbst das für unmöglich Gehaltene durchzuführen.

Der größte Theil des Weges, nach der sogenannten Pondretten- oder Düngerfabrik hinaus, wo die Feldwache liegt, führte an dem Canal hin und war, den jetzigen Stand der Straße in Betracht genommen, leidlich gut, sodaß wir die Pferde wenigstens konnten austraben lassen. Ehe wir diesen aber erreichten, passirten wir die erste, oder vielmehr die letzte Vertheidigungslinie, die ich auf den ersten Blick für eine weite Fläche hielt – und doch hatte hier noch vor kurzer Zeit ein prachtvoller, mit starken Bäumen bewachsener Park gestanden, der aber der Artillerie geopfert worden.

An den Grenzen der bewachsenen Fläche, die sich nach innen zog, lief hie und da eine Mauer hin – dort waren Verhaue angelegt, da stand ein einzelnes, kleines Haus – dann lief ein Stück Wald rechtwinklig voraus – aber das Alles war zur Vertheidigung eingerichtet, die Frontlinien mit den Flanken deckend, und die Bäume des Parks hatten fallen müssen, um ein Gefechtsfeld zu öffnen und den Geschützen freie Bahn zu geben.

Geschütze waren jetzt freilich dort noch nicht eingegraben, aber die Stellen dazu bereit, und überhaupt Alles so vorbereitet, daß in der kürzesten Frist und bei dem ersten Alarm eines Ausbruchs Alles gerüstet stehen und den Feind empfangen konnte. Jeder Mann wußte genau seinen Posten, wohin er bei der ersten Alarmirung eilte, und wäre der Feind wirklich selbst bis hierher gedrungen, was aber nur mit Forcirung der beiden vorderen Vertheidigungslinien bewerkstelligt werden konnte, so kam er da erst in die schlimmste Klemme.

Und das nicht allein – am Canal hinreitend gelangten wir bald zu einer Stelle, wo unsere Ingenieure den Canal abgegraben und dadurch einen doppelten Zweck erreicht hatten. Erstlich entzogen sie dadurch einem Theil des östlichen Paris das Wasser und dann führten sie dieses in das niedere Land gen Norden, zwischen Rancy und unseren Truppen, sodaß nach dieser Richtung ein Ausfall zur Unmöglichkeit wurde. Aber selbst der trocken gelegte Canal wurde dadurch unpassirbar gemacht, daß man die an seinem Ufer stehende Allee fällte und dieselbe beim Sturz schräg, den Canal entlang, hineinzog. Durch den Schlamm und die Zweige, Aeste und Stämme hätte jetzt nie ein Corps durchdringen können, ohne sich vorher, wie in einem Urwald, mühsam Bahn zu hauen – und auch das würde man ihnen versalzen haben.

Nach etwas mehr als einer halben Stunde scharfen Rittes erreichten wir die Poudretten-Fabrik – auf der Karte unter dem Namen Voicie angegeben. Kleine Häuser standen unmittelbar am Canal und die Soldaten davor, und, wie es schien, unter dem Schutz des größten Gebäudes. Von dort aus wurde uns auch schon zugewinkt, und als wir hielten, rief uns der dort befehlende Hauptmann zu, ein wenig rasch zu reiten, denn sie bekämen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_115.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)