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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Granaten. Allem Anschein nach war ich gerade wieder zur rechten Zeit angekommen.

Wir passirten den erbärmlichen Steg, der über den Canal führte, und stiegen dort ab.

Diese Poudretten-Fabrik ist eine der großartigsten Anstalten in dieser Art, die ich je in meinem Leben gesehen. Hierher wird der größte Theil des Düngers aus ganz Paris geführt und eine große Anzahl von Schlammteichen schrecklichster Art breiten sich da über die ganze Nachbarschaft aus, ebenso stehen ungeheure Haufen des schon fabricirten Stoffes zum Abfahren fertig – werden jetzt aber wohl noch eine Weile stehen bleiben müssen.

Höchst interessant war eine kleine bombenfeste Hütte, welche sich die Mannschaft, um vollständig geschützt zu sein, in einen der größten Composthaufen hineingebaut und dann noch hoch mit dem festen Staub überdeckt hatte. Es war, wie bei Batterie Nr. 1, ein langer derber Schuppen, der aber keine weitere Bequemlichkeit bot, als auf dem Boden dicht aufgeschüttetes Stroh. Durch Stein oder Holz mag nun die Granate, wie diese furchtbaren Achtundvierzigpfünder der französischen Marinegeschütze, durchschlagen aber nie und nimmer durch diese weiche, elastische Masse, die wohl dem Druck nachgibt, aber gerade dadurch, daß sie die Kraft bricht, den mächtigsten Widerstand leistet.

Schon auf dem Wege hierher und längs des Canals fanden wir die ganze Bahn, oft den Canalrand selbst, von Sprenggeschossen aufgewühlt, die tiefe Löcher in den Boden gerissen, Bäume zerschmettert, und einen besonders mit der ganzen zerrissenen Wurzel aus der Erde herausgewühlt hatten – und doch wird man fast gleichgültig gegen die Gefahr und horcht nur aufmerksam empor, wenn das weit gehörte Brausen des häßlichen Geschosses sein Nahen kündet. Wo es eben hinschlägt, muß man abwarten.

Hier hatte die Feldwacht ihren Sammelplatz, der Name Feldwacht begreift aber eben den Vorpostendienst, und die ganze Wacht bleibt jedesmal vierundzwanzig Stunden aus, wo sie dann wieder von einer anderen abgelöst wird. Nachmittags um fünf Uhr etwa zieht die dafür bestimmte Abtheilung aus, um ihren manchmal ziemlich fernen und immerhin gefährlichen Posten einzunehmen, und den andern Abend um sieben oder halb acht Uhr, je nach der Entfernung, kehren sie in ihr Quartier zurück; vier Tage haben sie dann Ruhe.

Dort aber, an der Poudrettenanstalt, war nur das „Hauptquartier“ der Feldwacht, und von hier ab werden erst die eigentlichen Vorposten, in zwei Stationen, ausgeschickt. Die erste von diesen dient als Stützpunkt der zweiten und äußersten, und diese, die abwechselnd von der ganzen Mannschaft bezogen wird, hat den schwersten und gefährlichsten Dienst, denn sie muß den schärfsten Ausguck halten und wird dabei nicht allein zeitweilig von den Granaten der Forts, sondern oft auch von den Chassepots der ihr gegenüber und gar nicht etwa sehr entfernt stehenden französischen Vorpostenlinie beschossen.

In der Poudrettenanstalt hatten sich die Herren übrigens ganz behaglich eingerichtet – die Soldaten in ihrem bombenfesten Local, die Officiere in dem kleinen Hause, das freilich einer einschlagenden Bombe nur wenig Widerstand geboten haben würde. Es war eben, wie der commandirende Hauptmann meinte, nur ein „moralischer“ Schutz, denn hier im Zimmer kümmerte man sich nicht um das, was draußen vorging.

In dem riesigen Composthaufen war oben auch ein Observationsposten für die Schildwache angelegt, und von hier aus hatte man einen vortrefflichen Ueberblick über die Forts, ja man konnte sogar von dem rechts liegenden und deutlich sichtbaren Fort St. Denis die Gebäude und etwas nach links die äußersten Thürme der nördlichen Vorstadt von Paris, Chapelle, unterscheiden.

Und dort drüben dicht bei und fast in Büchsenschußnähe lag das bestrittene Bondy, das schon eine ganze Weile von uns beschossen ist, und das Franzosen wie Deutsche versucht haben in Brand zu stecken, um keiner der feindlichen Abtheilungen einen Zufluchtsort zu gewähren. Aber diese französischen Dörfer mit ihren massiven Häusern brennen nur schwer, noch dazu, da die Franzosen vorher schon alles Brennbare, wie Meubles und dergleichen Dinge, ausgeräumt und entweder zerstört oder fortgeschleppt haben. Vergebens sind deshalb eine Anzahl von Brandgeschossen in das überhaupt verlassene Nest von beiden Seiten hineingeworfen worden – das Resultat blieb dasselbe und besetzt konnte es dabei von keinem Theile ordentlich bleiben, da es von unseren wie den französischen Batterien bestrichen wird. Nur ein kleiner Vorposten der Franzosen hat sich noch bis jetzt darin gehalten.

Hinter Bondy lag aber das seiner häufigen Gefechte wegen berühmte Le Bourget, das schon eine solche Menge theuren Blutes gekostet hat, und erobert, genommen und wieder erobert wurde, wie es denn auch jetzt noch die sächsischen Truppen besetzt halten.

Mich drängte es aber noch die äußersten Vorposten zu besuchen, um den Franzosen wenigstens so nahe als irgend möglich zu sein, und dorthin schritten wir jetzt, den Canal entlang, erreichten die erste Station, wo aber nicht viel zu sehen war, und gelangten jetzt zu dem äußersten von uns festgehaltenen Punkt, von wo aus man schon dort drüben in den im Felde liegenden Gebäuden ein paar wachestehende Franzosen erkennen konnte. Beide Theile mochten kaum mehr als achthundert oder tausend Schritt von einander entfernt stehen.

Drinnen in dem kleinen massiv gebauten Häuschen saßen die wenigen Soldaten und draußen hinter einer Art Barricade von flach aneinandergelegten Planken lehnte der Mann auf Wache und schaute still und aufmerksam durch eine Schießscharte hinaus in’s Weite, um bei irgend einer verdächtigen Bewegung des Feindes sogleich den Alarm zu geben.

Es ist ein mühseliger Dienst – stundenlang lehnt der Mann da auf Wacht, und verwendet keinen Blick von dem vor ihm liegenden Terrain, ja, hat sein Gewehr ununterbrochen schußfertig zur Hand. Es kann den Burschen da drüben jeden Augenblick einfallen, ihre Chassepots auf ihn abzubrennen, und allzu vollkommen schützt ihn die luftige Plankendeckung nicht, aber er darf nicht weichen, denn oft schon sind solche kleine Detachements von dem listigen Feind aufgehoben worden und seine Unaufmerksamkeit könnte das Verderben aller seiner übrigen Cameraden hier draußen zur Folge haben. Der Mann sah müde und erschöpft aus, aber er rührte sich kaum, als wir zu ihm traten, und wandte auch, während der höhere Officier mit ihm sprach, nur selten den Blick von draußen ab.

Der Platz war mir unheimlich. In den Batterien hatte ich mich wohl gefühlt – da war Leben und Action und wenn auch ein paar Granaten herumspritzten, so wußte man doch, daß sie der Feind aus seinen Donnerschlünden herüberschickte, und sie kamen wahrhaftig nicht heimlich angeflogen. Hier aber war Alles todtenstill – kein Laut wurde gehört – selbst die Schildwache sprach nur leise, als ob sie fürchtete, ihren Standpunkt zu verrathen.

Wir hatten hier genug gesehen – dort drüben lagen die Franzosen in dem kleinen Haus.

„Die könnten wir einmal aufheben,“ meinte mein Begleiter.

„Wenn sie sich mausig machen, ja,“ erwiderte der Soldat, „bis jetzt halten sie aber Frieden.“

„Und dort drüben?“

„Da lagen auch welche, die haben wir aber schon ausgeräuchert.“

Dieser Plankenzaun bildete gegenwärtig die westliche Grenze zwischen Deutschland und Frankreich, und dort hinter jenen niedrigen Hügeln lag die Hauptstadt des in den Staub geworfenen Reiches.

Kein Schuß fiel hier in der Nähe, nur von drüben feuerte Boissière auf Rancy hinüber, und bekam auch jedes Mal rasche Antwort. Ich war froh, als wir den öden Platz endlich verließen und zu Menschen zurückkehrten.




In den Batterien vor Paris.
Von unserem Feldmaler F. W. Heine.

Es war ein abscheulich kalter Wintertag, an welchem ich mich aufmachte, den Schanzenbau einer jener Vierundzwanzigpfünder-Batterien zu besuchen welche seiner Zeit gegenüber Paris auf den Höhen von Montmorency errichtet wurden, und mich durch eigene Anschauung zu überzeugen welche ungeheuren Schwierigkeiten die Herstellung der Schanzen mitten in einem so strengen Winter bot. Man hatte lange nach den geeigneten Punkten gesucht. Nachdem unsere Vorposten bereits bis nach Villeta neuse vorgeschoben worden waren, hatte es sich als nothwendig herausgestellt, in der Nähe, kaum viertausend Schritte von den Forts double couronne und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_116.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)