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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


der jungen Sprossen. Hier und da aber streckte sich ein schlanker Kirschbaum, über und über mit weißen Blüthen bedeckt, empor, daß er aussah wie ein großer Blumenstrauß, der an eine Stange gebunden worden, damit er weiterhin sichtbar sei und verkünden sollte, daß sie wirklich wieder gekommen, die Zeit des Keimens und Blühens. Rings nach allen Seiten hin drängten sich die Berge heran mit den Wäldern am Fuße, den Felsen am Gürtel und der Eiskrone auf den Häuptern; wohl starrten die weißen riesigen Massen noch weithin in furchtbarer Unbeweglichkeit, aber hier und da hing es doch schon wie gelöstes Silberhaar in abrollenden mächtigen Streifen herunter oder Blöcke lagen in dem Dunkelgrün der Wälder wie Splitter eines zersprungenen Krystalls. Zur Linken zog sich der Bergstock hin, welcher gegen die Ebene hinaus in der Benedictenwand abstürzt, ein majestätischer, ununterbrochener Felsgrat, in wunderlichen Zacken fortlaufend von der Rabenklamm bis zum Latschenkopf und Waxenstein, zu welchen die bewaldeten Vorberge und Thalhügel allmählich wie gewaltige Stufen emporstiegen; rechts erhob sich der Bergrücken, welcher das Flußbett der Jachen von dem der Isar scheidet und sich so hoch emporstreckt, als wollte er die höheren, aber entfernteren Häupter und Schrofen der angrenzenden Tiroler Berge verhindern, durch die Lücken in Wald und Fels neugierig herüberzulugen – über Allem lag blau und klar der Morgenhimmel, und die Frühlingssonne goß ihre Strahlen so mild hernieder, daß am Bienenstande an der Seitenwand des Hauses die Bienen aus den Fluglöchern hervorkamen und die lange nicht gebrauchten Flügel zur Wanderung einzuüben begannen, während am Dachgebälke über ihnen zwitschernde Schwalben so hastig ein- und ausschossen, als könnten sie den Zeitpunkt nicht erwarten, wann das Nest fertig sein werde.

Geraume Zeit hatte der Bauer in Sinnen und Schauen so gestanden und zuletzt wie andächtig die Hände ineinander gelegt. Es kam ihm vor, als stünde er an der Schwelle eines großen Tempels und warte des Augenblicks, in welchem ein wundervoller, geheimnißreicher Gottesdienst beginnen sollte. Feierliche Glockentöne, welche auf den Flügeln der Morgenluft heranschwebten, weckten ihn aus seiner Beschaulichkeit, aber nur um die alte Stimmung und den alten Unmuth wieder hervorzurufen. „Nein, jetzt ist’s aber nimmer zum Aushalten,“ murrte er, „wie lang’ die Weiberleut’ brauchen – jetzt nutzt nichts mehr, jetzt muß ich schon mit einem Donnerwetter dazwischenfahren.“

Mit weit ausgeholten Schritten eilte er zur Thür, kam aber nur bis in die Mitte der Stube, denn mit einem Male flog die Thür auf, daß sie krachend an der Wand anschlug, und im vollen Sonntagsstaate, dem nur noch der Hut fehlte, kam eine alte Frau fliegenden Athems und mit hochgeröthetem Gesichte herein, während von draußen Klirren und Getöse hörbar wurde, als würden Töpfe auf das Pflaster geschleudert, und eine Thür flog dröhnend in’s Schloß, daß die Balken des Hauses schütterten.

„Kreuz Birnbaum und Hollerstauden!“ rief der Alte wieder. „Wie geht’s denn heut’ auf dem Kurzenhof zu? Das ist ja ein Lärm wie bei einer Hexenfahrt.“

„Was wird’s geben?“ erwiderte die Frau, indem sie sich auf die Ofenbank niederfallen ließ, als wenn sie nicht mehr zu stehen vermöchte. „Geärgert hab’ ich mich wieder einmal, daß mich die Füße nicht mehr tragen. Hast schon Recht, daß es zugeht wie bei einer Hexenfahrt, ist aber kein Wunder, wenn man die Hex’ im Haus hat.“

Dem Bauer war das nichts Neues; er fragte nicht weiter, sondern wußte sogleich Bescheid. Die beiden Daumen in den über seiner Brust gekreuzten Hosenträger steckend, ließ er die Finger auf der Stickerei spielen, die mit Pfaufederstiften darauf angebracht war. „So, so,“ sagte er, „die Stasi? Was hat denn das Deandl nachher schon wieder, daß sie nit amal am heiligen Ostertag eine Ruh’ giebt?“

„Ja, was fragt die nach Ostern!“ war die Antwort. „Es ist ein alter und wahrer Spruch: ,Je heiliger die Zeit, je schlimmer die Leut!‘ Was wird sie haben? Die Weih’ will sie nit hinuntertragen in die Kirch’, weil sich das nit für die Tochter vom Haus gehört, weil das eine Arbeit sein soll, die einer Dirn’ zugehört oder einer Bauernmagd.“

„Ah, wär’ ja doch aus!“ rief der Bauer verwundert. „Und wegen so was schlagt sie einen solchen Spectakel auf? Ist denn das Dirndl völlig des Teufels mit seinem Hochmuth?“

„Ach was, der Hochmuth ist es nit bei ihr; es ist nur ihr böser Humor! Sie thut’s nur mir zum Trotz und Widerspruch, weil ich gesagt hab’, sie soll die Weih’ ’nuntertrag’n in die Kirch’, und wenn ich gesagt hätt’, jemand Anderer sollt’s thun, dann wär’ihr das auch nit recht gewesen. Sie muß amal ’was zum Dispetir’n haben! Na, dem Mann gratulir’ ich, der die einmal zur Frau kriegt; der hat’s auch im Mutterleib schon verschuld’t! Aber ich hab’ Dir’s oft gesagt, Lipp-Bruder, hab’ ich gesagt, leid’ ihr den schiechen Humor nit und thu’ dazu, solang das Bäumel noch zum Biegen ist. Aber Du hast ja nie ’was davon hören wollen; das Dirndl ist Dir an’s Herz gewachsen und hast von jeher in sie hineingeschaut wie in einen Spiegel – jetzt hast es; jetzt ist es zu spät dazu.“

„Zu spät?“ rief der Bauer, indem er sich in seiner ganzen Länge aufrichtete. „Ha, was nit gar! Dazu ist’s niemals zu spät, und was sich nimmer biegen will, das kann man brechen.“

„Darauf bin ich neugierig,“ sagte die Frau mit Achselzucken, „wie Du das anstellen willst, Lipp. Mit einem guten Wort wickelt sie Dich wieder um den Finger, und Du hast schon gar keine Zeit mehr dazu. Da unten fangen sie schon mit dem Zusammenläuten an, wir brauchen allemal ein halbes Stündl hinunter in’s Dorf, und besonders heut’, wo die Leut’ aus der ganzen Gegend kommen, sollten wir vor Allen da sein, sonst können wir gar nit mehr in die Kirch’ hinein.“

„Richtig,“ rief der Bauer. „Auf das hätt’ ich bald vergessen. Wie ist’s denn mit dem Osterbock? Der wird doch in Ordnung sein?“

„Da brauchst nit zu fragen,“ erwiderte die Bäuerin mit überlegenem Selbstgefühl. „Den Osterbock hab’ ich besorgt, und wenn ich mich um ’was annehm’, nachher weißt Du, daß es besorgt ist. Heuer ist der Osterbock bei uns, und ich hab’ es schon gerichtet, daß er dem Kurzenhof am Berg kein’ Schand’ macht! Draußen ist er auf dem Wägel; Du kannst nix Schöneres sehen, aber die anderen Sachen alle, die man an einem solchen Tag in einem christlichen Haus weihen laßt, damit bei der Gottesgab’ auch der Segen Gottes bleibt das ganze Jahr, das Geselchte und die rothen Eier und das Milchbrod, sie liegen in der Küch’ auf dem Boden herum, denn die Stasi hat die Schüssel auf den Herd hineingestoßen, daß sie in Trümmer gegangen und Alles nur so herumgekugelt ist. Ich bin fort, daß ich’s nit mehr mit hab’ anschaun müssen! Jetzt kannst Du Deine Herrlichkeit probiren und sehn, was Du mit dem geschupften Dirndl ausrichten kannst.“

„Das will ich auch,“ sagte der Bauer, indem er den langen grünen Rock mit den gelb ausgenähten Knopflöchern vom Nagel herunternahm und sich den niedrigen grasgrünen Hut mit den breiten Bändern auf den Kopf stülpte. Er kam aber nur mit einem Arm in dem weißen Leinenfutter des widerspenstigen Aermels zurecht und rief in steigendem Unmuth: „No’, will mich der Kittel auch noch ärgern? Ich will jetzt einmal zeigen, wer der Herr im Haus ist, ich will dem grantigen Ding den Kopf zurecht setzen!“

„No’, da bin ich, Vater,“ unterbrach ihn das Mädchen, das während der letzten Reden in der offengebliebenen Thür erschienen und auf der Schwelle stehengeblieben war. „Wenn Du mir mein’ Kopf z’recht setzen willst, was hast denn nachher an mir ausz’setzen?“

Der Bauer, schon durch die unerwartete Unterbrechung überrascht, war es noch mehr durch den Anblick des Mädchens, der ganz dazu angethan schien, daß es schwer war, etwas in Wirklichkeit daran auszusetzen. Das Mädchen war sich dessen wohl bewußt. Wie herausfordernd hatte sie den einen Arm auf die Hüfte gestemmt, während der andere die blendend weiße spitzenbesetzte Schürze halb aufzog, als schicke sie sich an, den bevorstehenden Tadel darin aufzulesen. Dem Alten blieb, wie schon einmal, das Wort im Munde stecken. Mit unverkennbarem Wohlgefallen hing sein Auge an dem lieblichen Gesichte und der ganzen gewinnenden Erscheinung des Mädchens. Stasi war wirklich eine Gestalt, welche als Urbild zu dem bekannten und überall verbreiteten Gemälde dienen konnte, auf welchem ein Jachenauer Mädchen in vollem Staate, auf die gekreuzten Arme gestützt, aus einem mit Reben umwachsenen Fenster schaut, als warte sie des Burschen, der würdig sei, sie zum Tanze zu führen und zum Altar. Stasi trug noch ganz die Tracht der damaligen Zeit, die jetzt nur noch in schwachen Ueberresten vorhanden ist – es mögen nahezu vierzig Jahre sein, seit die Geschichte sich zugetragen hat –, ihr reiches, nußbraunes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_122.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)