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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

festhaltend, mit einem rothen Seidenlappen daran, der das Osterfähnlein bedeuten sollte.

Einen Augenblick hielt Stasi den schon zum Fortschreiten gehobenen Fuß inne; dann stürzte sie gleich einer vorspringenden Katze in aufloderndem Zorne auf die feierlich einherschreitende Trägerin zu und faßte sie am Arme, daß die zierliche Last, die sie trug, abermals in bedenkliches Schwanken gerieth. „Ja was soll denn das heißen?“ rief sie mit kreischender Stimme. „Will etwa gar die Mahm’ selber die Weih’ in die Kirch’ tragen?“

„No’ warum denn etwa nit?“ erwiderte diese. „Die Schüssel hat keine Füß’, daß sie selber hinuntergeh’n könnt’; also muß doch wer sein, der sie ’nuntertragt!“

„Die Magd soll’s thun, hab’ ich gesagt!“ rief Stasi zornig. „Eine von den Dirnen soll’s tragen, und wenn ich’s sag’, so muß es auch geschehn!“

„Aber Kreuz Birnbaum!“ fiel ihr der Vater ins Wort. „Fang’ doch nit schon wieder einen Lärm an wegen nichts und wider nichts! Bei Dir weiß man wirklich niemals, wie man d’ran ist mit Dir. Du bist ja wie das Windfahnl auf’m Dach.“

„So ist’s recht, Vater!“ keifte die Tochter. „Hilf’ noch dazu! Es ist noch nit genug, daß mir die Mahm’ Alles zum Trotz thut, helft nur zusammen, damit Ihr mich unterdrücken könnt! Aber ich lass’ mich nit unterdrücken! Hast Du nit selber gesagt, Vater, daß es immer die Fürnehmste im Haus sein soll, die die Weih’ tragt? Es ist wohl ein dummer Brauch, wenn’s so ist; aber wenn’s einmal keine Magd sein soll, dann kommt’s mir zu; denn die Fürnehmste im Haus – die bin ich!“

Damit hatte sie die Schüssel ergriffen und zog sie mit beiden Händen so heftig an sich, daß die Mahm’ sie ihr überlassen mußte, wenn sie nicht wollte, daß Eier, Brod und Butterlamm abermals mit dem Boden Bekanntschaft machen und für ihren Zweck ganz untauglich werden sollten. Im nächsten Augenblick war Stasi bereits aus der Thür, unbekümmert um die Base, welche die so unvermuthet freigewordenen Hände wortlos über den Kopf zusammenschlug, während der Bauer den seinigen bedenklich schüttelte, sonst aber wie unbeweglich dastand, als wäre er über dem Anblick zu Stein geworden. Die Zunge war es, die zuerst wieder Leben gewann. „Schau, schau,“ sagte er, „so hat sie sich doch noch resolvirt, daß sie die Weih’ tragt – da hätt’ es also den ganzen Streit nit gebraucht! Ich sag’s ja alleweil, die Stasi ist schon recht; es ist schon auszukommen mit ihr, man muß nur verstehn, wie man’s anstellen muß! Aber alterir’ Dich nit, Schwester, und mach’, daß wir nachkommen, und nit gar mit dem Osterbock uns versäumen!“

Vergnügt eilte er aus dem Hause; unwillig folgte die Schwester. „Ich glaub’, er freut sich auch noch, der Lapp,“ rief sie, indem sie die Thür zuschlug und abschloß. „Da heißt’s wohl: Jedem Lappen gefällt seine Kappen – aber meinetwegen! So hart als es mich ankommen thät’, wenn ich von der Heimath weg soll, in der ich geboren und aufgezogen bin – aber wenn das Dirndl nit anders wird, so geh’ ich aus dem Haus.“

Flüchtigen Schrittes und ohne umzublicken, war Stasi inzwischen den Bergabhang hinabgeeilt, an der tiefen Niederung vorüber, welche zur rechten Seite abfällt und sich ansieht, wie das verlassene und übergrünte Becken eines ausgeflossenen Sees. Sie war schon nahe an dem Bühel, wo unter einer anmuthigen Gruppe von Bäumen und allerlei Gebüsch das Kramerhaus sein Kaufmannsschild und das bunt mit Waaren besetzte Ladenfenster zeigt – eine befremdliche Erscheinung in dem einsamen Thale, dessen Bewohner fast alle weit zerstreut in einzelnen Höfen und Sitzen hausen und durch das nur im Sommer die einzelnen Wanderer ziehen, welche die Natur anlockt und die gewaltige Bergeinsamkeit. Gegenüber zieht sich der Weg durch eine kleine Höhlung, an deren Hängen üppige Haselsträuche mit Schlehenstauden um den Vorrang kämpfen; dazwischen hängt der Weinschörl im Sommer seine rothen Dolden neben dem Pfaffenkäpplein auf, der Wildhopfen webt seine Ranken darüber hin, oder die wuchernde Zaunrübe breitet ihren erstickenden Mantel aus, um die buntgefiederten Blüthen darauf ungestört entfalten zu können. Der Weg wendet sich dort um eine Ecke und senkt sich zugleich so rasch, daß ein Fehltritt leicht möglich ist, auch wenn die Geleise desselben minder holprig und die Steine in demselben weniger groß und zahlreich wären. Mit fliegendem Athem und noch immer glühenden Wangen schritt Stasi heran und achtete der Begegnenden nicht, die auf einzelnen Seitenpfaden näher kommend ihr mit Mund und Hand schon aus weiter Ferne vergebliche Grüße zuriefen und zuwinkten; sie achtete auch nicht auf den Weg; denn zum ersten Unmuth war der zweite gekommen, daß die Schüssel in ihren Händen anfing, schwer und unbequem zu werden, und sie sich selbst ausschalt, sich mit einer solchen Bürde beladen zu haben; es fehlte nicht viel, so hätte sie die Schüssel am nächsten besten Platze niedergestellt und unbekümmert ihrem Schicksal überlassen. So kam es, daß sie am Eingange des Hohlwegs auf einen lose liegenden Stein trat, der unter ihrem Schritte zu rollen anfing und sie aus dem Gleichgewichte brachte; der Fall war unvermeidlich, weil sie mit den Händen sich nicht anzuhalten vermochte, in denen sie die Weihschüssel festhielt. Sie wäre sicher hart zu Boden gestürzt und hätte sich vielleicht empfindlich wehe gethan; aber mitten im Taumeln und Schwanken fand sie sich plötzlich unterstützt und von einem kräftigen Arm, der sich von hinten um ihre Hüfte legte, festgehalten, daß sie augenblicklich das Gleichgewicht wieder fand. Verwundert blickte sie um sich und schaute in ein zwar stark gebräuntes, aber männlich schönes Angesicht, auf einen lächelnden Mund, der unter dem Schnurrbart ein Paar blendender Zahnreihen zeigte, und in ein Paar braune Augen, die auf sie so herzlich herniederschauten, daß hinter ihnen die ganze Seele offen dalag.

„Oho, schön’s Dirndl!“ rief der Bursche lachend mit einer Stimme, deren Kraft man es anhörte, daß sie wohl geübt war, während ein gewisser Wohlklang zugleich auf den Gedanken brachte, daß unter den Uebungen auch der Gesang nicht fehlen mochte. „Dösmal bin ich ja gerade recht vom Himmel heruntergefallen, sonst hättest Du ein’ Himmelfahrt gemacht.“

(Fortsetzung folgt.)


In der „Todtenstadt“ von Paris.

Die Friedhöfe von Paris haben in den letzten Monaten eine fürchterliche Ernte gehalten, Gräber um Gräber haben sich in endlosen Reihen aneinander geschlossen und viele hundert Hände waren unermüdlich thätig, die beklagenswerthen Opfer einer jammervollen Zeit in die kalte festgefrorene Erde zu betten. Hunger, Elend, Krankheit, Kälte haben sie zu vielen Tausenden dahingerafft, und während der Feind vor den Wällen der Riesenstadt immer gewaltiger um Einlaß pochte, ging drinnen der Tod in seiner schrecklichsten Gestalt von Haus zu Haus, und die Straßen, welche zu den Kirchhöfen von Paris führen, zum Père Lachaise, Montmartre, Montparnasse und den andern kleineren, wurden nicht leer von Jenen, die, selbst hohlwangig und bleich, auf Augenblicke die eigene Noth vergaßen, um den Heimgegangenen die letzte Ehre zu erweisen.

Viele Besucher von Paris, welche durch die Rue Roquette dem berühmtesten der Pariser Kirchhöfe zugeschritten sind, haben es nicht ohne Tadel hervorgehoben, wie der Franzose selbst mit dem Tode noch Luxus treibt und selbst hier noch eine gewisse Coquetterie zeigt, welche auf die Thränen und den Schmerz der Hinterbliebenen speculirt. Coquett werden alle jene Läden genannt, welche sich zu beiden Seiten der Rue Roquette hinziehen und in ihren Auslagen Grabsteine, Urnen, Kreuze, Gitter, Kränze der verschiedensten Art, von den verschiedensten Formen und den mannigfaltigsten Farben zum Verkaufe bieten. Der Wunsch zu gefallen, dem Auge Schönes zu bieten, tritt selbst hier zu Tage, wo man jede eitle Regung zurückgetreten erwarten sollte, und indem der Verkäufer jener Waaren dem flüchtigen Sinne des Käufers, des Trauernden, des Leidtragenden schmeichelt, wird er selber zum Speculanten, der aus dem Schmerze Anderer Capital zu schlagen sucht. Es ist wohl anzunehmen, daß die Ereignisse der letzten Monate auch hier eine gründliche Aenderung, wenn auch nur vorübergehend, hervorgerufen haben, und den unglücklichen Einwohnern von Paris wird zuletzt nichts übrig geblieben sein, als den Tod wirklich in seinem ganzen Schrecken hinzunehmen und ihm mit seinem ganzen Entsetzen in das unbarmherzige Auge zu sehen.

Kam doch nicht einmal die Natur zu Hülfe, das unsägliche Elend zu mildern und zu verhüllen. Wie herrlich, wie schön breiten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_124.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)