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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl.

Von unserem Berichterstatter Georg Horn.
Elfter Brief. Am Tage von Sanct Hubert.

Es war nach dem Gefecht von Vendome, am 8. Januar, also zwei Tage nach dem blutigen Strauße, bei welchem die Brandenburger wieder „’rangemußt“ hatten und bei welchem General Chanzy eine sehr unangenehme Schlappe erlitten hatte. Denn das Gefecht von Vendome eröffnete uns die Straße vorwärts, immer auf den General Chanzy zu, und die zogen wir nun hin, über uns den Himmel bedeckt und trübe, zur Seite den Wald von Vendome grau und finster wie ein Leichentuch. Und dort drüben ist denn auch manch Einer eingesunken zum letzten Schlaf, nach dem es kein Erwachen giebt, als nur in dem Gedanken der zurückgebliebenen Lieben.

Was man so Alles auf der Landstraße erlebt, halb zum Lachen und halb zum Weinen! und wenn man daheim das Folgende liest, möchte man’s vielleicht kaum für wahr halten.

Wir kamen die Straße nach Le Mans vorwärts an ein Gehöft, das links von der Straße liegt; natürlich war es verlassen. Wenn die französischen Bauern in der Nähe das Schießen hören, dann nehmen sie ihr Bischen Bestes und gehen mit schnellen Schritten landeinwärts – ich glaube, die Deutschen würden es nicht anders machen. An Stelle der Bewohner hatten sich Soldaten vom fünfunddreißigsten Regiment, das in Brandenburg an der Havel in Garnison liegt, dort eingerichtet; einige standen unter der Thür des Hauses, die Lübbener Pfeife im Munde und zu der Uniform die weiße Zipfelmütze der Bauern auf dem Kopfe, die sie in einem geheimen Schranke vielleicht noch vorgefunden hatten; andere Soldaten waren im nebenanliegenden Garten; der eine grub ein Grab, und er hatte dazu eine schöne Stelle ausgesucht, gerade mitten unter einem Apfelbaume, damit dieser es im Frühling mit seinen rosenrothen Blüthen überschütten könne. Da trat ein anderer hinzu.

„Aber dat ist ja viel zu kurz – da geht er doch nich rin; der hat doch seine fünf Fuß acht Zoll im Leben jehabt, und den hat dat Sterben alleene nich kleen jekriegt – et war doch een höllischer Kerl – ick sag’ es Dich, et is zu kleene.“

„Ach wo! Ick hab’ doch noch meine Oogen im Koppe,“ antwortete der Arbeitende und grub weiter.

„Na, wir wollen uns nich darüber erzürnen – dat Beste is, wir nehmen Maß und – dort hinterm Haus liegt er – wir holen ihn her.“

Sprach’s, spuckte sich in die Hände, um besser anfassen zu können, und kam nach ein paar Minuten mit einem zweiten Soldaten, den er sich zu Hülfe genommen hatte, mit dem Todten an. Derselbe, vom fünfunddreißigsten Regiment, hatte einen Schuß in der Brust, die Arme wie gewöhnlich krampfhaft nach den Schultern gezogen und die Augen nach oben weit offen. Es wurde richtig Maß genommen, und der Todtengräber hatte Recht gehabt, das Grab war lang genug; aber er sprach kein Wort darüber, er fuhr in seiner Arbeit auch nicht fort, sondern setzte sich am Fuße des Grabes auf seinen Spaten und schaute ernst und still vor sich hin.

Zu der Gruppe im Garten trat jetzt ein Soldat von der Stabswache des Hauptquartiers; er wollte sich auch den Todten besehen. Aber mit der Regung von Neugier war es bald zu Ende, als er demselben nur kaum in’s Gesicht gesehen hatte, dann kam der Schreck, die Ueberraschung, der Schmerz.

„Herrjott! Det is ja Tetzler!“

„Wat? Du kennst’n?“ frug der eine der Fünfunddreißiger.

„Wie sollt’ ick ihn denn nich kennen? War er doch so und so lange im Regimente mein Nebenmann – sonst ein Klempner – aus Berlin – ein braver – ein schneidiger Kerl – Hansen Tetzler!“

Dann kam ihm so was vom Weinen; aber ein Märker läßt so was nicht gern sehen, und auf einmal wendet er sich nach einem Cameraden, der in der Colonne zurückgeblieben ist, und ruft diesem zu:

„Du – komm’ mal her – Tetzler ist hier.“

„Tetzler? Ach wat! Aber da kann er doch her zu mir kommen.“

„Schafskopp – er ist ja todt!“ – –

Es war zwei Tage später; wir hatten in Bouloire Halt gemacht; der Ort hatte vielleicht fünfzehnhundert Seelen, aber doppelt so viele Soldaten waren darin. Das kam daher, daß wir viel schneller marschirt waren, als die Franzosen retiriren konnten; von den Divisionen des Generals Chanzy, die uns bei Vendome Eines auswischen sollten, stak auch die ganze Umgegend von Bouloire voll, und da war es doch sehr leicht möglich, daß sie das, was sie dort nicht erreicht, hier versuchen konnten. Wäre das ein Fang gewesen, wenn die Rothhosen einmal das Hauptquartier aufgehoben hätten! Zwar an unser Einem wäre dabei so viel nicht gelegen gewesen, aber an dem Kopfe, der Alles regiert! Wie oft haben die französischen Zeitungsschreiber unsern Feldherrn schon „caput“ gehen lassen! Einmal fiel er von einem Schuß durch die Brust getroffen todt vom Pferde, blieb einige Zeit todt und stand plötzlich von den Todten wieder auf, um wahrscheinlich wie der spanische Cid eine Schlacht zu commandiren; ein anderes Mal verlor er, nach einer Marseiller Zeitung, beide Arme; dann müssen diese plötzlich wieder gewachsen sein, denn ein anderes Blatt schrieb einige Tage darauf, daß dem Prinzen-Feldmarschall die Hand zerschmettert worden sei, und eine dritte Zeitung meldete endlich aus Nantes gar, daß dem hohen Herrn durch eine Granate der Kopf abgerissen worden sei – wie ungeschickt! Unser Feldherr kann das Leben verlieren, aber nie den Kopf. Aber so etwas hätte den Franzosen gefallen können, und darum weiß man gegen solche nächtliche Besucher seine Vorsichtsmaßregeln zu treffen, wie eben durch eine starke Besetzung des Ortes Bouloire. An Schlachtenlärm war dieser Tage kein Mangel; am Morgen ging das Kanonenbrummen an und so bis in die sinkende Nacht hinein. Bis Artenay hatten uns die Franzosen kommen lassen, aber dann ging ihnen die Laune und die Geduld aus, und vor Artenay stellten sie sich und sagte zu den Preußen: „Nix weiter!“

In Frankreich streckt unser Herrgott an den Landstraßen nicht weniger seinen Arm heraus als in Deutschland; es giebt dort ebenso viele Wirthshäuser, die einen gehorsamen soliden Ehe- und Jägersmann in Versuchung führen können, und ein solches Haus ist das Wirthshaus „Zum St. Hubert“ an der Straße von Vendome nach Le Mans. Es ist ein ganz anständiger Gebäudecomplex; das Hauptgebäude liegt rechts von der Straße, zwei kleinere Baulichkeiten als Flügel vor demselben und bilden so einen ziemlich geräumigen Hof. Links von der Straße, dem Haupttheile gegenüber sind eine Scheune und ein Schuppen. Daß es ein Wirthshaus ist, steht über der Thür geschrieben und darunter: „Hier servirt man Speise und Trank.“ In Lothringen „giebt“ man, in der Normandie „verkauft“ man Speise und Trank. Die Herberge liegt mitten im Walde, dessen prächtiges Nadelholz mit dichtem Schnee bedeckt ist; hundert Schritte vor dem Wirthshause kreuzt eine quer durch den Wald laufende Straße die schnurgerade ausgehende Chaussee; von dort nimmt dieselbe eine ziemliche Steigung, und etwa tausend Schritte weiter sieht man, daß der Wald ein Ende hat und dahinter die Lichtung beginnt.

Sonst mag es hier recht einsam sein, aber heute kann man vom Kriege hier ein tüchtiges Stückchen erleben.

Auf der schneebedeckten Straße vorwärts, noch über den Kreuzweg hinaus, dann rechts und links in den Wald hinein, so weit man sehen kann, Gespanne, Uniformen und blitzende Bajonnete. Rechts und links ist die Artillerie aufgefahren; an der Achselklappe der Fahrer und der darauf befindlichen Nummer 3 erkennt man, daß es die des dritten Corps ist. Sie wird wohl noch nicht gebraucht werden. Denn das ganze Land ist derart mit Einschnitten, Alleen und Hecken überdeckt, daß die Artillerie weder auffahren, noch zielen, noch visiren kann. Um auf’s Gerathewohl über den nächsten Hügel, der ihr vor der Nase liegt, hinwegzuschießen, dazu haben die Artilleristen ihre kostbaren eisernen Zuckerhüte nicht mitgebracht. Darum abwarten, es wird schon noch kommen.

Währenddem ist rechts im Felde ein höllisches Feuer losgelassen, es kann keine halbe Stunde entfernt sein. Aber hier herum ist Alles ruhig, als ob die da drinnen im Walde nur so zum Schützenfeste wären. Links in einem Knicke sind rothe Husaren abgesessen und wärmen sich an einem großen Feuer; denn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_127.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)