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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Nein.“

„Ich bin der Henker von Chartres.“

Der Cavalier stutzte.

„Ich will Ihnen beweisen,“ ließ der Blutscherge sich vernehmen, „daß ich auch menschlich sein kann. Ich warne Sie. Auf Befehl Laubardemont’s bin ich hierher gekommen, um eine Hinrichtung vorzunehmen. Ich fürchte, mein Herr, Sie sind das Opfer. Hören Sie mich an, denn ich will Sie retten. Bemerken Sie dort jenes Fenster im Schlosse, welches dicht über der Mauer angebracht ist?“

„Ich sehe es.“

„Wohlan, wenn ich nicht für Sie herberufen bin, dann erscheint in Zeit von einer Stunde ein Licht an jenem Fenster; gilt meine Anwesenheit Ihnen, dann bleibt das Fenster dunkel, dann fliehen Sie.“

Er verließ den jungen Mann schnell, der sein Pferd eilig sattelte und erwartungsvoll nach dem bezeichneten Fenster blickte. Er harrte länger als eine volle Stunde; das Fenster blieb dunkel. Der Cavalier war mit dem Tode bedroht; man hatte ihn nur nach Paris locken wollen. Der Cardinal fühlte niemals Erbarmen für seine Feinde. Der Bedrohte warf sich auf sein Pferd und jagte flüchtend in die Nacht hinaus. Er entrann dem Verderben.

Von daher soll das Wirtshaus den Namen „Bon Secours“, das Schloß als Wohnsitz des Cardinals den Namen „Malmaison“ erhalten haben. Die Verbreiter dieser Sage vergaßen nur Eines: daß der gefürchtete Cardinal niemals in Malmaison gewohnt hat. Verlassen wir den Boden der Sage und des Ungewissen, so erscheint Anfang des dreizehnten Jahrhunderts die Abtei von St. Denis als Besitzerin des Ortes, welcher sich nach mancherlei Wechsel der Besitzer im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in den Händen der Frau von Harene befindet. Die schöne Zeit beginnt, denn diese liebenswürdige Dame versammelt eine auserlesene Gesellschaft um sich. Die Gemächer hallen von Gesang und Saitenspiel, geistvolle Reden schwirren in belebender Unterhaltung, Scherze und Lachen ertönen, und in den dunkeln Lauben dichtet Delille seine Idyllen, während Marmontel einen Theil seiner Memoiren in Malmaison niederschreibt.

Aber wenn das Auge hinausschaut aus den Fenstern des kleinen Schlosses, wenn der Blick über die lachenden Ebenen hinweg bis Paris schweift, dann sieht man die drohende Wolke hängen, tief – schauerlich und Blitze aussendend – die Revolution zieht herauf – die Fenster von Malmaison klirren unter dem Donner der Kanonen. Die Gesellschaft der Frau von Harene ist zum Theil verschwunden. André Chenier und Delille, Besucher des Hauses, standen sich feindlich entgegen – der Sturm treibt die Blüthen wirbelnd umher – und dennoch beherbergt Malmaison jetzt wieder eine gewählte Gesellschaft. Es scheint bereits eine Zufluchtsstätte geworden zu sein. In dem eleganten Salon finden wir: den Herzog von Penthièvres, die schöne unglückliche Lamballe, Florian, den Schriftsteller des Tell und der freien Schweiz. Einige Gäste aus Trianon flüchten oftmals nach Malmaison – die Trianons und Versailles sind bereits unheimlich, seitdem die Halleweiber im großen Marmorhofe ihre Bacchanalien gefeiert haben. Eigenthümer von Malmaison ist um diese Zeit die Familie Le Coulteux. Die Le Coulteux gehören den Geschlechtern an, in welchen Talent für Geschäft und Neigung für Kunst und Wissenschaft gleich heimisch sind. Sie besaßen außer Malmaison noch Auteuil und Luciennes bei Paris. Die Familie zerfiel in drei Linien: in die Canteleux, die Norayes und die Moleys. Die Coulteux du Moley besaßen Malmaison. Madame du Moley war eine der liebenswürdigsten Frauen ihrer Zeit und Gesellschaft. Crillon, Delille und der Spanier Olivarez sind die Zierden des Salons in Malmaison, aber schon wird der reizende Aufenthalt seinen Bewohnern gefährlich. Die Landleute in der Umgegend nehmen drohende Haltung an und sie erheben ihre Knittel gegen die Besitzer des Schlosses. Immer verheerender wälzt sich die Woge der Revolution heran, auf den Umsturz folgt die Schreckenszeit. Die Sündfluth bricht herein, und Derjenige, welcher allein im Stande war, die brausenden Wasser einzudämmen, Bonaparte, soll in dem kleinen Schlosse von Malmaison eine Stätte der Ruhe und Erholung finden.

Le Coulteux hatte aus dem allgemeinen Schiffbruche, der auch einen Theil seiner Güter verschlang, die kleine Domaine von Malmaison gerettet. Der Held seiner Zeit, der General Bonaparte, reichte einem Wesen die Hand, das bestimmt schien, ihn als sein guter Engel zu begleiten. Er heirathete im März 1796 Josephine Tascher de la Pagerie, die Wittwe Beauharnais’, eine Frau gleich hervorragend durch Eigenschaften des Geistes und des Herzens. Josephine hatte den Nimbus des Interessanten um sich verbreitet. Ihre seltsamen Schicksale, die Aufopferung und der Muth, welchen sie bei dem Verhängnisse, das Beauharnais auf’s Schaffot führte, an den Tag legte, die Gefahr, welche sie selbst bedrohte, und der sie nur durch die Katastrophe des neunten Thermidor entging, all diese Ereignisse umgaben Josephine mit einem hellen Glanze, der ihre Anmuth erhöhte. Nach der Verbindung mit Bonaparte, nach der Niederwerfung der Anarchie wollte Josephine die glänzenden Wohnungen zu Paris mit einem stillen Asyle vertauschen, in dessen Räumen sie ungestört den gesellschaftlichen, künstlerischen und wissenschaftlichen Genüssen sich hingeben konnte. Der Tochter des Südens, der Creolin waren der schattige Wald, die Stille und Behaglichkeit eines Wohnsitzes, der sie nach erregenden Scenen in seine Räume aufnehmen konnte, das Ziel aller Wünsche.

Bonaparte hatte seinen Siegeszug nach Aegypten unternommen, Josephine suchte währenddessen nach jenem Asyle. Sie fand es in Malmaison. Von dem Besitzer Le Coulteux erstand sie das kleine Schloß im Jahre 1798 für den Preis von hundertsechszigtausend Franken. Sie begann sofort mit den Verbesserungen und Verschönerungen. Als Bonaparte, in Frejus gelandet, nach Paris zurückkehrte, als die ersten Acte der Begrüßung vorüber waren, führte Josephine ihn nach dem neuerworbenen Malmaison. Hier sollte auch er ruhen von den Siegen und Erfolgen im Genusse eines heitern, ungestörten Familienglücks.– Bonaparte fühlte sich in der That hier glücklich in der Ruhe, in dem Glanze und dem Zauber, den seine Gemahlin um sich und Alles breitete. Er erfreute sich an den Verschönerungen, welche sie in Malmaison hervorgerufen hatte, er sah mit Wohlgefallen auf die von Blumen prangenden Beete, sie waren von Josephine gezogen, gehütet, die im Laufe der Zeit durch Vernachlässigung verwilderten Alleen, Hecken und Gebüsche hatten ein zierliches, wohlgefälliges Aussehen erhalten, über die gepflegten Wiesen rieselten kleine Bäche und aus den Becken warfen künstlich angelegte Wasserwerke ihre Strahlen. Mit diesen Verbesserungen der äußeren Anlagen gingen die der Gesellschaft Hand in Hand. Von Malmaison aus verbreitete sich ein gesellschaftlicher Ton, der vortheilhaft gegen den früheren abstechen mußte. Josephine hatte die besten Köpfe und die unterhaltendsten Gesellschafter, die graciösesten Frauen um sich versammelt. Während Lenoir und Berthold, Fontaine und Percier für die Ausschmückung des Schlosses sorgten und arbeiteten, verbrachten in den Salons Bernardin de Saint Pierre, Arnault, Ducis, Talma, Duval, Bouilly und viele Andere in Gesellschaft Josephinens und Bonaparte’s die genußreichsten Abende. Neben diesen Persönlichkeiten fanden sich die jungen Generale, die Begleiter Bonaparte’s auf seinen Zügen, hier in Malmaison zusammen, die glänzenden und lieblichen Erscheinungen der Fanny Beauharnais, d’Houdetot, der Damen Caffarelli, Damas, Andreossi, vollendeten den Kreis, den Gérard, Lesueur, Cherubini, Lebrun, Hoffmann, Despréaux, Isabey durch Wort und Bild verherrlichten. Der Glanzpunkt für Malmaison war gekommen.

Nach dem blutigen Tage von Marengo folgte eine Zeit der Ruhe. Gesellschaftliche Zusammenkünfte, Promenaden, Musikabende, dramatische Vorstellungen und Spiele im Freien wechselten ab. Aus dem Lärmen von Paris zog sich Bonaparte gern nach Malmaison zurück in Josephinens Nähe. Sie erschien ihm noch anziehender in dem weißen einfachen Gewande, als im Prunke der Gesellschaftsrobe; fern von dem Getümmel der Schlachten, von der Last der Arbeit auf kurze Zeit befreit, wandelte der gewaltige Mann durch die stillen Parkgänge von Malmaison. So zeigt ihn das berühmte Blatt Isabey’s. Der Blick ist freilich schon wieder ernst, die Stirne leicht gefaltet; es hat den Anschein, als sei Bonaparte der Ruhe bereits überdrüssig, er sinnt auf neue, erschütternde und gewaltige Dinge, nur zuweilen schwebt ein mattes Lächeln des Wohlgefallens um den scharfgezeichneten Mund, denn dort am Ende des Wiesenganges, wo er in das Gebüsch hineinmündet, gewahrt Bonaparte hellgekleidete weibliche Gestalten; sie scheinen über den Rasen zu schweben, anmuthig und leicht wandeln sie auf dem smaragdgrünen Teppich, um in dem dunklen Gehölz zu verschwinden. „Josephine hat es veranlaßt,“ sagt Bonaparte leis vor sich hin, er weiß, daß sie diese Ueberraschungen leitet. Sonderbare

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_134.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)