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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Contraste! der Mann, dessen Augen an den Anblick riesiger, in Waffen starrender Colonnen gewöhnt sind, die auf sein Geheiß in die Schlacht stürzen, in Dampf und Feuer der Batterien verschwinden, dieser Mann liebt es, ganz in der Ferne, zwischen Laub und Gebüsch, auf Wiesen, die zarten Gestalten anmuthiger Frauen zu erblicken.

Der Abend vereinigt die Bewohner und Gäste von Malmaison in der Galerie. Die Wände schmücken herrliche Bilder, denn schon hat Josephine einen Schatz von künstlerischen Erzeugnissen aller Art aufgehäuft. Gemälde der italienischen, deutschen und niederländischen Schule – Werke von Ghirlandajo, Dürer, Teniers, Wouverman wechseln mit den antiken Büsten ab, welche dort auf dem Marmortische prangen. Etrurische und ägyptische Alterthümer fesseln die Blicke des Forschers und er betrachtet entzückt jenes Relief, „Die Musen um Apoll gruppirt“ darstellend, welches aus Neapel als Geschenk für Madame Bonaparte gesendet wurde. Während in dem reizend ausgestatteten Raume die lebhafteste und geistvollste, alle Tagesfragen in sich verflechtende Unterhaltung schwirrt, beleuchtet der sanfte Strahl des Mondes die um das Schloß sich hinziehenden, in tiefer Ruhe liegenden Gärten, die Schöpfungen Josephinens. Die Schweizerei, die Kioske, der „Tempel“ im dichten Gehölze, die Brücken von Baumstämmen und die Alleen mit ihrem dunklen, geheimnißvollen Schatten schwimmen im Glanze des Mondlichtes, die Quellen und Bäche, die Cascaden rauschen und plätschern, in der Stille dieser Mondnacht ruht Alles, nur die Nachtfalter schweben durch die Gebüsche, da tönt es melodisch aus dem Schlosse herüber, das silberhell im Lichte des Nachtgestirns sich erhebt, die Klänge einer meisterhaft gespielten Harfe wecken ein leises Echo dort im Gehölze der Brücke gegen Chaton. Josephine spielt die Harfe, Alles lauscht diesen Accorden. Bonaparte hat das Haupt in die Hand gestützt, er nickt leicht und wohlgefällig lächelnd seinen Beifall. Josephine aber benützt diese glücklichen Momente, um durch eine einschmeichelnde Bitte bei Bonaparte das Loos eines Gefangenen oder Verbannten zu mildern, um eine Gewalttat zu hindern. Und sie ist glücklich, oft genug diese Stimmung zu finden, denn der Bonaparte von Malmaison ist ein Anderer als der von Paris.

Das kleine Schloß ist das Trianon des Consulates geworden. Aber die gewaltige Zeit schreitet mit ehernem Tritte näher, die Stunden des Glücks, des stillen neidenswerthen, sind schon gezählt. An der blendenden Sonne des Kaiserthums schmilzt es „wie Wachs im Ofen zergeht“. In Malmaison ruht Josephine nach der Krönung, die sie zur Kaiserin erhob; das Diadem, welches Bonaparte ihr eigenhändig auf die Stirn drückte, preßt diese noch immer, die Schläfen pochen fieberhaft und die Ruhe, welche in Malmaison Josephine umfängt, vermag nicht, die Angst, die Sorge zu verscheuchen, die an dem Herzen der Kaiserin nagen. Diese Krönung, dieser Beginn des höchsten Glanzes, wird das Ende des irdischen Glückes sein. Alles fügt sich, wie Josephine geahnt. Sie kämpft gegen die Zumuthung, die Scheidung selbst zu beantragen; aber sie sieht, daß es vergebliches Mühen ist – Bonaparte, Napoleon der Erste, muß eine Fürstentochter zur Gattin nehmen, die Wittwe Beauharnais’ wird zurücktreten – aber mit ihrem Rücktritt wird der Stern des Gewaltigen erlöschen.

Napoleon scheint von diesem Gedanken selbst ergriffen; noch lächelt ihm Josephine unter Thränen zu, als das Te deum für den Wiener Frieden stattfindet. Zwölf Tage später erfolgte die Trennung der Ehe des Kaisers von der Kaiserin; Napoleon las die Erklärung mit bewegter Stimme, er stockte zwei Mal. Josephine blieb fest, ruhig und ergeben, sie verwandte keinen Blick von dem Kaiser, die Gewalt des Schmerzes war so ungeheuer, daß sie jeden Ausbruch einer Empfindung niederdrückte. Am Tage nach dieser Trennung fuhr Napoleon nach Trianon – Malmaison nahm Josephine auf, sie wandelte einsam durch die Räume, durch die Alleen, sie weinte nicht mehr, sie klagte nicht, aber in dem köstlich decorirten Schlafgemache, dessen Decke die Chiffre N und J in künstlicher Verschlingung zeigte, saß die Kaiserin vor einem kleinen Tische, dessen Kästchen ihre Papiere barg, Sie hielt ein vergilbtes Blatt in den Händen. Auf diesem Blatte stand die Prophezeiung einer Zigeunerin welche Josephinen bei ihrer Heirath mit Bonaparte zugekommen war. „Sie werden höher als eine Königin steigen – aber Sie werden im Spitale enden!“ lautete der unheilverkündende Spruch. Josephine betrachtete diese Schrift. Der erste Theil war eingetroffen – es fröstelte die Kaiserin, als sie des zweiten gedachte.

Das Elysée, dann Navarra, dann Aix, endlich die Ufer des Genfer Sees – das waren die Orte, wohin Josephine den Wanderstab setzte, als sie von Malmaison schied. Ihre Stelle nahm Marie Louise von Oesterreich ein; die entthronte Kaiserin verfolgte aufmerksam die Schicksale des Mannes, den sie so heiß geliebt, den sie noch liebte. Marie Louise hatte dem Befehle gehorcht, ihr Schicksal rief sie auf den Thron Frankreichs. Sie wußte sehr wohl, daß Josephinens Andenken im Herzen Napoleon’s nicht verlöscht werden konnte; die neue Kaiserin fürchtete stets die geschiedene Gattin und sie scheute sich, den Fuß über die Schwelle des öden Malmaison zu setzen. Die beispiellos glänzende Laufbahn des Kaisers beginnt ihre Richtung in die Tiefe zu nehmen. Josephine ist im Jahre 1811 nach Malmaison zurückgekehrt; die Zeit hat eine leichte Narbe über die klaffende Wunde gezogen. Die Achtung, die Neigung des Kaisers gehören noch immer der Verlassenen; sie ist die Erste, welche die Nachricht von der Geburt des Königs von Rom erhält; Beweise der stillen Liebe, der herzlichen Theilnahme werden ihr gegeben. Josephine ist nicht mehr unglücklich, sie feiert einen Triumph; sie verfolgt bangend und angsterfüllt die Ereignisse des Erdballs, welche Napoleon lenkt, wie bald werden sie ihn erdrücken, der Titan wird unter dem Felsen erstickt werden, den er gen Himmel schleudern will. Die Waffen der einst unterdrückten Nationen blitzen an den Grenzen Frankreichs, die begeisterten Schaaren der preußischen Krieger, ein gedrücktes, nun sich erhebendes rachedürstendes Volk, stürmen in das Herz Frankreichs hinein.

Im Kreise ihrer Kinder und Freunde lauschte Josephine entsetzt diesen Klängen, dem Donnern preußischer Geschütze und den Wirbeln der preußischen Trommeln, die in den Straßen von Paris verhallten. Als Marie Louise nach Wien zog, den gestürzten Imperator verlassend, da wallte es hoch auf in Josephinens Herzen, der unglückliche Napoleon war ihr wieder näher gerückt; sie verließ Malmaison, sie wollte den Gefallenen noch einmal sehen. Napoleon hatte bereits Fontainebleau verlassen. Er schiffte sich nach Elba ein; die Gunst, ihn zu begleiten, sollte Josephinen nicht zu Theil werden. Am Tage der Einschiffung war sie allein in Malmaison; als Napoleon das Schiff betrat, welches ihn von Frankreich entführte, rief er aus:

„Sie hatte Recht! Mein Unglück begann, als ich sie verließ.“

Josephine erfreute sich der regsten Theilnahme, der zartesten Aufmerksamkeit der alliirten Herrscher. Kaiser Alexander, der König von Preußen und seine Söhne erwiesen ihr jede Rücksicht – Josephine war mehr Fürstin, als sie seit ihrer Trennung von Napoleon jemals gewesen. Alexander bat um eine Zusammenkunft – Malmaison sah den Herrscher Rußlands in seinen Mauern. Er fand Josephine kränkelnd, in der Gesellschaft ihrer Tochter, der Königin Hortense, und des Prinzen Eugen. Der Kaiser kehrte entzückt von der Unterhaltung heim, Josephine hatte nur für Napoleon gesprochen – sie schien nach dieser Zusammenkunft wieder neues Leben gewonnen zu haben – aber das Geschick Napoleon’s war durch geheime Fäden zu eng mit dem ihrigen verknüpft, sie konnte den Sturz des Angebeteten nicht überleben. Nach dem Feste von St. Leu wollte der Kaiser Alexander die Gefeierte wieder besuchen; er fand sie sichtlich verändert, sie führte mühsam die Unterhaltung, der Kaiser schied besorgt von ihr. Josephine bereitete sich zum Tode. Ein schweres Halsübel machte reißende Fortschritte, die Brust arbeitete heftig, Gram und Sehnsucht nach ihm, den Meere von Josephinen trennten, vollendeten das Werk der Zerstörung dieses schönen und edlen Lebens.

Als Kaiser Alexander am 27. Mai zum dritten Mal in Malmaison anlangte, um Josephine zu begrüßen, sah er sie nicht mehr. Die Kaiserin schlummerte nach qualvoller Nacht. In den Morgenstunden des 29. Mai begann ihr Todeskampf „Bonaparte – Elba – Marie Louise“ – mit diesen Worten entfloh ihre Seele.

Drei Tage lang war der einbalsamirte Leichnam auf einem Paradebette im Vestibüle von Malmaison ausgestellt. Man hat die Menge der Herbeigekommenen, welche die Verstorbene noch einmal sehen wollten, auf zwanzigtausend geschätzt. Fast ebenso viele folgten dem Leichenzug, der Josephinens sterbliche Reste nach Rueil führte, hinweg aus Malmaison, aber nicht weit von diesem Orte, der die glückliche Josephine gesehen hatte und in dessen Bereich fast jeder Strauch, jeder Baum Erinnerungen an sie wachrief.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_135.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)