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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Ausstellung geschadet zu haben, und sie befand sich gegenwärtig in einem etwas aufgelösten Zustand.

Um St. Denis zu besetzen, waren sechs Bataillone Infanterie bestimmt und mehrere Feldbatterien rasselten jetzt die Straße hinab – nur als Sicherheitsmaßregel, um, wenn die Besatzung vielleicht noch Schwierigkeiten machen sollte, den gehörigen Nachdruck geben zu können.

Auf dem Platz stand noch ein Theil unserer Truppen, um den Befehl zum Abmarsch zu erwarten, als eine Anzahl Bauern in blauen Blousen – auch ein paar Frauen zwischen ihnen, hierher nach La Barre kamen, um – ihre Häuser wieder aufzusuchen. Und wie wurden die armen Teufel von den Soldaten noch ausgelacht, als sie bestürzt vor ihren leeren, im Inneren wenigstens vollständig verwüsteten Wohnungen stehen blieben! Allerlei schlechte Witze wurden gemacht – „Steht es noch? – na, Ihr könnt froh sein – und hübsch eingerichtet haben wir’s auch und das Holzwerk sauber ausgeräumt.“

Die Leute antworteten nicht – „c’est la guerre.“ seufzte der Eine und dann schritten sie schweigend die Straße hinunter – und die Frau weinte.

Alle diese Menschen leugnen jetzt freilich, daß sie den Krieg gewollt, sie erklären in dem „Ja“ des Plebiscit nur den Frieden verstanden zu haben, den ihnen der Kaiser versprochen, und bei Vielen mag es auch in der That der Fall gewesen sein. Im großen Ganzen hat aber doch das Volk dem Krieg gegen „Preußen“ zugejubelt, weil Keiner von ihnen auch nur an eine einzige Niederlage dachte und es ebenso wenig für möglich hielt, daß der Kriegsschauplatz nicht nach Deutschland geschoben, sondern in Frankreich selber seinen blutigen Boden finden sollte. Jetzt sind sie Alle niedlich gesinnt gewesen und das „à nous le Rhin“ will Keiner mitgerufen haben.

Um zwei Uhr endlich rückten wir von La Barre aus, um nach St. Denis einzuziehen. Es war noch keine Antwort zurückgekommen, daß sich Alles in Sicherheit befinde, aber der Kronprinz wollte auch nicht länger warten, denn der Abend brach sonst herein, ohne daß wir unseren abgegebenen Zweck erreicht hätten.

Das Ende von La Barre fanden wir, nach St. Denis zu, noch vollständig verbarricadirt und nur ein schmaler Raum war geöffnet worden, um eben die Geschütze durchzulassen. Der Humor der Soldaten war auch hier, wie an den meisten solchen Plätzen, thätig gewesen, denn oben auf den Barricaden und Brustwehren lagen nicht allein Ofenrohre als anscheinende Geschütze, sondern auch thönerne Drainirungsröhren hatten dem Zweck dienen müssen und gaben dann vielleicht den Plätzen von Weitem ein sehr gefährliches Aussehen.

Und dort lag St. Denis – gerade auf das kleine Außenfort Le Vert Galant hielten wir zu, ließen dieses aber, das wir schon von unseren Pionnieren besetzt fanden, rechts liegen und näherten uns dem eigentlichen Thor der Festung selber.

Der Leser darf sich nun aber die Uebergabe einer solchen Veste nicht etwa so feierlich denken, wie wir sie noch auf alten Bildern abconterfeit sehen. Da hält der siegreiche Feldherr, von all den Großen seines Heeres umgeben, auf ungeduldig stampfendem Pferd, und vor ihm, in ehrfurchtsvoller Stellung, auf rothem Sammetkissen den Schlüssel der Stadt tragend, steht der Bürgermeister in seiner Allongenperrücke, und hinter ihm die ängstlichen Rathsherren, die jetzt nur froh sind, daß sie die Sache überstanden haben.

Die Geschichte war hier bedeutend einfacher. In den Forts von Paris, die ihren Rückhalt an der Stadt selber haben, wurden keine Gefangene gemacht, denn die Soldaten hatten schon alle den Platz verlassen, ehe wir ihn nur betraten, und sich zurück auf Paris gezogen. Es wurde auch kein Schlüssel überreicht, denn das Thor stand offen. Die unser harrende Infanterie zog ein – das Musikcorps stellte sich unmittelbar am inneren Thore auf, und jetzt fand der Einzug unter der rauschenden Militairmusik statt.

Schon vorher hatten wir von dem kleinen Vorwerk Le Vert Galant aus einen Theil der Festungswerke umschritten, waren so zu dem eigentlichen Thor derselben gelangt und konnten dort unterwegs sehen, welche Vorbereitungen die Herren Franzosen getroffen hatten, um unsere Truppen bei einem Sturmangriff zu empfangen. Da standen nicht allein etwa neun Fuß hohe „spanische Reiter“ – ein sehr unangenehmes Ding, sie zu überklettern oder aus dem Weg zu schaffen, da sie aus quer durch einander gesteckten starken Hölzern bestehen und die Stürmenden jedenfalls unter dem heftigen und unmittelbar nahen Gewehrfeuer eine lange Weile aufhalten –, da war auch noch – eine lange Strecke vorher, ehe man den eigentlichen Graben erreichte – etwa anderthalb Fuß von der Erde, starker Draht gezogen, den man wirklich nur allein am hellen Tag passiren konnte. Und dann der tiefe Graben und hohe Wall, der noch nicht die geringste Bresche zeigte.

Es ist allerdings Thatsache, daß gerade in den letzten Nächten unsere Batterien von Rancy aus bis dicht vor La Barre sehr bedeutend – einige sogar nahe an zweitausend Schritt – vorgeschoben waren und die Stadt St. Denis jedenfalls in Grund und Boden zusammengeschossen hätten, wenn man ihnen längeren Spielraum gelassen, aber den Erdwällen der Festung hätten wir doch nur nach längerer Zeit einen ernstlichen Schaden zufügen können, und die einzelnen Kanonen zu demontiren, wäre ebenfalls nur sehr schwer gelungen. Und was für Menschenleben würde ein solcher Sturm – selbst im günstigsten Fall – gekostet haben, denn daß die Herren da drinnen außerdem nicht mit Minen und Landtorpedos gespart, läßt sich wohl denken und ist auch bestätigt worden. Was aber konnte sie denn sonst zur Uebergabe gezwungen haben? – etwa der Hunger?

Auch das schien nicht der Fall gewesen zu sein, denn als wir die Stadt, zu welcher unsere Pionniere durch die riesigen Barricaden, mit Erde gefüllte Weinfässer und Faschinenkörbe schon einen schmalen Weg gebahnt hatten, jetzt betraten, fanden wir die Bevölkerung nichts weniger als ausgehungert und mit bleichen Wangen uns erwartend. Nein, im Gegentheil sah ich hier in St. Denis eine Menge rothwangiger Gesichter, die wahrlich von keiner Hungersnoth Zeugniß gaben, und mehrere Soldaten bestätigten mir nachher, daß sie noch in verschiedenen Häusern vollkommen reichlich Brod und Wein gefunden hätten.

Ich bin deshalb fest überzeugt, daß nur das eigentliche Bombardement der Hauptstadt selber von der Südfront aus, das Tod und Vernichtung in das Herz der Stadt selber trug, den Ausschlag gegeben haben muß, und wäre davon abgesehen worden so lägen wir noch lange vor den starren Wällen und betrauerten manchen Todten mehr, als es jetzt der Fall ist.

Der Einmarsch verzögerte sich durch den engen und beschränkten Eingang natürlich sehr, und überall auf den Wällen wie auf den Barricaden drängte sich das Volk umher, um die gehaßten Prussiens doch auch einmal jetzt – ungefährdet von ihren Waffen – in der Nähe zu sehen. Wenn sich aber der französische Officier vorher einen Einmarsch mit klingendem Spiele aus dem Grunde hatte verbitten wollen, weil die Bewohner von St. Denis zu sehr betrübt seien, so mußte er sich gründlich geirrt haben, denn davon konnte ich selber keine Spur erkennen. Ich mischte mich nachher unter das Volk, um es näher zu beobachten; aber hier sowohl wie später in der Stadt sah ich nur fröhliche Gesichter und hörte nur lachende plaudernde Stimmen, aber keine Idee von Traurigkeit oder gar von verbissenem Grimm. Es mögen Einzelne gewesen sein, welche die Schmach dieses Einzugs nach den vorangegangenen prahlerischen Redensarten tiefer empfanden; aber diese bemühten sich dann nicht um das Schauspiel oder waren zu schwach vertreten, um sich rasch herausfinden zu lassen – ich bemerkte sie wenigstens nicht.

Wer sich aber eifrig dabei betheiligte, waren noch vollständig bewaffnete Mobilgardisten, denen es oblag, die Ruhe in der Stadt aufrecht zu erhalten. Ueberall waren sie, wo sich nur überhaupt Menschen zusammendrängten, und bewiesen dabei – ohne eigentlichen Grund, denn die Leute benahmen sich ruhig genug – eine nie geahnte Tapferkeit.

Jetzt endlich, als der Kronprinz mit seinem ganzen Stabe und der Escorte vorbeidefilirt war und den freien großen mit Bäumen bepflanzten Platz der inneren Stadt erreichte, hielt er und machte Front gegen die Straße, während nun ihrerseits die jetzige Besatzung oder wenigstens doch einige Bataillone derselben ihre Einzug mit der rauschenden Militärmusik und den preußischen Trommeln voran hielten.

Unterwegs dahin passirten wir eine wohl sehr interessante, aber doch nicht ganz angenehme Beschäftigung unserer Pionniere. Diese waren nämlich daran, unmittelbar an der linken Seite des Fahrwegs, gerade wo dieser mit dem Wege für die Fußgänger abschneidet, einen Leitungsdraht aufzuheben, der aller Wahrscheinlichkeit nach zu irgend einer jetzt harmlos gemachten, aber doch wohl noch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_138.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)