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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

unzugänglichen Horst, dort mit dem blutigen Raube die nimmersatte Brut zu ätzen und sie tüchtig zu machen, später selbstständig auf Beutezügen die angrenzenden wildreichen Gefilde ihrer Niststätte zu durchstreichen.

So gilt denn auch in der Thierwelt, und zwar hoch, hoch oben in scheinbar friedlichster Einsamkeit – wie unten auf gewühlreichem Schauplatz des Menschenlebens, wo so oft von den Gewaltigen der Erde Freiheit und Recht mit Füßen getreten werden – die leidige, aber naturgesetzlich begründete Thatsache: Macht geht vor Recht!



Um Paris herum.
Von Friedrich Gerstäcker.
III. Auf dem Mont Valerien.

St. Denis ist die einzige zur Festung umgeschaffene Stadt, welche Paris mit einschließen und vertheidigen half, der Valerien dagegen der höchste Hügel, der diese Vertheidigungslinie bildet, und deshalb auch am meisten bewehrt und mit den schwersten Geschützen versehen. Man hat auch von unserer Seite kaum je daran gedacht, ihn ernstlich anzugreifen, denn es war klar genug, daß wir, im Besitz einiger der anderen Forts, unsere Soldaten gar nicht an dieses Riesenwerk zu opfern brauchten, sondern Paris auch ohne dasselbe gewinnen könnten. Der Erfolg und die Zeit haben die Wahrheit dessen nur zu vollständig dargethan.

Welche enorme Summen und Arbeit hat der Mont Valerien gekostet und was hat er mit alle dem erreicht? – Er hat uns aus weiter Ferne wohl manchen braven Soldaten hingeopfert und unseren Cernirungskreis an der Stelle etwas weiter gehalten – das war aber Alles, sonst ist er nur seinem eigenen Lande verderblich geworden, und die Trümmer von St. Cloud bezeichnen die größte Heldenthat, die er in dem ganzen Kriege vollführt. Jetzt liegt er still, seine Riesenkanonen schweigen, seine Wälle sind von preußischen Soldaten besetzt, die mit klingendem Spiele dort einmarschirt, und auf seinen Zinnen weht die schwarz-weiß-rothe Bundesflagge.

Ich war von dem kaum eine Meile vom Valerien entfernten St. Germain zu Fuß dahin aufgebrochen und erreichte den Berg nach etwa zweistündigem Marsche, glücklicher Weise bei heute trockener Straße, denn bis jetzt war der Boden fast grundlos gewesen. In den kleinen dazwischen liegenden Orten, die fast nur aus reizenden Villen bestanden, lag beinahe allein Landwehr, aber ich sah heute nur fröhliche Gesichter und hörte nur lachende Stimmen unserer wackeren Soldaten. Die Aussicht auf das Ende dieses Krieges leuchtete ihnen ja, und daß dann die Landwehr zuerst in die Heimath zurückkehren durfte, wußten die Leute gut genug. Sie hatten den Soldatenrock mit Ehren getragen, aber sie wünschten sich doch wieder in ihre Arbeitsjacke, zu ihren Familien zurück, und wer diese Mannschaft näher kennt, wird wahrlich den wahnsinnigen Glauben nicht theilen, daß Deutschland je einen Eroberungskrieg aus freien Stücken beginnen könnte. Wer uns angreift, mag sich hüten, denn wie sich gerade die Landwehr geschlagen und den jungen Truppen Nichts nachgegeben hat, ist bekannt genug, aber sie wollen auch wissen, für was. Es sind keine Söldnertruppen, die man eben jedem anderen Volke, sei es für was es wolle, entgegenwerfen kann.

Die kleinen Plätze, die ich passirte, mochten wohl zum Theil im Winter stets unbewohnt sein, schienen aber vom Kriege doch nicht so viel gelitten zu haben, als weiter entfernte Städte. Die Jalousien waren meistens verschlossen, als ob kein Fuß die Häuser betreten hätte, und nur wenn Frankreich jetzt verblendet den Frieden zurückweisen sollte, werden sie das Schicksal der übrigen theilen müssen.

Als ich endlich den Fuß des Mont Valerien, ohne unterwegs nach irgendwelchem Papier gefragt worden zu sein, erreicht hatte, traf ich eine kleine Gruppe von Soldaten, die emsig damit beschäftigt war, den Boden neben der Chaussee auf- und ein tiefes Loch hineinzugraben. Sie hatten auch schon gefunden, was sie suchten – einen[1] Leitungsdraht, von denen sieben um den Berg herum liegen sollten. Diese Drähte waren aber, wie man mir sagte, bei der Uebergabe sämmtlich angegeben worden, und es scheint denn doch, als ob der Fall bei Laon in dem französischen Kriege vereinzelt dastehen solle, und von keinem der Officiere, sondern nur von irgend einem exaltirten Burschen herrührte, dem auch Nichts darauf ankam, sich selber mit zu opfern. Es bleibt aber immerhin ein nicht angenehmes Gefühl, wenn man weiß, daß man sich auf unterminirtem Boden und über einer unbestimmten Anzahl von Pulverfässern befindet, und man kann sich da nur allein auf die Pionniere verlassen, die schon Alles gethan haben werden, um sich selber wie ihre Cameraden sicherzustellen.

Nun war mir allerdings schon gesagt worden, daß es für jeden Civilisten sehr schwer sein würde, die Festung des Mont Valerien selber zu betreten, und ich hatte auf den verschiedenen Commandos unterwegs, so freundlich ich von Allen aufgenommen wurde, doch nirgends eine schriftliche Erlaubniß dazu bekommen können, da es nicht in ihrer Befugniß lag. Ich vertraute aber meinem guten Glück, das mich auch diesmal nicht im Stich ließ. Schon am ersten Thor traten mir zwei Soldaten mit vorgehaltenen Gewehren entgegen und verweigerten mir den Eingang – ich verlangte den Officier zu sprechen und erlangte es auch – der Herr zuckte mit den Achseln – er könne die Erlaubniß nicht geben. In diesem Augenblick wurde die Wache herausgerufen – höhere Officiere kamen angeritten und stiegen dort ab – der Lieutenant mußte mit antreten, und ich benutzte die Gelegenheit, mich an einen Obersten zu wenden, dem ich mich vorstellte und der mir in liebenswürdigster Weise anbot, ihn zu begleiten, denn sie wollten sich ebenfalls die Festung besehen. Somit war ich geborgen.

Und welch wunderbarer Ueberblick bietet sich, sobald man nur den oberen Rand der Wälle betritt, über das ganze weite, herrliche Land, denn unwillkürlich schweift der Blick da zuerst hinaus, aber selbst davon wird er wieder abgezogen und fällt auf die neuen, mächtigen Vorwerke, die unmittelbar vor der Festung, und zwar nach dem neuesten Vertheidigungssystem mit ungeheurer Arbeit sowohl, wie Kunstfertigkeit, angelegt sind, und den Mont Valerien jedenfalls uneinnehmbar gemacht haben. Riesige Erdwälle erheben sich an allen Seiten. Unmassen von Munition liegen da unten aufgehäuft, und schwere Geschütze bedrohen jede Richtung, von welcher der Feind nahen könnte. Unsere Granaten hatten dem Mont Valerien auch noch wenig oder gar keinen Schaden zugefügt, und diesen Erdwerken gegenüber bleibt es die Frage, ob sie ihn je hätten schädigen können. Aber der Hunger, mit den eisernen Grüßen, die wir von anderer Seite in die Hauptstadt schleudern konnten, kam uns zu Hülfe, und es war ein stolzes Gefühl, mit dem ich jetzt unsere deutsche Bundesflagge auf den Wällen der unterworfenen Festung, dem Bollwerk von Paris, wehen sah.

Und da unten, fast zu unseren Füßen, lag Paris – leider heute wieder von dem nebeligen Wetter so verdeckt, daß man nur einzelne hervorragende Stellen daraus, wie den Triumphbogen und den Pantheon, erkennen konnte.

Aber das Innere des Mont Valerien nahm doch noch mehr unsere Aufmerksamkeit in Anspruch, und da gab es allerdings zu sehen genug.

Der innere Raum[2], den die Festung umschließt, ist ziemlich bedeutend, aber dadurch gerade gefährlich für die Vertheidigung, daß auf allen diesen Forts die Casernen aus hohen und mächtigen Gebäuden bestehen, die ein besonders gutes Zielobject für unsere Geschütze abgaben. Wo man die kleinen Forts kaum hätte mit bloßen Augen erkennen können, da traten diese hohen, ungeschlachten und viereckigen Casernen nur um so deutlicher hervor, und unsere Granaten machten natürlich Gebrauch davon. Ich glaube, daß man in späteren Zeiten davon absehen wird, solche hoch emporragende Gebäude in den verschiedenen Forts aufzubauen – wenn man die Forts nicht eben ganz cassirt. Was haben sie Paris genützt? Nichts als die Katastrophe, zum Jammer der Hauptstadt, auf Wochen oder Monate hinausgeschoben.

Was mich übrigens am meisten interessirte, waren die schweren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_146.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)