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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 10.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Zuwider-Wurzen.
Eine Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Das Tagwerk war beendet; Martl saß allein unter dem offenen Vordache auf der Herdbank, neben sich seine Cither, zur anderen Seite auf dem Herde die eiserne Pfanne, in welcher heißes Schmalz prasselte, um sich mit grobem Mehl zum derben Schmarren zu formen, der einzigen selbstbereiteten Nahrung des Holzarbeiters. Martl hatte auf keines von beiden Acht; er starrte gerade vor sich hin in die unendliche Landschaft hinaus, welche wie ein Garten Gottes im Glorienschein des Abends sich vor ihm ausbreitete. Die Sonne war eben ferne am Horizont untergetaucht, der einsame Peissenberg hob sein verdunkelndes Haupt in den rothglühenden Abendhimmel empor, während die Ebene mit ihren verschwimmenden Linien, vom Widerschein desselben umwallt, wie im rothen Feuergewande prangte, an welchem hie und da gleich einem schimmernden Bande ein Fluß aufblitzte und gleich eingesetzten riesigen Kleinodien die Wasserbecken des Würm- und Ammersees leuchteten. Kein Laut drang herauf; auch waltete ringsum das tiefste Schweigen. Die Mondsichel selbst schien nur vorsichtig über einem fernen schwarzen Waldsaume hervorzuschlüpfen, und ein Lämmergeier strich gegen den Felsgrat der Benedictenwand hin, majestätisch langsamen Fluges und den gewohnten heiseren Schrei anhaltend, als scheue er sich, die feierlichen Abendgedanken der entschlummernden Schöpfung zu stören. Die Augen des Burschen hingen wohl an der Gegend; dennoch war sein Sinn nicht bei derselben, und in der einsamen Stille des Sommerabends umtönte ihn der fröhliche Lärm eines vor nicht langer Zeit erlebten Frühlingsmorgens, der – er wußte selbst nicht, wie das kam – immer wieder in ihm auftauchte und, wenn er auch tagüber vor der Arbeit floh, ihm jeden Augenblick der Ruhe und des Alleinseins ausfüllte. Er schalt sich selbst darüber aus; hundertmal hatte er sich gelobt, sich das Bild aus dem Sinn zu schlagen, aber der Vorsatz war wie kranker Schnee im März, der beim ersten warmen Anhauch schmilzt und dann verräth, daß die Blumen, die man unter ihm erfroren geglaubt, still fortgekeimt sind und plötzlich in voller Blüthe stehen. Wohl hatte er sich allerlei vorgenommen, was er mit dem Gelde unternehmen wolle, das ihm der Förster von Altlach auszuzahlen hatte; er wollte in die Stadt, nach München, gehen und die gerühmten Freuden und Herrlichkeiten derselben von Grund aus kennen lernen, an denen er immer nur im Fluge vorbeistreifen konnte, wenn er mit einem Floße von Tölz heruntergefahren, und Tags darauf, wenn das Floß verkauft war, mit dem vollen Geldgurt um den Leib und dem Beil über dem Rücken wieder zu Fuß in die Berge hineingewandert war. Aber es war ihm auch mit diesen Vorsätzen sonderbar ergangen! Als die schwer erworbenen fünfzig Guldenstücke blank auf dem Tische lagen und funkelten, daß seine alte Mutter sich nicht mehr verwußte vor Freude über die Pracht und den Reichthum, hatte ihn Anblick und Besitz des mit so vieler Mühe erstrebten Schatzes ganz kalt gelassen.

„Heb’s auf, Mutter, und haus’ damit!“ hatte er gesagt, und wie der Förster erzählte, daß er wieder einen Arbeiter suche, daß es abermals gelte, einen großen Schlag auf dem Rabenkopf auszuführen, da waren im Augenblicke alle Pläne und alle Freude, die er von ihnen erwartet hatte, vergessen; ehe er sich kaum recht besonnen, hatte er dem Förster abermals die Hand und mit ihr die Zusage gegeben und sich wieder für den ganzen Sommer verdungen – es war ihm zu Muthe, als tauge er nicht unter die Leute und habe es dringend nothwendig, allein zu sein.

Das hochaufspritzende Schmalz weckte ihn endlich aus seinen Gedanken. „Oho!“ rief er aufspringend, indem er die Pfanne vom Feuer hob. „Am End’ geht mir über dem dummen Sinnir’n die ganze Hütt’n in Rauch auf. Ich bin ein rechter Narr, daß ich mir die Geschicht’ nicht aus’m Sinn schlagen kann und alleweil an das Madel denken muß. Weiß Gott, sie hat mir’s nicht darnach g’macht – sie ist grob mit mir gewesen und unfreundlich, und verdient’s nit, daß ich nur einen Augenblick an sie denk’ … Na, an der Unfreundlichkeit und Grobheit,“ setzte er dann leiser hinzu, „hab’ ich’s freilich auch nit fehlen lassen – aber was ist’s denn weiter? Sie hat auf jeden Fall angefangen und wie man in den Wald schreit, hallt’s zurück, das ist ein altes Wort, und auf einen groben Klotz g’hört ein grober Keil!“

Durch diese Erwägung beruhigt ging er wieder an sein Geschäft, stürzte den Inhalt der Pfanne auf einen an der Herdecke stehenden Holzteller und machte sich zum Essen bereit; er kam aber nicht dazu. Der Schmarren dampfte und duftete vergebens; Martl saß daneben, den Leib vorgebeugt, die Hände um die aufgezogenen Kniee schlingend, und lauschte mit gesenktem Kopfe dem stillen Selbstgespräche, das in seinem Innern noch immer kein Ende fand. Die Entschuldigung, mit der er sich zuerst beschwichtigt hatte, wollte nicht lange nachhalten; er sagte sich, daß es ein Mädchen war, das ihm so unfreundlich begegnete, und mit dem er als Mann es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_157.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)