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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

nicht anzugeben vermag. Die Listen der Verwundeten und Kranken aller Lazarethe ihres Bereichs geben zugleich nach Nummern die Grade der Genesung der Lazarethinsassen an, und nach diesen bestimmen dann diese Commissionen das Maß der Räumung (Evacuation) der Lazarethe durch den Weitertransport der Transportablen bis zu deutschen Lazarethen oder in die Heimath.

Die Medicinal- und Lazarethbedürfnisse sind in reichem Maße jedem Truppentheile mitgegeben und zur zeitweisen Ergänzung derselben an bestimmten Orten Depots errichtet. Die Ortsapotheken der Lazarethplätze bleiben demnach unberührt vom Kriegsbedürfniß, und dies kann als eine nicht geringe schonende Rücksicht für die Bewohnerschaften angesehen werden.

Eine zweite Behörde, von welcher auch die Sanitätszüge ihre Weisungen zu empfangen haben, sind die Linien-Commissionen, welche jedem einzelnen Zuge auf den Bahnen des gesammten Kriegsbereichs in Frankreich und Deutschland ihre Fahrpläne zuzutheilen haben. Die Central-Linien-Commission hat ihren Sitz in Kassel; unter ihr stehen alle übrigen Linien-Commissionen; da ihnen alle Störungen durch Brückensprengungen, Schienenaufreißen etc. auf den Bahnen ihres Bezirks sofort gemeldet werden müssen, so sind sie allein im Stande, jedem Zuge, der zum Beispiel Kranke nach der deutschen Grenze hin befördern will, die Route vorzuschreiben, welche derselbe augenblicklich benutzen kann.

Und nun wollen wir den Zug und seine Einrichtung selbst betrachten. Ein preußischer Sanitätszug besteht in der Regel aus achtundzwanzig Wagen, nämlich: zwanzig Krankenwagen, dem Verwaltungswagen, dem Küchen-, dem Proviant-, zwei Depôt-, dem Holz- und Kohlenwagen, einem Wagen für die Aerzte und einem für die Diaconissinnen. In dem zur Fahrt geordneten Zuge nimmt der Küchenwagen die mittelste Stelle ein, neben ihm stehen der Verwaltungs- und der Proviantwagen, nach beiden Seiten hin folgen dann je zehn Krankenwagen unmittelbar aufeinander, an der Spitze derselben fährt der Wagen der Aerzte, am Ende der der Diaconissinnen und den Schluß des ganzen Zugs bilden die Depôt- und der Holz- und Kohlenwagen.

Sämmtliche Wagen, von dem der Äerzte- bis zu dem der Diaconissinnen, haben ihre Ein- und Ausgänge an der Schmalseite innerhalb des Bahngeleises und sind durch Brücken und Geländern so miteinander verbunden, daß der ganze Zug in der Wagenmitte einen langen Gehweg bietet, so daß von dem Aerztewagen und der Küche aus jederzeit und bei schnellster Fahrt in jeden Krankenwagen zu gelangen ist. Um die Kranken vor Luftzug zu schützen, ist innerhalb der Wagen an jeder Thür ein starker Vorhang (eine sogenannte getheilte Portière) angebracht, den man erst, wenn die Thür wieder geschlossen ist, bei Seite schiebt, um den Raum zu betreten. Die ganze Gehbahn der Wagen ist mit starken Läufern von Wachstwill belegt.

Ein Gang durch die Krankenwagen überzeugt uns, daß einer so eingerichtet und ausgestattet ist, wie der andere. Jeder zeigt auf seinen beiden Langseiten je drei gleichgroße Abtheilungen und jede derselben enthält zwei Lagerstätten, welche an vier starken, vom Boden bis zur Decke des Wagens reichenden Pfosten so hängen, daß die eine anderthalb Fuß vom Boden entfernt ist und die zweite in der Mitte des Raumes zwischen dieser und der Decke schwebt. Jedes Bett ist eine Trage oder Bahre, wie sie auch zum Transportiren der Verwundeten vom Schlachtfelde gebraucht werden; zwei je acht Fuß lange Stangen sind durch Querhölzer und Gurte verbunden und mit einem beweglichen Kopfende versehen, welches mittelst zweier gezahnter Bügel nach dem Wunsche des Kranken hoch und niedrig gestellt werden kann. Diese Bahren sind mit vortrefflichen Matratzen und Leinenbetttüchern belegt, und starke Wollendecken stehen dem Kranken nach seinem Bedürfniß zu Gebote. Alle Betten hängen mit ihren Stangenenden mittelst Tragriemen in Gummirollen, oder in Federhaken, Spiralfedern, an deren unterem Ende der Rand der Oese sitzt, in welcher der Lederriemen zur Aufnahme der Tragstange hängt. Da die Vorrichtung so getroffen ist, daß die Stangen selbst bei starker Erschütterung des Wagens nirgends anstoßen können, so ist eine schaukelnde Bewegung das Aeußerste, was der Kranke zu erdulden hat; dieses Wiegen des Lagers ist aber für die Mehrzahl der Verwundeten ein angenehmes, auch das alte Kind gern einschläferndes Gefühl.

Wenn unser Kranker sich auf seinem Lager zurecht gelegt hat, so findet er in handlicher Entfernung über sich ein Netz befestigt, in welchem er die unentbehrlichen Kleinigkeiten des Lebens, wie Taschentuch, Tabaksbeutel und -Pfeife oder Cigarren, Schnupftabaksdose, Notizbuch, Brieftasche u. dgl. unterbringen kann. Für seine sonstige Bedienung ist in jedem Wagen ein Krankenwärter oder „Heilgehülfe“ angestellt, der auf einem der Betten desselben sein Nachtlager hat; während der Nacht haben besondere Wachen, alle halben Stunden den Rundgang durch alle Wagen zu machen, um nach den Kranken zu sehen, ihre Wünsche zu befriedigen und, im Winter, das Feuer in den Oefen zu erhalten.

Diese Oefen nehmen den Raum von einem Bettenpaare in Anspruch. Können nämlich in der warmen Jahreszeit in den sechs Abtheilungen jedes Wagens zwölf Betten Platz haben, so nimmt in der Winterzeit den mittlern Bettraum einer Wagenseite der Ofen ein, dem zur Linken der Holz- und Kohlenkasten steht, zur Rechten ein Wasserfaß unter einem Tischchen, das für die Wasch- und sonstigen Reinigungsapparate zur Aufbewahrung dient. Von den zehn Betten jedes Wagens ist eines für den Wärter oder Heilgehülfen bestimmt, so daß jeder Wagen neun, folglich der ganze Zug von zwanzig Krankenwagen hundertachtzig Kranke aufzunehmen vermag. Rechnet man dazu die dazu gehörigen zwanzig Wärter und das Arzt-, Diaconissinnen- und Verwaltungs- nebst dem Küchenpersonal, so kommt eine Zugbesatzung von zweihundertsieben bis zweihundertzehn Mann heraus, die täglich fünfmal aus einer fahrenden Küche ihre Nahrung zu empfangen hat. Sicherlich verdient diese Kücheneinrichtung eine nähere Betrachtung.

Der Küchenwagen ist besonders die Freude aller Frauen, welche dem Zuge die Aufmerksamkeit eines Besuchs schenken. Wie jeder andere Wagen durch den Durchgang in zwei Hälften getheilt, zeigt er, vom Verwaltungswagen aus besucht, in der Mitte der rechten Seite sein Hauptstück, den eisernen Kochheerd, aus der bekannten Kayser’schen Maschinenfabrik in Berlin. Derselbe hat eine Länge von fünf und eine Höhe und Breite von je drei Fuß, zwei Wasserkasten von Messing mit Hähnen, ein Kochloch mit Ringen für Kochtöpfe von einem Viertel Quart bis zu bedeutender Größe, einen Bratofen mit Einsatzschieber für zwei Pfannen und eine Wärmeröhre mit drei Etagen. Die Koch- und Bratgefäße haben ihren Aufbewahrungsort in einem Repositorium zur Linken des Heerdes.

Rechts vom Heerd dient ein Repositorium von derselben Größe, zur Aufbewahrung der nöthigen Porcellan- und Glaswaaren, den Eckraum des Wagens nimmt ein großes, viereckiges, mit Zink ausgeschlagenes Behältniß zur Reinigung sämmtlichen Küchengeschirrs ein; das Geschirrbrett zum Ablaufenlassen des gereinigten Geschirrs ist rechts zum Ausklappen an die Wand angebracht.

Dem Kochheerd gegenüber, die Mitte der anderen Wagenseite einnehmend, steht der große Anrichtetisch mit zwei Schubkästen, der eine für Küchenmesser und Beile, der andere für die täglich zu wechselnde Küchenwäsche; über dem Küchentisch hängen die Wagschale, um für jede Person des Zugs die bestimmten Fleischportionen abzuwägen. Zur Rechten und Linken des Anrichtetisches sind in zwei gleichgroßen Repositorien die für jeden der zehn Krankenwagen vor und hinter dem Küchenwagen erforderlichen Porzellanenen Trinkbecher in Lattenverschränkungen so aufgestellt, daß sie beim Fahren nicht aneinanderschlagen können; darüber liegen in Charnieren je zehn hölzerne Präsentirteller, groß genug, um die für jeden Krankenwagen nöthigen Speisegeräthe oder Trinkbecher auf einmal zu befördern.

Die linke Wagenecke dieser Seite nimmt das große Wasserreservoir von Zink ein, das etwa sechszig Trage- (sogenannte Pferde-)Eimer Wasser faßt. Die beiden rechten Wagenecken sind für Bänke, Eimer, und sonstige Küchenbedürfnisse reservirt. – Vor jeder der beiden Wagenthüren, auf dem Trittbrette (Plattform) ist ein mit Zink ausgelegter Eiskasten zu ärztlichem Bedarf, sowie zugleich zur Conservirung von Fleisch und dergleichen befestigt.

Wie in jedem Wagen ist auch im Küchenwagen ein Verzeichniß aller in ihm enthaltenen Gegenstände angeschlagen; die Leser erlassen mir aber die Aufzählung des ganzen Inventariums, von den Quirlbrettern bis zu den Saucièren, Compotièren, Butterbüchsen und Zuckerdosen; ein Blick in eine größere Gasthofsküche giebt ihnen dafür Ersatz. Der Unterschied zwischen beiden ist eben nur der, daß jene feststeht und jedes Bedürfniß von außen her sofort befriedigen kann, während die unsere in die Welt hineinfährt. Und Alles, was sie braucht, bei sich haben muß.

Für die Möglichkeit dazu haben die drei folgenden Wagen zu sorgen:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_170.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)