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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Aber auch ein anderes Vermächtniß des Heimgegangenen hat sein deutsches Volk anzutreten: die Pflicht der Sorge für seine Lieben. Venedey hat sechszehn Jahre in glücklicher, nur von seinem Schicksal getrübter Ehe gelebt. Zwei Söhne sind noch der Erziehung bedürftig. Es ist doppelt schmerzlich, daß die Kunde von der Noth, in welcher der treue deutsche Kämpfer seine Lieben zurückgelassen, uns zugleich mit den Ausbrüchen politischer Rohheit mitgetheilt wird, mit welchen man nicht einmal die Sterbestunde eines Venedey verschonte. Als Schriftsteller wie als Volks- und Parlamentsredner hat Venedey stets seine politische Ueberzeugung offen und klar ausgesprochen; die Geschichte und seine eigene Erfahrung hatten ihm, als der Streit, ob „durch Freiheit zur Einheit“ – oder „durch Einheit zur Freiheit“, die Deutschen in zwei Lager auseinanderhetzte, seine Stelle auf der Seite der ersteren angewiesen, und in der Folgetreue seiner Logik hatte auch er sich gegen die zwangsweise Einverleibung von Elsaß-Lothringen in Deutschland ausgesprochen. Indeß war er Realpolitiker und deutscher Patriot in gleichem Maße und genug, um nicht aus Principienreiterei einen Windmühlenkampf zu beginnen. Nachdem durch den großen Kampf des deutschen Volks die Einheit errungen war, beugte er sich dem Beschluß der Mehrheit, überzeugt, daß der Kampf für die Freiheit nun von selbst beginnen werde. Und das ist’s, was man einem Venedey als Verrath vorzuwerfen wagte. Seine Frau schreibt aus Badenweiler über Venedey’s Ende: „Während seiner neuntägigen Krankheit glaubte er auf der Tribüne zu stehen. Er sprach Tag und Nacht von den Rechten des Volkes, besonders für die Glaubensfreiheit. Sein letztes Wort war: ‚Luxemburg muß deutsch werden, Lothringen französisch bleiben?‘ Elf Tage vor seinem Tode wurde er in anonymen und unterzeichneten Briefen des Verraths angeklagt: Bismarck solle ihn bezahlen. Und hätte er nicht selbst am 10. Januar unser Silberzeug auf dem Leihhause in Freiburg versetzt, so hätte ich ihn nicht begraben lassen können.“ Bedarf es mehr als dieser wenigen Worte, um das deutsche Volk daran zu mahnen, was es seinem Geschichtschreiber, Kämpfer und Dulder schuldig sei?

Sogar die „Wespen“ verläßt der Scherz vor einem solchen Grabe; sie schmücken es vielmehr mit dem folgenden poetischen Kranze:

Ein Held der Freiheit und der Wissenschaft,
Vom Volk in guten und in schlimmen Stunden
Als treuer Eckardt sonder Falsch befunden,
Der nur im Dienst des Volkes wirkt und schafft,

So strittest tapfer Du und heldenhaft.
Und ward Dir nie ein Lorbeerkranz gewunden,
Dir galt es gleich, Dich schmückten Deine Wunden
Und das Bewußtsein Deiner edlen Kraft.

Doch ach! zu lange wüthete der Streit,
In dem die beste deutsche Kraft verdorben.
Es brach Dein Herz im Zwist der eh’rnen Zeit.

Jedoch den höchsten Ruhm hast Du erworben:
Dein Leben war dem Vaterland geweiht,
Ihm bist Du auch den Heldentod gestorben[WS 1]!




Aus dem Fort La Briche vor St. Denis haben wir in der letzten Nummer schon die Ansicht der Riesenkanone nach einer Zeichnung von Wilhelm Heine gebracht; heute erhalten wir eine Illustration, welche das Innere des genannten Forts darstellt, und dazu folgende Zeilen:

„Welche Zerstörung St. Denis erfahren, habe ich Ihnen neulich schon mit Stift und Feder geschildert; diese Schilderung mag aber durch das Bild, das ich Ihnen heute schicke, und welches das Fort La Briche sammt Caserne und Pulvermagazin darstellt, ergänzt werden. Verwüstung ringsum. Unsere Granaten haben gräulich gewirthschaftet. Einen Augenblick, da ich das Fort betrat, stand ich wirklich betroffen von dem Anblick der Zerstörung, der sich mir rings bot; dann wandte ich mich vom Eingange links und stieß, an einer Menge sauber geschichteter Haufen von Bomben und Granaten vorbei, zunächst auf die Caserne, welche auch auf meinem Bilde die äußerste linke Seite einnimmt. Der Aufenthalt in ihr muß während des Bombardements sehr unbehaglich, er muß zuletzt unmöglich gewesen sein: denn in einem solchen Trümmerhaufen, als welcher die Caserne jetzt vor mir stand, läßt sich eben nicht mehr hausen. Zerschossene Protzkasten, Lafetten, leere Fässer bedeckten zu Hunderten den Boden und an den freien Stellen ringsherum in den Bastionen hatten die eingefallenen Granaten unzählige tiefe Löcher aufgewühlt. Am ärgsten war das Pulvermagazin mitgenommen, auf meiner Zeichnung im Mittelpunkt.

Alle Maßregeln, die man bei einem solchen Bau zu beobachten hat, waren hier wohl verzehnfacht im Auge behalten worden; es war ein ganz gehöriges Blockhaus, das da zum Schutz des kostbarsten Materials aufgeführt worden war, und dennoch, ich glaube, wenn unsere Artillerie noch acht Tage lang in so verheerender Weise ihre Geschosse hereingeworfen hätte, so wäre auch das Pulvermagazin von La Briche mit einigen Hundert Rothhosen noch in die Luft gegangen. Es ist nur zu loben, daß der Besatzung des genannten Forts diese Himmelfahrt erspart blieb. Jetzt waren rings umher Artilleristen und Pionniere daran, in dem zerstörten Fort aufzuräumen und wieder Hausordnung zu schaffen. Aber das mußte vorsichtig geschehen, denn in dem aufgewühlten Boden lauerte als tückischer Feind manche nichtcrepirte Granate, die ein ganz außerordentliches Recht darauf hatte, mit Schonung angefaßt und auf die Seite geschafft zu werden, wenn nicht der eine oder der andere brave Soldat riskiren wollte, selbst jetzt noch, mitten im Waffenstillstand, um die Freude, in Paris einzuziehen, auf die rascheste und einfachste Weise von der Welt zu kommen.“


Der mythische Kutschke. So hingebend an die Menschheit kann keine andere Nation sich erweisen, wie die deutsche. Während bei unseren guten Nachbarn, den Franzosen, ein Herr Michel Chasles hundertfünfzigtausend Francs für nagelneue „alte Handschriften“ ausgiebt, – das erinnert so sehr an das alleweil neue Paar alter Stiefel des Sandwirths für reisende Engländer in einer Tiroler Bergkneipe –, nur um die französische Naturforscherehre über die Italiens und Deutschlands zu erheben; während die Engländer ihren Ossian zwar in Nebel zerrinnen lassen, aber selbst diesen noch als nationalen Ehrenschleier festhalten; während die Griechen ihrem Homer zwar sieben Geburtsorte geben, aber selbst wenn sie sieben Homere dafür erhielten, keinen einzigen davon hergeben würden zur allgemeinen Ehre der Menschheit: all diesen nationalparticularistischen Thatsachen gegenüber giebt der Deutsche nicht nur seinen Wilhelm Tell, der bekanntlich noch unter „Kaiser und Reich“ stand und folglich ein Deutscher war, der historischen Forschung preis, sondern sogar seinen Kutschke, den großen Kutschke und sein noch größeres Lied überantwortet er dem Secirmesser der Alterthumsmänner der ganzen Erde – zum Besten der deutschen Invalidenstiftung und im Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.

Hier mehr als irgend einmal gilt das treffliche Wort: „Wer’s nicht selbst sieht, glaubt es nicht!“ – Was war die Weisheit der französischen Akademie der Wissenschaften, als sie in dem Schmierhefte eines ungezogenen deutschen Buben die ersten Spuren mexikanischer Keilschrift erkannte, gegen die Sprach- und Quellenkunde unseres Wilhelm Ehrenthal, des Verfassers der kleinen Schrift, vor welcher wir mit dem größten Erstaunen stehen, und seiner gelehrten Herren Mitarbeiter an diesem Meisterstück der Polyglottie! Nur der Deutsche ist fähig, all seine Gelehrsamkeit zusammenzunehmen, um eine seiner Berühmtheiten der ganzen Menschheit zu schenken; nur er vermag es, sich von seinem Liebsten aus Humanitätszwecken zu trennen; nur er überwindet es, sein „Kutschkelied auf der Seelenwanderung“ vor aller Welt darzustellen.

Es ist aber auch eine Freude für ein deutsches Gemüth, die herrlichen Verse vom Herumkrauchen des Napolium in dem Busche etc. nicht nur in alt- und plattdeutscher Zunge, sondern auch in griechischem, lateinischem und hebräischem Urtext, ja selbst in persepolitanischer Keilschrift, in einer Hieroglypheninschrift und in einem ägyptischen Todtenbuch wiederzufinden, wobei mit überzeugendem Geschick der Beweis geliefert wird, daß Orpheus und Kutschke nur Eine Person sind. Sogar eine Sanskritstrophe ist entdeckt worden, welche den wesentlichen Inhalt des Kutschkeliedes zusammenfaßt. Daß dasselbe ein Weltlied ist, wird uns immer klarer, je mehr wir sehen, daß es ebenso gut im Vulgär-Arabischen, wie im Isländischen, ebenso im Altfranzösischen, wie im Provençalischen als alte Perle kriegerischer Volkspoesie glänzt.

Es hieß offenbar einem längst gefühlten Bedürfniß abhelfen, daß unser Weltlied in einem Uebersetzungsanhang auch noch den heutigen Holländern, Dänen, Engländern, Russen, Polen, Litthauern, Oberwenden, Italienern, Spaniern und Franzosen mundgerecht gemacht worden ist.

Den Schluß des wundervollen Werkchens bildet ein wirkliches Bild, eine von H. Kff. in Karnak am 2. December 1869 genommene Abbildung zweier Säulenknäufe nebst Fries, auf welchem letzteren Napoleon im Busch herumkrauchend und von dem behelmten Kutschke entdeckt, auf deren ersteren sinnreich sein Schicksal dargestellt ist, bis es ihn endlich ganz unten zum schwermüthigen Mann zusammengedrückt hat. So schön schließt das Ganze!

F. H.

Die Gartenlaube als Kriegsursache. Was der römischen Priesterschaft möglich war, hat das Haupt derselben durch das Concil und nach demselben offen gezeigt; das wissen wir, denn wir Alle haben es gesehen. – Was aber einer bekannten Richtung der protestantischen Geistlichkeit noch Alles möglich werden wird, läßt sich nur ahnen und liegt für uns hinter unheimlichem Nebel verborgen. Es bleibt uns nichts übrig, als die einzelnen Thatsachen, durch welche die Ziele angedeutet werden, künftig stets zu veröffentlichen.

In der Nähe des weimarischen Städtchens Weida liegt das meiningische Dorf M… Dort verwaltet das Amt der Seelsorge ein junger Mann, welcher es mit seiner religiösen Pflicht im Einklange fand, nicht nur den deutschen Krieg gegen Frankreich als ein Strafgericht des Himmels zu bezeichnen, sondern auch deshalb ausdrücklich zu wünschen, daß die Franzosen in’s Land gekommen wären, um die sündige Welt nach Gebühr zu züchtigen. Und was ist an dem weltlichen Verderbniß schuld, das er in seiner Gemeinde eingebrochen sieht? Das eine Exemplar der Gartenlaube, welches der Schullehrer hält und den Gemeindemitgliedern zum Lesen mittheilt! Es wird uns versichert, daß dieser Geistliche deshalb auf Absetzung des Lehrers angetragen habe; aber auch die Gemeinde richtete eine Eingabe an die Oberbehörde, in welcher sie die Bitte aussprach, ihr den Lehrer zu lassen und den Pfarrer zu nehmen.


Kleiner Briefkasten.

L. A. E. in Wien. Sie haben vollkommen Recht: Anzeigen wie die der Firma A. Friedmann im „Neuen Wiener Tageblatt“ vom 30. Januar dieses Jahres beleidigen die Moral auf das Gröblichste. Es ist kaum anzunehmen, daß der Drucker des Blattes die schamlosen Vignetten auf eigene Faust der Anzeige des Herrn Friedmann vorgesetzt hat; doch gehört gewiß jeglicher Mangel an Selbstachtung dazu, wenn eine Firma durch solche Mittel die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken sucht und unter solche Inserate ihren Namen zu setzen wagt. Vignetten wie diese sind ungestraft nur in Wien und Paris noch möglich.

W. H. in P. u. v. A. Die Adresse ist einfach: Herrn Dr. Roderich Benedix in Leipzig.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gestorbeu
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_172.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)