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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Arme und Unglückliche, sowie an ihrer Rührigkeit als tüchtige Leiterin eines beträchtlichen Hauswesens zu erfreuen. In die mannigfachen Gegenstände, welche ihre Briefe berühren, spielen auch hie und da diese letzteren Interessen hinein, und recht anheimelnd und keineswegs trivial klingt es aus ihrem Munde, wenn sie den Freund um ein ihm bekanntes Recept gegen die erfrorenen Finger ihrer Tochter oder zum Kitten des Porcellans bittet, oder wenn es als Nachschrift eines Briefes heißt: „Haben Sie die Recension von Claudius über Klopstock’s Oden noch nicht gelesen, so schicke ich sie Ihnen. Schicken Sie mir davor bald die Erbsen und Linsen.“ Lessing sind diese Aufträge nicht befremdend, er entledigt sich ihrer mit ganz ernsthafter Gewissenhaftigkeit. Wußte er doch, daß alle die kleinen und großen Züge in dem anmuthigen Charakterbilde seiner Freundin auf einem einzigen, wahrhaft goldenen Grunde ruhten, auf dem Grunde einer unbegrenzten Rechtschaffenheit, vor deren fast schwärmerischer Uebertreibung er sie sogar einige Mal warnen mußte, sowie auf einem seltenen Abscheu vor allem Unwahren und Gemachten. „Sie glauben nicht,“ sagt er ihr bei einer wichtigen Gelegenheit, „wie viel ich auf ein einziges Wort von Ihnen baue und wie überzeugt ich bin, daß so ein einziges Wort von Ihnen auf immer gilt.“ Und in der That konnte sie ohne Verlegenheit nicht die unbedeutendste Nothlüge über die Lippe bringen, ja sie vertheidigt sich sogar deswegen einmal bei dem so peinlich wahrhaftigen Lessing, indem sie ausruft: „Ich kann nicht lügen, Sie wissen, ich bin ein altfränkisch Weib.“

Aber gerade das, was damals in den vornehmen Kreisen Deutschlands schon als „altfränkisch“ belächelt wurde, gerade dieser kernhafte, auf das Gediegene, das Reine und Echte gerichtete Biedersinn, diese von gezierter Empfindelei oder geleckter Frivolität noch nicht angekränkelte alte deutsche Ehrenfestigkeit, gerade das war es, was der kern- und grunddeutschen Natur Lessing’s so wohlthuend in die Seele leuchtete und ihn so unwiderstehlich anzog. Von einer sicheren Erkenntniß zum festen Entschlusse war bekanntlich bei ihm kein weiter Weg. Als die Freundin im Frühling von Wien zurückkehrte und ihn auf der Durchreise in Wolfenbüttel besuchte, da hatte wohl die warme Strömung der Herzen alle Zurückhaltung durchbrochen und es begann nun die Zeit eines heimlichen, selbst den nächsten Verwandten verborgen gehaltenen Brautstandes. Eine bestimmte Andeutung über diesen Wechsel findet sich freilich in den folgenden Briefen nicht, der Punkt wird nur in fast jungfräulich schüchterner, allerzartester Weise berührt, aber unverkennbar ist eine vertraulichere Beziehung, und statt der bisherigen steifen Anrede („meine liebe Madame“ und „lieber Herr Lessing“) heißt es jetzt: „meine liebste Freundin“ und „mein lieber Freund“.

Man sieht, es ruht auf dieser Liebe nicht der romantische Duft einer späteren Epoche, sie hat keine blühenden Rosen durch jugendliche Locken geflochten, hat nicht im Schimmer des Mondes geträumt und nicht in lispelnden Jasmin- und Fliederlauben ihr Wehe und ihre Wonne verseufzt, es war auch nichts in ihr von jener Gefühlstrunkenheit und jenen wilden Gluthen eines brausenden Gemüthslebens, wie es erst der Taumelbecher der Wertherzeit erzeugt und entfesselt hat. Zwei besonnene, gute und hochstrebende, in herben Stürmen geprüfte und geläuterte Menschen finden sich auf der heißen und sorgenreichen Mittagshöhe des Lebens; mit ruhigem und klarem Auge erkennt Jeder von ihnen den echten und seltenen Werth des Andern, und still wächst in allmählichem Verkehr das Edelste ihres Wesens zu einem Bunde ineinander, der an hingehender Aufopferung, an demuthsvoller Kraft des Ueberwindens, an idealer Macht und Wärme der Innigkeit seines Gleichen in der Geschichte menschlicher Herzen sucht. Das war die Liebe Lessing’s und, seiner Eva König, wie sie in ihrem Briefwechsel sich darstellt. Wie ergreifend zum Beispiel klingt es, wenn er sie in ihrem tiefen Schmerze über den Tod ihrer alten Mutter mit den schlichten Worten tröstet: „Wollte Gott, daß Ihnen die Versicherung, bei dem Allen noch eine Person in der Welt zu wissen, die Sie über Alles liebt, zu einigem Troste gereichen könnte. Diese Person erwartet alle Glückseligkeit, die ihr hier noch beschieden ist, nur allein von Ihnen, und sie beschwört sie, um dieser Glückseligkeit willen, sich allem Kummer über das Vergangene zu entreißen und Ihre Augen lediglich auf eine Zukunft zu richten, in welcher es mein einziges Bestreben sein soll, Ihnen neue Ruhe, neues, von Tag zu Tag wachsendes Vergnügen zu verschaffen.“

Und wie zart und anmuthig läßt sie gleichfalls ihr tieferes Interesse zum Ausdruck gelangen, wenn sie ihm einmal schreibt: „Ich schließe diesen Brief in der Nacht um zwölf Uhr, wo ich Sie mir, ermüdet von der Reise, im tiefsten Schlafe gedenke und Ihnen von ganzem Herzen die angenehmste Ruhe wünsche, mir aber die baldige Versicherung, daß Sie sich, von den Fatiguen der Reise erholt, recht gesund und vergnügt befinden. Sie können dann noch wohl was hinzufügen, was mir eben nicht zuwider sein wird. Aber! aber! es müssen lauter Worte sein, die aus ihrem Herzen kommen, so wie es diejenigen sind, mit welchen ich Ihnen sage, daß ich bin, bester liebster Freund, dero aufrichtigste Freundin etc.“

Alle inneren Bedingungen zu häuslichem Glücke waren somit vorhanden, und schon das Lebensalter der beiden Liebenden hätte sie wohl an ein langes Hinausschieben der beschlossenen Vereinigung nicht denken lassen. Das Geschick aber thürmte Berge von widerlichen Schwierigkeiten entgegen. Denn die Verwickelung der König’schen Geschäfts- und Vermögensverhältnisse wollte sich mit aller thatkräftigen Einsicht noch immer nicht entwirren lassen, und der berühmte Lessing war von seinem Herzoge, der bekanntlich Hunderttausende an seine Maitressen verschwendete, noch immer nicht so gestellt, um sich in dem kleinen Wolfenbüttel ein bescheidenes Familienleben gründen zu können. Er erwartete aber täglich die Erfüllung des fürstlichen Versprechens und drang deshalb mit einigem Ungestüm auf baldige Verbindung. Als ihm die Freundin klagte: „Ich wollte gerne in dem elendesten Winkel der Welt Wasser und Brod essen, wenn ich nur aus dem Labyrinth einmal heraus wäre,“ erwidert er ihr in der Hoffnung auf eine schleunige Verbesserung seiner Stellung: „Wenn Sie lieber in dem elendesten Winkel, lieber bei Wasser und Brod leben wollten, als länger in Ihrer gegenwärtigen Verwirrung: so ist Wolfenbüttel Winkels genug, und an Wasser und Brod, auch an etwas mehr, soll es uns gewiß nicht fehlen.“

Wer die Sehnsucht eines liebenden Frauenherzens kennt, wird den schweren Kampf begreifen, den es Frau Eva gekostet hat, das so rührend ausgesprochene und sicher von ihr selber getheilte Verlangen des Freundes abzuweisen. Ihr edler Stolz aber und ihre kluge Gewissenhaftigkeit ließen es nicht zu, dem geliebten, auf hoher Geisteswarte stehenden Manne ein Heer von prosaischen Wirr- und Kümmernissen in’s Haus zu tragen, die sie allein durchleiden und von sich und den Ihrigen abwälzen wollte. Sie antwortete standhaft: „Die ganze verflossene Zeit meines Lebens kann ich ruhig zurückedenken, bis auf den Augenblick, wo ich schwach genug war, eine Neigung zu gestehen, die ich zu verbergen so fest beschlossen hatte; wenigstens so lange, bis meine Umstände eine glückliche Wendung nähmen. Ich bin überzeugt, Sie würden dennoch einen freundschaftlichen Antheil an Allem genommen haben, was mich betroffen hätte; allein Sie hätten nicht meine Angelegenheiten zu Ihren eigenen gemacht, wie Sie jetzt thun, ob Sie es gleich nicht sollten. Denn der Vorsatz bleibt unumstößlich: bin ich unglücklich, so bleibe ich es allein, und Ihr Schicksal wird nicht mit den meinigen verflochten. Meine Gründe hierüber wissen Sie, noch mehr, Ihre Aufrichtigkeit erlaubte Ihnen nicht, sie zu mißbilligen; nennen Sie sie also nicht Ausflüchte – Ihr Wort Ausflucht hat mich gekränket. – Fragen Sie Ihr Herz, ob es in dem nämlichen Falle nicht so handeln würde, und antwortet es Ihnen Nein, so glauben Sie nur, daß Sie mich nicht halb so sehr lieben, als ich Sie liebe. Das Einzige, warum ich Sie bitten will, ist, daß Sie sich durch mich in Ihrem Plan nicht irre machen lassen, sondern eben das thun, was Sie gethan hätten, wenn Sie mich nicht kennten.“

Das war, wie Adolf Stahr in seiner berühmten Lessing-Biographie bemerkt, die Sprache des Tellheim’schen Hochsinnes, und Niemand verstand diese Sprache besser, als Lessing. Er schwieg und mußte im Februar 1772 die Verlobte zum zweiten Male den gefährlichen und traurigen Zug nach Wien unternehmen sehen. Vier Wochen glaubte sie daselbst durch die Ordnung ihrer Sachen festgehalten zu werden. Aber aus den Wochen wurden Monate, aus den Monaten Jahre, drei volle Jahre und sechs Monate der Trennung, der verzehrenden Sehnsucht, der schleppendsten, kummervollsten und verdrüßlichsten Mühsal. Wir schreiben hier keine Biographie Lessing’s, sonst würden wir schildern müssen, was dieser mannhafte Charakter in jenen furchtbarsten Jahren seines bisherigen Daseins an Groll und Beschämung, an tiefem Mißmuth und Aergerniß durchgekostet hat. Die Erfüllung „der einzigen, ernsten

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