Seite:Die Gartenlaube (1871) 183.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Etrurien und anderen berühmten Werkstätten nur aus der umfangreichen Bibliothek ein Unicum, Geschichte Wilhelm’s des Eroberes, von Froissard, einen im fünfzehnten Jahrhundert von der Hand eines französischen Mönches in Kalligraphie ausgeführten Folianten, mit Initialen und Illustrationen von noch frisch erhaltenen Farben. Man hat dem Fürsten für dies Werk einen unglaublichen Preis geboten, aber er war nicht zu bewegen, es zu veräußern; noch vor kurzer Zeit hat die Universität in Leyden mit seiner Erlaubniß von Künstlerhand einige Stellen daraus copiren lassen.

Cottbus, im Februar 1871.


Um Paris herum.

Von Friedrich Gerstäcker.
IV. Die Brücke von Sèvres.

Das vernichtende Granatfeuer um Paris her, das schon anfing, der Hauptstadt selber, trotz der sie schützenden und umgebenden Forts, verderblich zu werden, schwieg. Jules Favre verbrachte den größten Theil seiner Zeit auf dem Wege zwischen Paris und Versailles, und schon die Ueberzeugung, daß ein Waffenstillstand geschlossen sei, trug die Zuversicht eines jetzt unausbleiblichen Friedens in alle Herzen und diese wuchs von Tag zu Tage. Den Parisern wurde verstattet, den bis dahin streng und unerbittlich eingeschlossenen und fast ausgehungerten Platz zu verlassen – wobei sie jedoch noch eines Passirscheins bedurften – und Tausende von ihnen machten Gebrauch davon, um sich theils einmal wieder in den benachbarten Orten wirklich satt zu essen, theils aber auch selber Provisionen mit zurück und zu den Ihrigen zu nehmen.

Der Verkehr, der noch insofern ein höchst einseitiger war, als die Pariser wohl für sich das Recht erlangt hatten, aus- und einzuwechseln, den Fremden, und besonders uns Deutschen, das aber noch hartnäckig weigerten, war überdies dadurch außerordentlich erschwert worden, daß die guten Pariser gleich zu Anfang der Belagerung den größten Theil ihrer Seinebrücken selber gesprengt und jetzt erst nothdürftig wieder hergestellt hatten, aber man konnte doch herüber und hinüber kommen, und das genügte vor der Hand.

Mir war schon gesagt worden, daß an diesen Brücken gegenwärtig ein so interessanter wie bedeutender Verkehr stattfände; ich beschloß deshalb, diese Plätze zu besuchen, und habe es wahrlich nicht bereut.

Am Sechsten Morgens nach dem Frühstück – denn daß unterwegs nur wenig Eßbares zu bekommen sei, wußte ich schon – wanderte ich also den Boulevard St. Cloud hinab aus Versailles zum Thor hinaus und gerade auf das Schloß St. Cloud zu. Der Weg dahin, der zum großen Theil durch schattiges Gehölz führt, mag in früheren und friedlichen Zeiten auch wohl belebt genug gewesen sein – jetzt lag er still und öde. An dem völlig zu Ruinen zusammengeschossenen Garches vorbei, erreichte ich endlich das kleine Städtchen St. Cloud und mit ihm eine Verwüstung, die ich entsetzlicher noch an keiner Stelle Frankreichs wahrgenommen hatte.

Das Schloß St. Cloud war vom Mont Valerien aus in Trümmern geschossen worden, die Stadt selber hatten unsere Truppen angezündet, weil sie dem Feinde eben stete Deckung gewährte – und sie brannte noch. Da und dort züngelte und prasselte die Flamme in den der Zerstörung preisgegebenen Gebäuden empor, aber Niemand kümmerte sich darum – keine Spritze war thätig, keine Hand suchte zu retten. Wozu auch? – die Gebäude waren schon demolirt und geplündert, und wo gierige Burschen noch da und dort zwischen den Trümmern nach irgend einer bisher übersehenen Beute umhersuchten, thaten sie es mit eigener Lebensgefahr, denn die schon von dem Verband gelösten Mauern konnten jeden Augenblick über ihnen zusammenbrechen und sie unter ihren Trümmern begraben.

Vorbei – ich hatte schon zu viel des Elends in diesem unglücklichen Lande gesehen, um mich länger als irgend nöthig bei solchen erneuten Schauerbildern aufzuhalten. Man sagt freilich, daß man zuletzt auch gegen das größte Elend abgestumpft werde, aber bei mir war das noch nicht der Fall. Ich suchte das Freie, d. h. das Ufer der Seine zu gewinnen, und dort fesselte zuerst der fast wunderbar schöne Anblick von Paris meinen Blick.

Da lag die ihrem Geschick verfallene stolze und übermüthige Stadt. Die goldene Kuppel des Invalidendoms funkelte im Licht der heute zum ersten Mal wieder hervorbrechenden Sonne – da lag Notre Dame – da lagen all die mächtigen Kuppeln und Kirchen, umgeben von dem endlosen Häusermeer dieses neuen Sodoms, und nicht satt konnte ich mich sehen an dem wahrhaft prachtvollem Schauspiel.

Paris – unwillkürlich fiel mir der Phrasenmacher Victor Hugo ein, mit seiner bodenlos dummen Proclamation an die Deutschen – da lag seine „Hauptstadt der Welt“ – das „heilige“ oder besser gesagt heillose Paris, beherrscht von unseren Forts, auf denen ringsum die Bundesflagge wehte, ausgehungert, beschossen, gedemüthigt und trotzdem noch voll Phrasen und Größenwahnsinn, und drüben über der Brücke von St. Cloud standen am anderen Ufer der Seine die neugierigen Bewohner der Stadt und konnten für zwei Sous, mit Hülfe der dort von Speculanten aufgestellten Teleskope, nicht allein die Verwüstung betrachten, welche die deutschen „Barbaren“ in der unmittelbaren Nähe ihrer Hauptstadt angerichtet, sondern auch unsere Pickelhauben mit ihren Zündnadelflinten auf der Schulter, behaglich auf den sie umschließenden Wällen spazierengehen sehen, die gebaut waren, um ihr Paris zu schützen, und es jetzt, unter dem Druck unserer Geschosse, gefangen hielten.

Allerlei Volk hatte sich dort versammelt – Blousenmänner und feingekleidete Damen, Kinder und alte Leute, und Nationalgarde in Uniform hielt die Ordnung aufrecht. Mitten auf der dort querüber führenden Barricade aber stand ein kleiner falstaffähnlicher Bursch, die Arme in die Seite gestemmt und von außergewöhnlichem Leibesumfang. Sollte er eine Demonstration sein, und hatten sie ihn vielleicht wattirt und ausgestopft, um uns zu zeigen, daß Paris noch keinen Mangel leide, so lange es solche Exemplare aufzuweisen habe?

Auf dieser Brücke fand übrigens gar kein Verkehr statt; sie war auf beiden Seiten abgesperrt und durfte weder von Franzosen noch von Deutschen betreten werden. Desto lebendiger sollte es aber dafür an der Sèvresbrücke, die etwas weiter unterhalb lag, sein, und ich wandte mich dorthin, nachdem ich vorher zu dem rechts vom Wege ab und auf einer leisen Anhöhe liegenden Schloß St. Cloud hinaufstieg.

Zerstörung überall hier, wohin man den Fuß setzt – aber daß das Schloß Napoleon’s selber von seinen eigenen Granaten verwüstet worden war, was that es hier, wo so mancher brave und tüchtige Bürger sein Eigenthum diesem Menschenschlächter zum Opfer fallen sah! Der Anblick ließ mich vollkommen kalt, und ich freute mich sogar des Bildes, das die alte Schloßruine bot, in der noch einzelne Beutesucher über den Schutt umherstiegen und mit eisernen Haken kratzten und wühlten, ob sie nicht doch noch vielleicht etwas aus der allgemeinen Verwüstung für sich herausfischen könnten. – Es waren das französische Republikaner – Republikaner wenigstens für den Augenblick, oder so lange es ihnen paßte. Was liegt solchem Gesindel an einer Regierungsform? Nur so lange sie darunter rauben und plündern können, hängen sie an derselben und jauchzen ihr zu.

Und gleich dort drüben, kaum ein- oder zweitausend Schritte davon, lag das wegen seiner Porcellanfabrik berühmte Sèvres, und dort spannte sich die allerdings ebenfalls gesprengte, aber doch für Fußgänger wieder hergerichtete Brücke über die Seine nach Paris hinüber. Dort schien auch Leben, denn über die Brücke herüber und hinüber strömten die Leute, und besonders an unserer Seite zeigte sich ein nicht unbedeutendes Gedränge, aus dem nur die Bajonnetspitzen unserer wackeren Landwehr emporragten.

Die Sprengung der Brücke lag nahe dem jenseitigen Ufer, und man hatte dort nur einen schmalen Holzsteg darüber gelegt, um eine Passage für Fußgänger zu erhalten, aber einen merkwürdigeren und eigenthümlicheren Anblick, als diesen nur zeitweilig eröffneten Verkehr zwischen den beiden feindlichen Lagern, habe ich im Leben nicht gehabt.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_183.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2020)