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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

ermöglichen. Es mag auch sein, daß die wohlhabende Bevölkerung sich noch eine ganze Weile gegen Mangel, ja selbst schlechte Nahrung geschützt hatte, während die Proletarier von der Regierung – mit was auch immer – genährt werden mußten, wenn sie nicht in offene Empörung ausbrechen sollten. Aber der ärmere Mittelstand muß schon schwer zu tragende Noth gelitten haben, oder der Mangel hätte sich hier nicht so offenkundig und am hellen Tage gezeigt, denn hier gab es kein Verheimlichen mehr, und der Schrei nach Brod tönte von allen Lippen.

Viele bekamen auch Brod, aber in einer Weise, wie ich es nie gewünscht hätte, von unseren Soldaten zu sehen, denn Einzelne von ihnen, Gott sei Dank nur wenige, machten sich die Noth der armen Menschen zu Nutze und eröffneten ein Wuchergeschäft mit der Gottesgabe. Die langen, aber sehr leichten Laibe Weißbrod, ohne die nun einmal der Franzose so wenig existiren kann, daß er lieber Fleisch und Gemüse entbehrt, wenn er nur solches Brod und Wein bekommen kann, wurden zu zwei, drei, ja vier Franken an die Hungrigen verkauft, und wer das Geld hatte, gab es, o so willig! hin. Hunderte aber hatten es nicht. Ein altes Mütterchen mit einem bleichen jungen, recht krank aussehenden Mädchen neben sich, drängte sich vor und streckte die Hand nach einem der Brode aus, die wie zur Schau mitten zwischen den Zinken der spanischen Reiter lagen.

„Was kostet das Brod?“ fragte sie schüchtern.

„Drei Franken – trois Franken,“ sagte ein dabei stehender Soldat und hob, zu besserem Verständniß, drei Finger empor. Die Alte zog scheu die Hand zurück – wo hatte sie drei Franken? – im Nu aber war sie von Anderen, wohl nur ebenso Hungrigen, aber Stärkeren zurückgedrängt und eine kecke Hand streckte sich sogar hinter der Schulter eines Anderen vor, um sich das Brod womöglich ohne Bezahlung anzueignen. Damit war es aber Nichts, denn die Leute hatten darin wahrscheinlich schon Erfahrungen gemacht und paßten wacker auf, und es dauerte auch nicht lange, so war dieses Brod, wie manches andere nachfolgende, an Leute verkauft worden, die keinen Passirschein aufweisen und deshalb auch nicht nach Sèvres hinein konnten, um Lebensmittel dort zu menschlichen Preisen einzuhandeln.

Und immer mehr des Elends drängte sich herbei – Knaben und Mädchen, Männer und Frauen – wildes, ruppiges Gesindel dazwischen, aber auch manches bleiche, abgemagerte Gesicht – Frechheit und Jammer, Rohheit und still duldendes Elend, das nur der Hunger an die deutschen Vorposten trieb, um dort eine Linderung zu finden. Das schwärmte auf und ab, das wogte herüber und hinüber, und wurde zuletzt so arg, daß unsere Soldaten schon den Moment kommen sahen, wo die wahrhaft verzweifelte Menge den Versuch machen würde, die spanischen Reiter bei Seite zu werfen und den Durchgang zu forciren, was sie dann hätten mit den Waffen in der Hand zurückweisen müssen.

Aber der französischen Wache da drüben konnte der hier entstehende Unfug ebensowenig entgehen, und da sie ganz besonderen Auftrag haben mochte, jeden Friedensbruch in dieser Zeit des Waffenstillstandes zu vermeiden, so kam plötzlich ein kleines Commando von Nationalgarde die Brücke entlang und trieb das Volk von den spanischen Reitern fort, und dann einfach zurück nach der französischen Linie an der anderen Seite der Brücke.

Neben mir stand ein alter Landwehrmann, der bis dahin kein Wort geäußert und sich nicht von der Stelle gerührt hatte. Nun erst, als das hungrige Volk zurückgetrieben wurde, sagte er, indem er langsam mit dem Kopf schüttelte:

„Ich wollte, ich hätte das hier nicht gesehen, denn ich werde es mein Lebtag nicht vergessen. Hol’ der Teufel den Krieg!“

Der Mann hatte vollkommen Recht – auch mir war es bei dem Anblick eisig kalt über den Rücken herunter gelaufen und trotzdem – haben es die Pariser besser gewollt? ja fühlen sie selbst in diesem Augenblick, der sie thatsächlich gedemüthigt zu des Siegers Füßen steht, ihre Niederlage? – Nein und abermals nein, denn wo sich ein Deutscher in Paris, gerade in dieser Zeit, blicken ließ und als solcher erkannt wurde, da konnte er von Glück sagen, wenn ihn die Polizei oder die Nationalgarde in Gewahrsam nahm und in Haft brachte, denn dem Volk überlassen, hätte ihn dieses gesteinigt ober zerrissen. Und trotzdem sandten gerade die Deutschen in jenen Tagen Zug nach Zug mit Lebensmitteln in die schon fast zur Verzweiflung getriebene Stadt, um dem bleichen Hunger zu wehren, der an die Pforten pochte.

Der Abend war inzwischen angebrochen, die Sonne neigte sich wenigstens dem Horizont zu und schien voll und klar noch auf die goldene Kuppel des Invalidendoms, auf welchen die Sèvres-Brücke in schnurgerader Linie zulief. Und nun trafen ganze Schaaren Pariser, die wahrscheinlich Morgens die Stadt schon verlassen hatten und jetzt ihrer Heimath wieder zueilten, an der Brücke ein, um durchgelassen zu werden. Viele davon waren Leute aus den Vorstädten mit blauer Blouse und noch ziemlich gesund aussehenden Gesichtern, die sämmtlich einen Doppelsack über den Schultern trugen und die daheim sehnlichst erwarteten Lebensmittel mitbrachten. Aber auch sehr viele Herren in schwarzen Fracks, mit Cylinderhüten und Glacéhandschuhen sah ich, die den schmutzigen Weg nothgedrungen zu Fuß zurückgelegt hatten – aber Alle, ohne Ausnahme, tragen wenigstens eins der langen schwammigen Weißbrode (an deren Genuß ich mich selber nie habe gewöhnen können) unter dem Arm. Viele thaten das ganz offen und machten sich nichts daraus, wenn ihnen das Mehl am Frack klebte und wenn die Leute sahen, was sie heimbrachten, ja sie waren vielleicht stolz darauf. Andere transportirten ihre Beute, zwei oder drei Brode zusammen, sorgfältig in Papier eingepackt und mit Bindfaden umschnürt. Ja, ich sah sogar ganz anständig gekleidete junge Leute, die sonst vielleicht mit Kneifer und Spazierstock auf den Boulevards flanirten mit einem gewöhnlichen hölzernen Schiebkarren vor sich, in dem sie eine größere Quantität von Lebensmitteln im Triumph heimführten.

Dahin ist es mit den Parisern gekommen, und trotzdem haben noch Pariser Zeitungen die Frechheit, von dem gesetzgebenden Körper zu verlangen daß er entscheiden solle, ob der Krieg weiter geführt, oder Friede geschlossen werde. Sie schwindeln sich vor, daß die Welt mit Bewunderung auf sie blicke, während sie es doch nur mit tiefem Bedauern thut – sie sind immer noch das erste Volk der Welt und halten sich, weil sie Kabylen, Mexikaner und Chinesen besiegt, für die größten Helden der Erde.

Da drüben lagen die Kuppeln der großen prachtvollen Stadt im scheidenden Sonnenlicht – da drüben lag Glanz und Pracht einer Stadt, in die Jahrhunderte ihre Schätze gehäuft, während hier draußen die Kinder derselben um ein Stück Brod bettelten oder elegant gekleidete Herren, den langen Laib Brod unter dem Arm, scheu und verdrossen der preußischen Wache ihren Legitimationsschein vorzeigten, um wieder auf ihr eigenes Terrain gelassen zu werden.

Die Brücke von Sèvres war, wie gesagt, nur für Fußgänger passirbar, auf der von Neuilly dagegen kreuzten die verschiedenen Fuhrwerke aus und ein, und der Verkehr war dort ein viel bedeutenderer, aber gerade hier bei Sèvres zeigte sich das in der Stadt herrschende Elend auch in viel schärferem Grade, und wie sehr auch die französischen Phrasen versuchen mögen es zu übertünchen oder gar wegzuleugnen – wer Zeuge dessen war, was hier geschah, wird es, wie jener Landwehrmann – „nie im Leben vergessen.“




 Was ist der Krieg?

Der Krieg ist eine schlimme Lage,
In welche die Gewalt uns preßt;
Der Krieg ist die bescheidne Frage,
Was sich ein Volk wohl bieten läßt.

5
Er ist ein teuflischer Berather,

Der Böses will und Böses schafft;
Ein unnatürlich schlechter Vater,
Schwächt er der eignen Kinder Kraft.

Der Krieg ist nichts, als ein Verschwender,

10
Deß Luxus Niemand kommt zu gut;

Ein Jammer-, Noth-, und Sorgenspender
Aus Dünkel oder Uebermuth.

Ein Handel ist’s, bei dem der Krämer
Im Leben keine Seide spinnt;

15
Ein Lotto, wo der Unternehmer,

Sowie der Spieler nichts gewinnt.

Ein Buch, das uns mit jedem Blatte
Nur roher, schlechter, dümmer macht;
Ein Landtag, wo bei der Debatte

20
Die Leidenschaft als Präses wacht.


Ein Arzt ist’s, der, statt zu curiren,
Nur immer tiefre Wunden schlägt;
Ein Richter, der beim Processiren
Den Preis als Raub von dannen trägt.

25
Ein Licht, das selbst in finstern Zeiten

Auch nicht den kleinsten Raum erhellt;
Ein falscher Freund, der, irr’ zu leiten,
Sich Volk und Fürsten zugesellt.
 A. V.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_186.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)