Seite:Die Gartenlaube (1871) 200.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Wie viel ist denn darin?“

„Ach, nehmen Sie es nicht übel, es ist nur ein Thaler, den ich meiner Frau schicke. Mehr hab’ ich von meinem Sold bisher nicht erübrigen können. Sie kann unser Kind nicht stillen, weil sie auf Arbeit geht; von dem Thaler kann sie wenigstens Milch kaufen. Ich wollte darum nicht darauf schreiben, daß Geld darin ist, weil es sonst gleich in dem ganzen Dorfe herum ist: ‚Fritze Nujahn hat Geld geschickt!‘ Dann kommt der Krämer, dem wir zwei Thaler, und die Hebamme, der wir noch einen Thaler schuldig und, und wollen Geld haben, und meine Frau in ihrer Angst – ja, die giebt’s hin. In drei Wochen will ich wieder etwas schicken; dann sollen die Schulden zum Theil wenigstens bezahlt werden – aber den Thaler soll meine Frau behalten.“

„Gut, dann schicken Sie den Brief als einfachen Brief; ankommen wird er eben so sicher wie ein Geldbrief. Aber machen Sie das Couvert noch einmal auf. Hier ist ein anderes; hier können Sie auch noch einmal die Adresse schreiben.“

„Warum denn das, Herr Postdirector?“

„Warum? Ich – ich muß mich überzeugen, ob der Papierthaler auch darin ist.“

Das sagte aber der Secretär nur so; vielleicht liegt in dem Briefe, wenn er in dem ärmlichen polnischen Dorfe ankommt, das Dreifache von dem, was der pflichttreue Gatte und Vater in Frankreich eingesiegelt hat. Wer weiß, vielleicht war’s ein Heckethaler, den er gerade gefaßt hat; die sollen, wie man sagt, im Handumdrehen mehr werden.

„Noch ein Geldbrief!“ ruft der Secretär, von einem neu eintretenden Soldaten einen Brief empfangend. „Das geht ja heute, als ob’s der Erste im Monat wäre. Aber über hundert Thaler werden nicht angenommen, sag’ ich Ihnen gleich.“

„Hundert Thaler? Ach du lieber Gott! So viel Geld hab’ ich noch nicht gesehen. Zehn Silbergroschen sind drin.“

Dieser Betrag als Privatgeldsendung war dem Beamten noch nicht vorgekommen.

„Ach, schicken Sie’s nur fort, Herr Expeditor! Sehen Sie, ich will Ihnen ja auch sagen, wofür diese Summe ist. Beim Ausrücken aus der Garnison hat mir mein Bruder vier Thaler eingesteckt. ‚Wenn Du was brauchst, wenn Du mal einen Extraappetit kriegen solltest; verstehst Du mich?‘ ‚Ach wo,‘ sprach ich, ‚wo werde ich denn Geld von Dir nehmen!‘ ‚Sei kein Hansnarre,‘ spricht er wieder. ‚Nimm’s nur; was Du übrig behältst, kannst Du mir wiedergeben.‘ Nun hab’ ich aber im Anfang der Campagne immer sehr vielen Hunger gehabt und auch drei Thaler zwanzig Silbergroschen von dem Gelde ausgegeben; aber nun haben wir Alles genug, nun liegen wir immer in feinen Quartieren, die Kopfkissen haben Garnirungen, die Pommedeterres sind auf französische Art gemacht, und die gebratenen Puten haben alle noch ihre Köpfe, wenn sie auf den Tisch kommen – kurz, es geht uns sehr gut, und da ich nichts mehr von den vier Thalern brauche, muß ich doch als preußischer Soldat auch ein ehrlicher Kerl sein und ihm das Uebriggebliebene nach Hause schicken. ‚Was Du übrig behältst, kannst Du mir wiedergeben,‘ hat er gesagt, und nun, Herr Expeditor, nun bitte ich über meine zwei Fünfgroschenstücke um einen Postschein.“

Der Litthauer war gegangen; auch der Absender des zweiten Briefes ist abgefertigt worden. Er hat seinen Schein bekommen, seine Sendung ist in zwei Bücher eingetragen worden, um seinen Brief wird ein eigenes Couvert gemacht, mit Bindfaden umwunden, versiegelt, Alles das um zehn Silbergroschen. – Der Secretär sieht auf die Uhr und findet, daß die Post lange ausbleibt. Wilke erinnert an die schlechten Wege und daß das eine Pferd seit gestern lahme.

„Und dann ist ja auch noch Hänfling nicht da,“ meint Brodhuhn im Scherze. „Ehe er nicht da ist, eher kann auch die Post nicht kommen.“

In dem Augenblick thut sich die Thür auf, die kurze gedrungene Gestalt eines Trainsoldaten erscheint und mit ihr das komischste Gesicht, das man sehen kann: als ob es in Kautschuk gedrückt wäre und die eine Hälfte desselben lacht, während die andere weint. Bedächtig macht der Eintretende die Thür hinter sich zu, geht langsam einige Schritte vorwärts, sieht sich nach allen Seiten um und sagt ernst und feierlich:

„Guten Abend in’s Local!“

„Nun ist die Brieftaube ja da!“ meint Wilke.

„Verzeihen Sie, ich gehöre zu das Geschlecht der Hänflinge, und mein Herr heißt mich flattern, um die Post zu holen.“

„Bedaure, Herr Hänfling, Sie müssen sich noch etwas gedulden; aber da Sie da sind, kann die Post unmöglich lange bleiben.“

„Heute ist mein Herr zu happig auf Briefe – man kann’s ihm ja nicht verdenken, morgen ist sein Geburtstag; jeder Mensch ist froh, geboren zu sein; nun hört er gern, wenn auch Andere ihm sagen, wie glücklich sie sein Dasein mache. Na, das Papier ist ja geduldig. Herr Sekertär, erlauben Sie, daß ich meine Füße ein wenig an’s Kaminfeuer halte? Die Sohlen von den Parisern sind zu dünn und das Schneewasser beißt sich überall durch, wie die Mäuse durch die Speckseite.“

„Warum tragen Sie denn auch immer Pantoffeln? An Stelle Ihres Herrn hätte ich es Ihnen schon längst untersagt. Das ist gar nicht militärisch.“

„Militärisch nicht, mein Sekertär, aber seelenvoll. Sehen Sie, Herr Sekertär, diese Pariser hat mir meine Alte in den Krieg mitgegeben; Kinder haben wir nicht, daß sie auf den linken Fuß derselben den Knaben, auf den rechten vielleicht das Mädchen hätte sticken können; aber einen Hund haben wir, und den hat sie mir zur Erinnerung mit ihrer kunstvollen Hand in Wolle genäht. Hier können Sie’s sehen. Da ich aber während des Tages keine Veranlassung habe, an meine Emilie zu denken, so ziehe ich des Abends die gestickten Pariser an, um mich im Geiste zu ihr zu versetzen. Sagen Sie, Herr Sekertär, ist in letzter Zeit keine unserer Posten durch die Franctireurs abgeknöpft worden?“

„Daß ich nicht wüßte, Hänfling.“

„Schade darum, daß die Franctireurs keine erwischt haben. Es wäre mir sehr lieb gewesen.“

„Wieso denn?“

„Gestern hat mir meine geliebte Emilie in einem Schreibebriefe vier Seiten voll Vorwürfe gemacht, daß ich so lange nicht geschrieben. Wenn nun glücklicher Weise uns so ein Malheur arrivirt wäre, so könnte ich ihr doch schreiben, daß ein langer Brief an sie durch die Franctireurs abgekniffen worden ist und daß sie bedenken möge, daß das Alles nicht so glatt abgeht wie zwischen Berlin und Potsdam, sondern daß wir hier im blutigsten Kriege sind. Aber heute scheint die Post überfallen worden zu sein.“

„Hänfling, malen Sie mir den Teufel nicht an die Wand! Wir haben heute an die sieben Paketsäcke dabei, und fast werde ich ein wenig unruhig, da Götting, der beim Wagen, doch ein so gewissenhafter Schaffner ist.“

Da läßt sich von der Straße das Pferdegetrappel vernehmen und das Rollen eines schweren Wagens. Brodhuhn geht hinaus, um demselben das Postlocal zu zeigen. Die übrigen im Locale Befindlichen lauschen hinaus.

„Ist es der Postwagen?“

„Es scheint nicht so, er fährt zu schnell,“ bemerkt Wilke, „und durch die Ortschaften fahren unsere Postillone immer langsam.“

Auf dem Gesichte der Beamten prägt sich lebhafte Besorgniß aus. Der Wagen kommt näher, er fährt jetzt draußen vor, er ist’s, die Post ist angekommen. Draußen hört man die eiserne Stange fallen, welche den Wagen verschließt, und im Bureau erscheint nun der Schaffner Götting, den Beutel mit den Werthsachen in der Hand, halb erfroren trotz Decken und Mantel. Er war nicht durch Franctireurs angegriffen worden, aber ein Wagenrad war gebrochen und mußte in einem Dorfe erst ausgebessert werden.

„Die Post ist da!“ rufen in allen an der Hauptstraße gelegenen Wohnungen die Herren, welche den Wagen hatten ankommen hören, ihren Burschen zu; in Zeit von einigen Minuten ist der Platz vor dem Locale äußerst belebt, aber die Herren Burschen dürfen nicht eher eintreten, als bis die Post sortirt ist. In einer Viertelstunde ist das geschehen, und nun wird ein Herrenname nach dem andern aufgerufen, und der Bursche empfängt für denselben die Briefe, Zeitungen und Pakete. Wilke fliegt als Brieftaube mit den Sachen des Obercommandos nach dem Bureau desselben. Auch uns ist ein Brief mit einer angenehmen Botschaft zugekommen, und wenn wir auch ein Stündchen warten mußten, so wünschen wir nur, daß dasselbe unseren lieben Lesern nicht langweilig geworden.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_200.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)