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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


– „und Friede auf Erden!“
Mit Abbildung.

Der Todesrabe flog so lang’
Her über den Rhein und sein Krächzen drang
Zu den Herzen durch Wände und Mauern.
Tief unter der Erde der Bergmann lauscht,
Wenn droben der schwarze Fittig rauscht,
Durch die Werkstatt zittert ein Schauern,
Der Schiffer am Steuer, der Bauer am Pflug,
Der Jäger im Wald, – wo der Fittig schlug,
Erfaßt ihre Seele das Trauern.

Und der hoch auf dem Thurm, lief unten die Welt,
Bei Tag und Nacht das Wachthorn hält,
Der Thürmer sollt’ ihn nicht sehen?
Er soll nicht hören des Raben Schrei? –
Ist doch sein eigener Sohn dabei,
Und die Liebste sein hilft ihm spähen,
Und die blinde Mutter, bei Nacht und Tag
Vernimmt sie den leisesten Flügelschlag,
Und Alle beten und flehen!

Und siehe, da leuchtet’s vom Abend her
Hell über der Deutschen Land und Meer;
Sie kommt, sie kommt geflogen,
Die Friedenstaube im Freudenstrahl
Kommt hoch daher über Berg und Thal
Mit dem heiligen Oelblatt gezogen –
Auch über des Thurmes Wächterhaus,
Das willkommjubelnde, spannet sich aus
Des Himmels Friedensbogen.

Doch seid leise, die Ihr, voll Friedenslust
Die siegesstolze deutsche Brust,
Zu solchem Bilde tretet!
Da ist die große Seligkeit,
Die in dem großen Herzeleid
Vom Himmel Ihr erflehtet.
Wie ruht sich’s Herz an Herzen aus!
Der Alte winkt’s in die Welt hinaus,
Das blinde Mütterlein betet.

F. H.




Das bairische Wunderöl.


Vermag sich selbst die Mehrzahl der Gebildeten des Glaubens an „viele Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen sich unsere Philosophie nichts träumen läßt,“ nicht zu erwehren, so haben wir davon, welche Macht der Aberglauben auf die Geister der großen Masse ausüben muß, tagtäglich die schlagendsten Belege vor Augen. Der vernünftigsten Vorschrift des rationellsten Arztes tritt sowohl der Kranke als dessen Angehörige in der Regel mit einem gewissen Zweifel entgegen, auf die unsinnigsten Rathschläge und Mittel eines Quacksalbers, eines Schäfers, Scharfrichters, alten Weibes und so fort schwört man Stein und Bein, und so kommt es, daß die Hoff, die Daubitz, die Dittmann und andere unglückselige Lohgerber nicht nur nicht aussterben, sondern alle Tage neue und erfolgreiche Nachfolger finden. – Je einfältiger und widersinniger der Humbug ist, um so gläubigere Anhänger gewinnt er; das Unbegreifliche ist’s ja eben, was den Menschen anzieht, weil er nur zu oft wahrnimmt, daß sich nicht alle Dinge und Erscheinungen um ihn herum mit dem Verstande begreifen und erklären lassen.

Zu den betriebsamsten Förderern dieses, sowie hundertfachen anderen Aberglaubens haben zu allen Zeiten die Priester jedweden Bekenntnisses gezählt und werden dazu zählen bis zum Ende aller Dinge. Ihr Reich ist ja nicht von dieser Welt, das heißt: es ist nicht das Reich des gesunden Menschenverstandes und der klaren Vernunft, sondern das Reich geistiger Umnebelung und Verdunkelung, und Alles, was mehr oder weniger nach Wunder schmeckt, heißen sie als zweckdienliches Werkzeug ihrer Verfinsterungsbestrebungen willkommen. Am liebsten ist es ihnen natürlich, wenn sich die Gelegenheit darbietet, ein solches Wunder im großen Style in Scene zu setzen, etwa eine leibhaftige Erscheinung der Jungfrau Maria oder wenigstens eines der vielen heiligen Fürbitter und Nothhelfer. Indeß, so Imposantes läßt sich leider nicht alle Tage bewerkstelligen, und da nehmen denn die schwarzen Herren auch mit geringeren Leistungen auf diesem Gebiete fürlieb, mit Wundertränkchen und Wundermitteln, Alles zur größeren Ehre Gottes und Sanct Geldbeutels, des Heiligsten unter den Heiligen der Christenheit und der Judenschaft.

Einer der frechsten und – einträglichsten dieser Wunderschwindel wird noch heutigen Tages in Baiern getrieben; er kennzeichnet zugleich die Stützen jener Partei, welche über die Erhebung und Neugestaltung Deutschlands Mord und Zeter geschrieen und mit Hand und Fuß wider die von jedem Patrioten so lange und heiß ersehnte Einigung des Vaterlandes angekämpft hat. Deshalb ist vielleicht jetzt gerade der rechte Moment, daß die Gartenlaube sich den sauberen Wunderkram einmal auf’s Korn nimmt.

In der wohlbekannten Stadt Eichstädt in Mittelfranken lebte vor neunhundert Jahren eine sehr fromme Dame, Walpurgis mit Namen. Sie war Stifterin und Aebtissin eines Benedictinerfrauenklosters und wurde wegen ihres gottseligen Wandels alsbald in die Zahl der Heiligen aufgenommen, als welche sie noch heutigen Tages einer hohen Verehrung genießt. An der Stelle nun, wo man einst die sterblichen Ueberreste der berühmten Nonne in die Gruft gesenkt, begab sich nachmals, damit der Segen der heimgegangenen Aebtissin auch über den Tod hinaus dem Kloster und der Christenheit zu Theil werde, ein erhabenes Wunder: aus einem Steine der Grabstätte sprudelte ein merkwürdiges wasserklares Oel, das selbstverständlich nur zur Heilung der kranken Menschheit und zu ihrer Errettung aus allerlei anderen Fährlichkeiten gespendet sein konnte. Die gottseligen Schwestern des heiligen Benedict hatten darum nichts Eiligeres zu thun, als das Gnadenöl aufzufangen, in kleine Flaschen zu füllen und als Heilmittel wider jegliche Gebrechen des menschlichen Leibes anzupreisen. Wir brauchen nicht erst zu versichern, daß das Wundermittel einen reißenden Absatz fand, wohl aber müssen wir sagen, daß die hochlöbliche medicinische Facultät zu Pavia in Italien ihm ein förmliches Ehrendiplom ausstellte und damit dem Handel die wissenschaftliche Sanction ertheilte. Jahrhunderte lang ist das heilige Oel der Kirche zu St. Walpurgis in Eichstädt zum wahren Gnadenbronnen geworden, und noch heutigen Tages gehen alljährlich Tausende von Fläschchen davon in die katholische und nichtkatholische Welt, obschon das Geschäft nach und nach einen kleinen Stoß erlitten zu haben scheint. Damit aber der segenspendende Quell nicht am Ende völlig in Mißachtung gerathe, verbreitet man an maßgebender Stelle eine Schrift unter dem Titel „Lebensbeschreibung der heiligen Aebtissin Walpurg, sammt einem Anhange von neuen Wohlthaten. Zum Drucke befördert von P. Johann Evangelist Reichmayer, Benedictiner und Capitular im fürstlichen Reichsstift zu St. Emmeran in Regensburg, Pfarrer und ordentlichem Beichtvater des berühmten löblichen Frauenklosters Ord. S. P. Benedicti zu St. Walpurg in Eichstädt.“ Der Ursprung dieses Werkes datirt zwar noch aus dem letzten Decennium des vorigen Jahrhunderts, allein man hat es fort und fort neu aufgelegt und mit weiteren Sammlungen wunderbarer Heilungsmärchen bereichert.

Von Anfang an haben Geistliche, katholische und protestantische, das Mögliche geleistet, die lichtbringende Presse Guttenberg’s zu mißbrauchen; ein abgeschmackteres und erbärmlicheres Machwerk als die angeführte Schrift hat aber selbst diese Literatur kaum aufzuweisen. War das Buch, ein ganz stattlicher Band von dreizehn Bogen, bei seiner Veröffentlichung schon der tollste Hohn auf das Zeitalter und den gesunden Menschenverstand, so wird es jetzt, wo, Gott sei Dank! das Licht doch immer eine wachsende Anzahl von Köpfen zu erhellen beginnt und wo namentlich die Kenntniß der Natur und ihrer Kräfte und Gesetze sich mehr und mehr verbreitet, geradezu ein Hochverrath

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_202.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2020)