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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

das durch die Reise im höchsten Grade erbitterte Thier in möglichst schlechter Laune.

Ich will ehrlich sein und bekennen, daß in mir zuweilen ein sehr ungerechtfertigter und unverzeihlicher Verdacht aufgestiegen war, Freund Claudius möge sich doch geirrt und einen dunkeln Iltis für den Nörz angesehen haben, wie es so manch Anderem vor ihm geschehen war. Der erste Blick auf das angekommene Thier belehrte mich jedoch eines Besseren. Das war kein Iltis, wohl aber ein sehr naher Verwandter desselben und keineswegs ein richtiges Mittelglied zwischen Iltis und Fischotter, wie man bisher angenommen, sondern bis auf die an die Fischotterpranken erinnernden Tatzen vollständig Iltis. Eine Eigenschaft unseres Thieres fiel uns übrigens augenblicklich noch auf: es verbreitete nicht den geringsten Geruch, wie es ein Iltis, das Stinkthier Europas, unter ähnlichen Umständen unbedingt gethan haben würde.

Der neue Ankömmling, welcher ein ärgerliches Knurren und Zwitschern vernehmen ließ, sich überhaupt sehr unwirsch geberdete, wurde nunmehr mit gebührender Sorgfalt in den für ihn bestimmten Käfig gebracht, um beobachtet zu werden. Leider muß ich sagen, daß das Ergebniß dieser Beobachtungen meinen Erwartungen in keiner Weise entsprach. Doch trifft die Schuld hiervon weniger den Nörz als die Räumlichkeit, in welcher er untergebracht ist. Während des ganzen Tages liegt unser Raubthier zusammengeringelt auf seinem Lager, welches in einem vorn verschließbaren Kästchen angebracht worden ist, und nur selten, nicht einmal immer durch Vorhaltung von Leckerbissen, gelingt es, ihn aufstehen zu machen und hervorzulocken. Erst ziemlich spät am Abend, jedenfalls nicht vor Sonnenuntergang, verläßt er das Lager und treibt sich nun in dem leider recht engen Raum seines Käfigs umher. Diese Lebensweise beobachtet er einen und alle Tage, im Sommer wie im Winter, und daraus erklärt sich mir zur Genüge die allgemeine Unkenntniß über sein Freileben. Den Edelmarder kann man im Walde unter Umständen aufspüren und gewaltsam aus seinem Versteck heraustreiben, im Sommer auch wohl mit seinen Jungen spielen oder der Eichhornjagd obliegen sehen; der Steinmarder und Iltis lassen sich als Bewohner alter oder doch stiller Gebäude mindestens in hellen Mondnächten beobachten, und der Fischotter wählt sich, wenn er sich zeigt, die breite Wasserstraße; wer aber vermag im Dunkel der Nacht dem Nörz in seinem eigentlichen Heimgebiete, dem Bruche oder Sumpfe, zu folgen? In seinen Bewegungen steht das Thier, soweit man von dem im engen Raume untergebrachten Gefangenen urtheilen kann, dem Iltis am nächsten. Er besitzt alle Gewandtheit der Marder, nur nicht die Kletterfertigkeit der hervorragendsten Glieder dieser Familie und ebensowenig die Bewegungslust oder Freudigkeit derselben. Man möchte sagen, daß er keinen Schritt unnütz thue.

Ein Edel- oder Baummarder vergnügt sich im Käfige zuweilen stundenlang mit absonderlichen Sprüngen, indem er gegen die eine Wand seines Käfigs setzt, zurückschnellend sich überschlägt, in der Mitte des Raumes auf den Boden springt, nach der andern Wand sich wendet und hier wie an jener verfährt, kurz die Figur einer Acht beschreibt, und zwar mit solcher Schnelligkeit, daß man vermeint, diese Zahl durch den Leib des Thieres gebildet zu sehen. Auf solche Spielereien läßt sich, soweit meine Beobachtungen reichen, der Nörz niemals ein. Trippelnden Ganges schießt er mehr, als er geht, seines Weges dahin, gleitet rasch und behend über alle Unebenheiten weg, hält sich aber immer auf dem Boden und strebt nie nach der Höhe. In das Wasser geht er aus freien Stücken nicht, sondern nur, wenn er muß, insbesondere, wenn ihm eine Beute dort winkt. Bei allen Bewegungen ist das sehr klug aussehende Köpfchen nicht einen Augenblick lang ruhig; die scharfen Augen durchmustern ohne Unterlaß den ganzen Raum, und die kleinen Ohren spitzen sich soweit als möglich, um das wahrzunehmen, was jenen entgehen könnte. Reicht man ihm jetzt eine lebende Beute, so ist er augenblicklich zur Stelle, faßt das Opfer mit vollster Mardergewandtheit, beißt es mit ein paar raschen Bissen todt und schleppt es in seine Höhle. Schmidt beobachtete, daß er Frösche an den Hinterschenkeln packte und diese zunächst durchbiß, um den Lurch zu lähmen; ich habe stets gesehen, daß er sie wie alle übrigen ihm vorgehaltenen Thiere am Kopfe packte und diesen so schleunig als möglich zermalmte. Hat er mehr Nahrung, als er zunächst bedarf, so schleppt er ein Stück nach dem andern nach seiner Höhle, frißt jedoch in der Regel von dem ersten eilfertig ein wenig und wirft es erst dann zur Seite, wenn ein anderes lebendiges Thier seine Mordlust wieder erregt. Fische und Frösche scheinen ihm die liebste Beute zu sein, obgleich Claudius meinte, daß er Fleischkost allem Uebrigen vorziehe und Fische nur dann verzehre, wenn er kein Fleisch bekommt. Soviel ist ganz richtig, daß er Fische liegen läßt, wenn ihm eine lebende Maus, ein Vogel oder Lurch gereicht wird; es reizt ihn dann das Bewegen seiner Beute, und er beeilt sich gleichsam seine Fertigkeit im Fangen und Abwürgen zu zeigen. Hat er aber seine Opfer getödtet und reicht man ihm dann einen Fisch, so pflegt er letzteren zuerst zu sich zu nehmen.

So geschieht es bei uns, vielleicht blos deshalb, weil Fische seine regelmäßige Nahrung bilden und er sich mehr an diese als an Fleisch von warmblütigen Thieren oder Lurchen gewöhnt hat. Denn daß Gewöhnung bei der Auswahl seiner Speisen ebenfalls das Seinige thut, beweisen Schmidt’s Beobachtungen an einem andern Gefangenen, welcher Krebse ohne Weiteres packte und sich nicht einmal dadurch stören ließ, daß ihn eins oder das andere dieser Thiere mit den Scheeren wacker zwickte, während unser Gefangener bis jetzt alle Krebse hartnäckig verschmäht hat, gleichviel, ob ihm dieselben lebendig oder todt, mit dem Panzer oder ohne diesen gereicht wurden. Claudius schrieb mir, daß er sich um einen Krebs, womit ihm sein Gebieter einen besonderen Gefallen zu thun glaubte, nicht im Geringsten kümmerte, sich vielmehr durch den täppischen Gesellen so belästigt fühlte, daß er ausbrach. „Jetzt,“ sagt mein Gewährsmann, „tödtete ich den Krebs; aber auch so schenkte er ihm keine Beachtung, und dies änderte sich auch dann nicht, als ich das Brustschild abgelöst und das Fleisch bloßgelegt hatte, obgleich er inzwischen keine andere Nahrung erhielt. Von einer Maus verzehrte er nur den Kopf, eine lebendige, welche ich Nachts zu ihm that, ließ er gewähren, ohne sich ihretwegen vom Lager zu erheben.“ So gleichgültig gegen lebende Säugethiere und Mäuse hat er sich bei mir nicht gezeigt, sein Benehmen gegen einen Krebs ist aber auch jetzt noch dasselbe geblieben.

Schmidt erwähnt, daß sein Gefangener Eier sehr wohl zu verwerthen wisse und deren Inhalt gern auslecke; unserem Nörz haben wir Eier wiederholt vergeblich vorgesetzt, er hat sich nicht um sie bekümmert. Demungeachtet glaube ich gern, daß er im Freileben so gut wie andere Marder auch ein Vogelnest ausnehmen und seines Inhalts berauben wird, wie er denn auch wohl gelegentlich auf das eine oder andere Kerbthier Jagd machen dürfte. Jedenfalls möchte ich nicht wagen, von dem einen Gefangenen auf das Betragen aller und am wenigsten auf das Benehmen der freilebenden Thiere dieser Art zu schließen. Besonders auffallend ist es mir, daß unser Gefangener sich so wenig aus dem Wasser macht, ja sogar fast vor demselben zu scheuen scheint. Ein Fischotter bekundet sich auch in der Gefangenschaft als echtes Wasserthier und versucht selbst in dem kleinsten Raume das befreundete Element in irgend einer Weise für sich auszunutzen. Der Nörz denkt hieran nicht, und das Wasser dient ihm eigentlich nur zum Trinken, niemals aber zum Baden oder gar als Tummelplatz. Setzt man ihm dagegen lebende Fische in sein Becken, so stürzt er sich unverzüglich in das Wasser, schwimmt in gerader Linie auf den Fisch zu, ergreift ihn sehr rasch und springt dann sofort mit seiner Beute in dem Maule wieder aus dem Becken heraus, um jenen an der gewohnten Stelle ungestört zu verzehren.

Unser Gefangener hat im Laufe der Zeit seinen Wärter wohl kennen gelernt und ist mit ihm in ein gewisses Verhältniß getreten. Von freundschaftlichen Gefühlen seinerseits zu dem Pfleger habe ich wenig zu berichten; doch trägt hieran, wie schon bemerkt, der Käfig und auch der Pfleger selbst, dem es an Zeit mangelt sich mit ihm genügend abzugeben, die größere Hälfte der Schuld. Als Zimmergenosse würde er wahrscheinlich schon zum niedlichen Schooßthiere geworden sein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_215.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)