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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Die Napoleoniden und die Frauenwelt.
Nr. 1. Der große Kaiser. Von Arthur von Loy.


Der Roman der Liebe füllt nur wenige Seiten aus in der Geschichte des ersten Napoleon. Er suchte weder das Herz noch den Geist der Frauen. Seine beiden Ehen schloß er hauptsächlich aus Speculation. Mit der Hand einer älteren Frau erhielt der erst siebenundzwanzig Jahre zählende Bonaparte das Obercommando über die italienische Armee durch den damals in Frankreich allmächtigen General Barras. Die spätere Heirath des einundvierzigjährigen Kaisers mit der jugendlichen Erzherzogin Maria Louise von Oesterreich krönte das eitle Streben des Emporkömmlings nach hoher fürstlicher Familienverbindung. Dem weiblichen Geschlecht im Allgemeinen bewies Napoleon große Rücksichtslosigkeit, deren unzarte Aeußerungen oftmals hart an Rohheit streiften, und den berühmten Frauen seines Zeitalters gegenüber nahm er eine fast kriegerische Stellung ein, er liebte es, sie zu verkleinern und zu demüthigen.

Darum fehlen in seinem Leben jene halb excentrischen, halb sentimentalen Freundschaftsbündnisse mit bedeutenden Frauen, wie sie fast alle anderen berühmten Männer, selbst Friedrich der Große, hatten. Eine Ausnahme ist Napoleon’s aus Phantasiefäden und Weihrauchnebeln gewebtes Verhältniß zur Herzogin Dorothea von Kurland. Diese hatte eine Art von toller Freundschaft für ihn, deren Ausbrüche er sich sehr behaglich gefallen ließ. Die Herzogin lebte mit ihrer sonst geliebten Schwester Elisa von der Recke in beständigem Streit über ihr Idol, denn Letztere war eine begeisterte deutsche Patriotin.

Wie abwehrend sich Napoleon gegen Frau von Staël benahm, die anfangs seine enthusiastische Bewundererin war, ist bekannt, vielleicht weniger seine verspätete Anerkennung auf St. Helena. Er vergleicht sie, wie Las Cases erzählt, mit einer Armida und Clorinde zugleich, Schloß Coppet, der Verbannten reizender Zufluchtsort an den Ufern des Genfer Sees, nennt er einen Waffensaal, in dem man seine Feinde zu Rittern schlug, und er bedauert, sich in Frau von Staël aus einer „gefährlichen Widersacherin“ nicht lieber rechtzeitig eine „nützliche Verbündete“ geschaffen zu haben.

Napoleon’s Betragen gegen die berühmt schöne Julie Recamier war ebenfalls höchst unritterlich. Das Bild vom Hercules am Spinnrocken mochte ihm wohl dabei vorschweben und etwas zu seiner Entschuldigung beitragen.

Denn der rauhe Despot kannte und schätzte vollkommen die Zaubermacht schöner Frauen. Er traute sich selber sogar nur sehr geringe Widerstandskraft zu, wie folgende Thatsache beweist. Als im Jahre 1807 die edle Königin Louise von Preußen ihrem Lande und ihrem Hause das heldenmüthige Opfer brachte, persönlich sich als Bittende dem Sieger zu nahen, setzte Napoleon vorher, von Talleyrand unterstützt, die Preußen vernichtenden Friedensbedingungen fest. Erst nachdem er sich also gesichert hatte, wagte er es, dem berühmten Liebreiz und der holden Unterredungskunst der schönen unglücklichen Frau Trotz zu bieten. Diese Schlauheit und Energie belohnte sich für ihn, denn die Gegenwart der Königin zog einen verwirrenden Zauberkreis um den hartherzigen Corsen, er wurde liebenswürdiger und pflückte sogar eine frischerblühte Rose von einem Fensterbrett im Vorübergehen, um sie der Königin huldigend darzubieten. Die arme Louise hoffte wenigstens noch das feste Magdeburg für Preußen erhalten zu können und fragte:

„Bekomme ich diese Rose mit Magdeburg?“

Beinahe hätte sich die Festung ergeben, da raunte Talleyrand seinem Gebieter in die Ohren:

„Sire, soll die Nachwelt sagen, daß Sie einer schönen Frau Ihre größten Siege zum Opfer gebracht haben?“

Napoleon faßte sich gewaltsam und erwiderte der bittenden Königin:

„Vergessen Eure Majestät nicht, daß ich der Geber, Sie aber die Empfängerin sind!“

Napoleon war spröder, eigenartiger Natur, in seiner Jugend handelte er nach spartanischen Grundsätzen. Seine Sittenreinheit als Jüngling wird durch seine Ehe mit einer Frau, welche älter war als er, noch wahrscheinlicher, denn es ist eine psychologisch merkwürdige Thatsache, daß unverdorbene junge Männer sich vorzugsweise in schöne reifere Sirenen verlieben. Die Proben seiner Charakterfestigkeit legte der junge Bonaparte bereits im Beginn seiner Laufbahn während des italienischen Feldzuges ab. Die schönen Italienerinnen vergötterten den jugendlichen Helden, obgleich er der Feind ihrer Landes war, er reizte ihre Lust an Intriguen, gar Manche wollte ihn gern erobern. Allein Bonaparte sah den Abgrund unter den Blumen, denn Ehrgeiz ist ein zuverlässiger Herzenshüter, und er widerstand jeder Versuchung. Als der jugendliche Commandeur älterer Generale, als beneideter Emporkömmling dem scharfen Zahn des Neides preisgegeben, wußte er, daß die geringfügigste Veranlassung ihm den politischen Todesstoß versetzen konnte. Auch als erster Consul und anfangs als Kaiser befolgte er diese Principien der Enthaltsamkeit, dann aber, auf der Höhe seines Ruhmes und seiner Macht angelangt, schien er solche Strenge gegen sich selbst nicht mehr nothwendig zu finden. Während der wenigen Friedensjahre seiner Regierung tauchte er sich mit Bewußtsein und Behagen tief in die schäumenden Wogen der leichtlebigen französischen Hauptstadt und überließ sich mehreren flüchtigen Neigungen, Leidenschaften, die seiner nicht immer würdig waren.

Außer der Kaiserin Josephine und ihrer Tochter Königin Eugenie Hortense, der anmuthigen geistvollen Mutter Napoleon’s des Dritten, hat eigentlich keine Frau wirklich seelischen weiblichen Einfluß auf Napoleon ausgeübt. Er war ein guter Sohn; doch stand eine unsichtbare Scheidewand zwischen ihm und seiner Mutter Lätitia, es trennte sie die Urader ihres Wesens, die gleichartige Herrschsucht. Auch mit der schönen Pauline Borghese, seiner Lieblingsschwester, von der behauptet wird, daß sie als Modell zu einer Venus des Canova gesessen habe, verknüpfte ihn kein inniges festes Seelenband, und von seiner zweiten Gemahlin Marie Louise entfernte ihn zu sehr der Abstand der Jahre, obgleich ihn ihre kindliche Natürlichkeit und weibliche Frische entzückten und er sich oft und gern über den hohen Reiz der deutschen Frauen aussprach.

Napoleon lernte die Gefährtin seines Ruhmes und die Freundin seines Lebens, die verwittwete Vicomtesse Josephine von Beauharnais, geborene Tascher de la Pagerie, im Salon der Madame Château-Renaud kennen. Trotz der rettenden That vom 13. Vendemiaire spielte der junge Bonaparte in den glänzenden Gesellschaftskreisen des Generals Barras eine höchst unbedeutende Rolle. Die schöne strahlende Vicomtesse, … „eine Fee aus Spitzen und Gaze gewebt,“ … redete einige Male aus Mitleid den Verlassenen, Uebersehenen in der ihr eigenthümlichen holdselig-gütigen Weise an; zum Dank dafür verliebte sich der junge Held sterblich in sie. Die Vicomtesse wurde durch seinen Heirathsantrag höchlichst überrascht und wollte den kecken Freier ablehnen, da sie ihn für „unerträglich herrschsüchtig“ hielt, auch „röche er zu sehr nach Tuch und Stiefeln“. Allein Barras wünschte das Genie des jungen Bonaparte sich dienstbar zu erhalten und redete der jungen unbeschützten Wittwe sehr zu, ihn zu erhören. Seine Worte: „Die Heirat mit Frau von Beauharnais wird dem obscuren kleinen General einen Namen in der Welt schaffen,“ berühren uns jetzt fast komisch, denn heutzutage interessirt sich Jedermann ja eben nur wegen Napoleon’s Ruhm für Madame Beauharnais. Josephinens Freundinnen, Madame Tallien, die Modekönigin damaliger Zeit, und Madame Château-Renaud, sowie die spätere Herzogin von Abrantes, die geschwätzige Mademoiselle de Permon, folgten treulich ihrem weiblichen Instinct, Ehen zusammenzubringen, und boten alle ihre Ueberredungskünste auf zu Gunsten des kleinen Generals. Doch zögerte sie lange mit ihrem Jawort, weil sie sich ahnungsvoll vor ihm „fürchtete“. Sie schrieb an eine dieser Freundinnen:

„Ich bin erschreckt über die Macht, welche Bonaparte über seine Umgebung auszuüben vermag. Sein forschender Blick hat etwas Räthselvolles, er imponirt damit sogar den Directoren; denken Sie, wie er eine Frau einschüchtern muß! Und was mir an ihm gefallen sollte, die Heftigkeit seiner Leidenschaft für mich, erregt mir gerade Bedenken; ich bin über die ersten Jugendjahre fort; werde ich mir diese wilde Zärtlichkeit erhalten können, die bei ihm dem Ausbruch eines Vulcans gleicht?“

Napoleon besiegte indeß durch Beharrlichkeit und Bitten ihre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_232.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)